Das Wort Apokryphen wurde aus dem griechischen Wort apokryphos (ἀπόκρυφος, G614) abgeleitet, das in der Bibel mehrmals vorkommt.
Es wird auf Deutsch mit geheim, verborgen oder versteckt übersetzt und kommt im Neuen Testament dreimal vor:
Denn nichts ist verborgen, das nicht offenbar gemacht wird, und nichts geschieht so heimlich, dass es nicht an den Tag kommt. (Mk 4,22)
Denn nichts ist verborgen, das nicht offenbar werden wird, und nichts ist geheim, das nicht bekannt werden und an den Tag kommen wird. (Lk 8,17)
... in welchem alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis verborgen sind. (Kol 2,3)
Und im griechischen Alten Testament, der Septuaginta, zweimal:
Und er wird über die Verstecke des Goldes und des Silbers und über alle begehrenswerten Dinge Ägyptens und der Libyer und der Äthiopier in ihren befestigten Orten Herr sein. (Dan 11,43)
Und er nahm das Silber und das Gold und die kostbaren Gerätschaften und die verborgenen Schätze, die er fand. (1.Makk 11,23)
Die frühen Christen bezeichneten mit diesem Wort aber auch die geheimen Bücher der gnostischen Geheimlehren, die allesamt Irrlehren waren. Zum Beispiel schrieb Hippolytus von Rom in der Einleitung seiner 10 Bücher zur Widerlegung aller Häresien:
Wir können den Menschen einen guten Schutz gegen den Irrtum bieten dadurch, daß sie die geheim gehaltenen Kulthandlungen der Häretiker klar sehen, die diese wie einen Schatz hüten und nur den Eingeweihten offenbaren. Es wird sie aber niemand anderer des Irrtums überführen als der in der Kirche gespendete Heilige Geist, den zuerst die Apostel empfangen haben und den sie dann den Rechtgläubigen mitteilten. (Hippolytus, Widerlegung aller Häresien, Buch I, Inhalt)
Und kommt im Verlauf seines Werkes wiederholt auf die Bücher der Gnostiker zu sprechen. Zum Beispiel hier:
Uns scheint nun die Lehre der Sethianer genügend erklärt zu sein. Wenn aber jemand ihr ganzes Tun und Treiben kennen lernen will, der lese das Buch, das den Titel trägt: Paraphrasis Seth; alle ihre Geheimnisse wird er dort niedergelegt finden. (Hippolytus, Widerlegung aller Häresien, Buch V, Kap. 17)
Oder hier:
Wenn Justinus dies so hat bekräftigen lassen, so ergötzt er die Anfänger mit mancherlei Fabeln in mancherlei Büchern und führt sie so zu dem „Guten“, indem er sie in die unaussprechlichen Mysterien einweiht. Um aber nicht all zu vieles durchgehen zu müssen, wollen wir die Geheimnisse aus einem seiner Bücher, das nach seiner Meinung ein Meisterwerk ist, vorlegen. Das Buch ist Baruch betitelt; eine der zahlreichen darin enthaltenen Fabeln wollen wir als von Herodot stammend nachweisen; er gibt sie umgestaltet als etwas Neues seinen Zuhörern wieder und macht sich aus ihr die ganze Grundlage seines Lehrgebäudes. (Ebd., Kap. 19)
Auf dieselbe Weise erklären sie in mehreren Büchern die anderen prophetischen Aussprüche. Ihr Hauptbuch ist aber das „Baruch“ betitelte, aus dem der Leser ihre ganze Behandlung des Mythos ersehen kann. Ich habe schon viele Häresien kennen gelernt, Geliebte, ich bin aber niemals auf etwas so Schlechtes gestoßen. (Ebd., Kap. 22)
Man könnte noch viele weitere Zitate anführen, aber es reichen die bisherigen um das Problem zu zeigen: Die frühchristlichen Lehrer beschäftigten sich ausgiebig mit den Geheimlehren der verschiedensten Gnostiker und deren geheimen Bücher. Sie machten deren geheime Inhalte öffentlich bekannt um sie bloßzustellen und die Christen davor zu warnen. Ein Problem dabei war, dass die Gnostiker sich derselben Begriffe und Namen bedienten wie die Christen und ihnen daher auf dem ersten Blick zum Verwechseln ähnlich sahen. Das reichte bis zu den Buchtiteln. Das Hauptbuch der Justinianer hieß zum Beispiel „Baruch“, exakt gleichlautend wie ein Buch in der Septuaginta, die aber die Heilige Schrift der Juden und Christen zur Zeit Christi war! Der Teufel war immer schon ein Kopierer und Nachahmer Gottes. Es gelang ihm damals, einige Christen damit zu verwirren und zu verführen. Heute gelingt ihm das noch besser, denn viele Christen halten heute das Buch Baruch aus der Septuaginta für ein apokryphisches Buch, wie auch etliche andere Bücher der Septuaginta (welche Bücher das konkret sind, schauen wir uns im nächsten Kapitel an). Das wäre den frühen Christen jedoch nicht im Traum eingefallen, denn für sie war die Septuaginta die heilige, inspirierte Schrift Gottes!
Heute werden von den späten Christen im 21. Jahrhundert mit dem Sammelbegriff „Apokryphen“ also völlig andere Bücher bezeichnet als im 2. Jahrhundert von den frühen Christen. Deswegen wird es im Rest dieses Beitrages nun darum gehen, welche Bücher heute konkret gemeint sind, wie es historisch zu dieser Auswahl kam, und welche Kritik heute gegen diese Bücher vorgebracht wird und was daran überhaupt wahr ist.
Die Septuaginta ist das griechische Alte Testament, das Jesus Christus, Seine Apostel, ihre Jünger und deren treue Nachfolger hatten. Und wenn im Neuen Testament Verse aus dem Alten Testament zitiert werden, stammen sie aus der Septuaginta! (Mehr Informationen über die Septuaginta in unserem Beitrag: Septuaginta). Wir haben das in vielen Beiträgen gezeigt. Zum Beispiel hier und hier und hier und hier. Das ist heute den meisten Bibellesern leider gar nicht bewusst.
Warum ist die Septuaginta für dieses Thema wichtig?
Der Grund ist, dass die Septuaginta zur Zeit Jesu Christi mehr Bücher umfasste als der später geschriebene Masoretentext, von dem die Protestanten übersetzten. Fast alle modernen Bibeln folgen im Alten Testament dem Masoretentext und haben deswegen weniger Bücher als Jesus und Seine Apostel. Die Differenz sind folgende Bücher:
- Weisheit Salomos - Sophia Salomonos (Weisheitsbuch)
- Judit - Judith (Geschichtsbuch)
- Tobit (Geschichtsbuch)
- 1. Makkabäer - Makkabaion I (Geschichtsbuch)
- 2. Makkabäer - Makkabaion II (Geschichtsbuch)
- Jesus Sirach -Sophia Sirach (Weisheitsbuch)
- Baruch (Prophetenbuch, Jeremia)
- Der Brief des Jeremia - Epistole Jeremiu (Prophetenbuch, Jeremia)
- Das erste Buch Esdras - Esdras I (Geschichtsbuch)
- Susanna (Prophetenbuch, Daniel)
- Bel und Drache - Bel kai Drakon (Prophetenbuch, Daniel)
Nummer 7 und 8 wurden später zusammengelegt, waren aber ursprünglich getrennte Bücher. Die letzten beiden (10 und 11) gehörten zur Zeit der Apostel zum Buch Daniel, wurden später aber daraus herausgelöst als eigene Bücher. Es handelt sich also um 5 Geschichtsbücher, 4 Prophetenbücher und 2 Weisheitsbücher, die viele Christen heute nicht in ihren Bibeln haben und als „Apokryphen“ verachten.
Diese Bücher sind in der Regel mit dem Begriff „Apokryphen“ heutzutage gemeint und von diesen Büchern handelt dieser Beitrag, wobei die sieben fett gedruckten die bekanntesten sind und in allen Listen vorkommen.
Die restlichen sind ursprünglich in anderen biblischen Büchern enthalten gewesen oder waren Varianten davon. So ist zum Beispiel das erste Buch Esdras eine Variante von den Büchern Esra und Nehemia, mit Ergänzungen und anderer Erzählung, ähnlich wie die Bücher der Chroniken sich zu den Büchern der Könige verhalten. 1. Esdras enthält sogar auch Inhalte der 2. Chronik und liefert somit einen Übergang der Geschichtsbücher vor und nach dem Untergang Jerusalems.
Aber das ist noch nicht alles. Einige andere Bücher des Alten Testaments, die zwar in allen Bibeln bis heute erhalten blieben, sind aber in einer anderen Version in den heutigen Bibeln, meist stark gekürzt, im Vergleich zu ihrem ursprünglichen Umfang in der Septuaginta. Manchmal geht es nur um einzelne Worte oder Sätze, in anderen Fällen aber um ganze Kapitel, die in heutigen Bibeln fehlen. Am schlimmsten davon betroffen sind die Bücher
- Hiob - Job
- Esther
- Daniel
- Jesaja - Esaias - Isaias
- Jeremia - Jeremias
- Psalmen - Psalmoi
Aber auch einige andere Bücher wurden stellenweise umgeschrieben, sodass ihr ursprünglicher Sinn teilweise verloren ging, wie z.B. Genesis, Exodus, Sprichwörter (Sprüche), Jona und Habakuk. Genau genommen betrifft es alle Bücher, die einen mehr, die anderen weniger. In der Septuaginta Deutsch kann man das gut erkennen, denn sie druckt alle betroffenen Worte kursiv.
Aus Sicht der modernen Bibeln wird der Spieß heute jedoch umgedreht und die Sache so dargestellt, als enthielte die Septuaginta „apokryphische“ Zusätze und nicht, als hätten die modernen Bibeln Inhalte verloren oder verfälscht. Da wir hier aber nicht Meinungen diskutieren wollen, sondern die Wahrheit ergründen, werden wir in die Tiefe gehen müssen und die Geschichte und deren Zeugen befragen denn:
„Über alles aber siegt die Wahrheit.“
Das ist übrigens ein Zitat aus der Septuaginta, das im Moseretentext und daher in vielen Bibeln fehlt! Es steht im ersten Buch Esdras 3,12.
Es sei an der Stelle erstens noch erwähnt, dass es heute leider verschiedene Versionen der Septuaginta gibt. Das führt zu Verwirrungen. Manche Versionen enthalten noch mehr Bücher als die oben erwähnten, die dem Masoretentext fehlen. Das hängt davon ab, in welchem Jahrhundert man die Septuaginta betrachtet. Es kamen nämlich sowohl von den Juden als auch den Christen noch ein paar Texte hinzu. Flavius Josephus, der jüdische Historiker, überlieferte im ersten Jahrhundert n. Chr. noch ein viertes Makkabäerbuch, das in spätere Septuagintaausgaben aufgenommen wurde. Und wo es ein viertes gibt, muss es auch noch ein drittes geben. Alle 4 Makkabäer finden sich deswegen in der Septuaginta Deutsch, und ein zusätzliches Buch, die Oden. Dieses Buch der Oden ist eine Art christliches Liederbuch aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. Es ist eine Sammlung von Liedern und Gebeten aus dem Alten und Neuen Testament. Es enthält also keine neuen Inhalte, sondern ist nur eine thematische Zusammenstellung von vorhandenen Schriftworten, mit zwei Ausnahmen: Erstens das darin enthaltene „Gebet des Manasse“ ist zwar aus jüdischen Gebetstraditionen formuliert, aber nur in christlichen Handschriften überliefert. Zweitens das den Engelgesang nach Lk 2,14 aufnehmende „Gloria in excelsis Deo“ ist eines der ältesten frühchristlichen Lieder, steht aber nicht im Neuen Testament. Beide werden heute von gewissen Leuten zu den Apokryphen gezählt. Das gilt auch für Psalm 151 und die Psalmen Salomos, die ebenfalls in der Septuaginta Deutsch zu finden sind. Folgende Bücher müsste man anhand der Septuaginta Deutsch, die im Textumfang der Septuaginta von Alfred Rahlfs folgt, also den 11 Büchern in der Liste oben noch hinzufügen:
12. Psalmen Salomos - Psalmoi Salomontos (Weisheitsbuch)
13. Oden - Odai (Weisheitsbuch)
14. 3. Makkabäer - Makkabaion III Geschichtsbuch)
15. 4. Makkabäer - Makkabaion IV (Geschichtsbuch)
Zweitens sei noch erwähnt, dass auch heute nicht alle Bibeln dem Masoretentext folgen und es daher immer noch Bibeln mit dem Gesamtumfang der Septuaginta im Alten Testament gibt. Andere Bibeln gehen auch einen Mischweg, indem sie zwar dem hebräischen Masoretentext folgen, aber diesen an gewissen Stellen anhand der griechischen Septuginta berichtigen oder ergänzen. Wir haben eine Übersicht über die wichtigsten deutschen und englischen Bibelübersetzungen gemacht, wo man das erkennen kann.
Das Christentum ist heute also gespalten in Bezug auf die Vollständigkeit und Anerkennung des Wortes Gottes, der Heiligen Schrift. Aber wie kam es dazu?
Die frühen Christen zitierten unzählige Male aus den im vorigen Kapitel genannten Büchern, die heute alle als Apokryphen bezeichnet werden. Das ist den heutigen Christen oft nicht einmal bekannt. Den Juden damals war es aber umso bekannter und es gefiel ihnen nicht und spitzte sich zu einem Konflikt zu. Um ca. 180 n. Chr. gab es zwischen Juden und Christen eine Herausforderung. Die Christen verkündeten mittlerweile seit über 100 Jahren äußerst erfolgreich und emsig mit der Septuaginta die Botschaft vom Königreich Gottes und dessen König Jesus Christus.
Das war schon zur Zeit von Paulus den Juden ein Ärgernis (Apg. 17,17) wurde aber für sie mittlerweile unerträglich, da die Septuaginta jahrhundertelang die Heilige Schrift der Juden war! Nun aber wurden sie mit ihrer eigenen Heiligen Schrift von den Christen nicht nur missioniert sondern auch noch belehrt. Die Juden wollten nicht mehr die gleiche Schrift wie die Christen haben und sie stießen sich zunehmend an der Griechischen Sprache, der Sprache der Heiden. Deshalb gaben sie eine neue Schrift in Auftrag. In dieser neuen hebräischen Übersetzung, dem Masoretentext, wurden bei der Gelegenheit viele messianische Verse gestrichen oder umformuliert, die eindeutig auf die Person Jesus Christus hinwiesen und mit denen die Christen die Juden widerlegten und überführten. So wie es schon Paulus tat (z.B. Seht, ihr Verächter!). Wir vergleichen die Septuaginta mit dem Masoretentext in vielen unserer Beiträge. Hier ist die Übersicht: Septuaginta versus Masoretentext.
So gab es nun den Masoretentext für die Juden und die Septuaginta für die Christen.
Im ersten Moment könnte man meinen, dass der Konflikt damit gelöst war und beide Seiten friedlich getrennt ihrer Wege gingen. Dem war aber nicht so!
Nun behaupteten die Juden, dass die Christen mit der Septuaginta ein unechtes, korrumpiertes Altes Testament hätten und dass nur sie, die Juden, das einzig richtige besäßen. Dazu muss man wissen, dass die Juden jedes Buch aus ihrem Alten Testament hinauswarfen, von dem sie glaubten, dass es ursprünglich nicht in Hebräisch geschrieben war. Sie glaubten anscheinend, dass Gott nur auf Hebräisch sprach und dass daher nur Bücher, die original hebräisch waren, Gottes Wort seien. Die Juden widersprachen sich mit dieser Argumentation aber selbst, denn sie warfen auch Bücher hinaus, die sehr wohl ursprünglich hebräisch waren, wie etwa Jesus Sirach, dessen Eliminierung aus dem masoretischen Kanon auch im Judentum für heisse Diskussionen sorgte. Und die Juden gaben erneut eine griechische Übersetzung ihres Alten Testaments in Auftrag, so wie schon im 2. Jahrhundert vor Christus, als dann die Septuaginta daraus wurde. Diesmal waren es aber nicht mehr 70 Gelehrte aus ganz Israel, die übersetzten, sondern nur noch ein einziger, der noch dazu ein Proselyt war, ein gewisser Aquila. Wie tief sind die Ansprüche der Juden gesunken über die Jahrhunderte! Aquila übersetzte den hebräischen Masoretentext ins Griechische für die vielen Juden, die gar kein Hebräisch konnten. Die Juden hatten also erst recht wieder ein griechisches Altes Testament, das aber erheblich von dem bisherigen, der Septuaginta, abwich. Aber es gefiel ihnen. Aquilas Übersetzung war in kurzer Zeit sehr beliebt und anerkannt im Judentum.
Die Christen entgegneten hinwiederum, dass die Juden das Alte Testament absichtlich verfälscht und verändert hatten, indem sie Verse strichen, sogar ganze Bücher entfernten, und dass die Juden demnach eine unvollständige, korrumpierte Fassung hätten.
Der Streit erreichte im dritten Jahrhundert einen neuen Höhepunkt und sorgte für Irritation auf beiden Seiten. Einigen Juden gefiel ihr neuer Weg nicht, denn in ihren Augen war immer noch die Septuaginta das inspirierte Wort Gottes, und auf der anderen Seite begannen manche Christen an der Septuaginta zu zweifeln und hielten Aquila für die richtigere Fassung. Das rief einen bestimmten Mann auf den Plan.
Dieser Mann hieß Origenes. Es gab zwar auch andere hoch angesehene Lehrer vor und neben ihm, wie etwa Irenäus von Lyon und Hippolytus von Rom, die in ihren Büchern die Überlieferung und Inspiration der Septuaginta immer wieder eindeutig bestätigt und verteidigt hatten, aber niemand befasste sich mit diesem Thema so akribisch und tiefgreifend wie Origenes, der 28 Jahre lang die verschiedenen Versionen der Septuaginta, die zu seiner Zeit vorhanden waren, Wort für Wort studierte und die Unterschiede zum hebräischen Masoretentext penibel untersuchte, verglich, dokumentierte und kommentierte. Origenes wuchs in Alexandria auf, wo es eine bedeutende Bibliothek und eine große jüdische Gemeinschaft gab. Er kannte viele gelehrte Hebräer, konnte fließend Hebräisch und kannte sich im jüdischen Glauben gut aus. Er hatte also einen erstklassigen Zugang zu allem Wissen seiner Zeit und schrieb seine Erkenntnisse in über 50 Bücher, von denen heute kein einziges mehr erhalten ist. Erhalten geblieben ist uns aber Gott sei Dank ein wegweisender Brief.
Im Jahr 240 n. Chr. schrieb nämlich ein gewisser Julius Africanus einen Brief an Origenes, von seiner Sorge darüber, dass die Juden einen anderen Bibelkanon hatten als die Christen. Konkreter Anlass war, dass Origenes in einer Diskussion Susanna zitierte als ob sie zur Heiligen Schrift gehörte, was in den Augen von Africanus aber nicht stimmte, und er wollte eine Stellungnahme dazu von Origenes. Das Antwortschreiben von Origenes ist uns bis heute erhalten geblieben und ein Segen, denn dadurch können wir aus erster Hand erfahren, wie die Diskussionen über die Apokryphen im dritten Jahrhundert tatsächlich geführt wurden und wie die Gemeinden Christi damit umgingen. Es ist ein unschätzbares Zeitdokument. Wir sind nicht mehr auf Spekulationen angewiesen, sondern können die Geschichte verlässlich erfahren. „Ein Brief von Origenes an Africanus“, ist auf Englisch online in der Bibliothek der Kirchenväter kostenlos für jeden abrufbar. Wir haben ihn außerdem auf Deutsch übersetzt und, mit erklärenden Fußnoten ergänzt, als Büchlein herausgebracht. Ein paar Gustostückerl daraus:
Dein Brief, aus dem ich erfahre, was du über die Susanna im Buch Daniel denkst, die in den Gemeinden verwendet wird, erscheint zwar etwas kurz, führt aber in seinen wenigen Worten viele Probleme an, von denen jedes keine gewöhnliche Behandlung verlangt, sondern eine, die über den Rahmen eines Briefes hinausgeht und die Grenzen einer Abhandlung erreicht. (Kap. 1)
„Susanna“ war damals also in den Gemeinden im Buch Daniel enthalten und in Verwendung! Erst später galt sie bei gewissen „Christen“ als „apokryph“ und wurde aus dem Buch Daniel gelöscht. Aber zur Zeit von Origenes, im dritten Jahrhundert, sahen das noch alle Gemeinden Christi anders. Und der Brief ist tatsächlich eine kleine Abhandlung geworden, in 15 Kapitel.
Du beginnst damit, dass du sagst, als ich in meiner Diskussion mit unserem Freund Bassus die Schrift benutzte, die die Prophezeiung Daniels in der Angelegenheit der Susanna enthält, ... habe ich dies getan, als ob es mir entgangen wäre, dass dieser Teil des Buches gefälscht ist. Du sagst, du lobst diese Stelle als elegant geschrieben, tadelst sie aber als eine modernere Komposition und Fälschung.
Als Antwort darauf muss ich dir sagen, was wir zu tun haben, nicht nur im Falle der historischen Geschichte der Susanna, die in jeder Gemeinde Christi in der griechischen Fassung ... zu finden ist, die aber nicht im Hebräischen steht, oder betreffend der beiden anderen Stellen, die du am Ende des Buches erwähnst und die die historische Geschichte von Bel und dem Drachen enthalten, die ebenfalls nicht in der hebräischen Fassung des Daniel stehen, sondern auch bei Tausenden anderer Abschnitte, die ich an vielen Stellen fand, als ich mit meinen bescheidenen Kräften die hebräischen Abschriften mit den unseren verglich. (Kap. 2)
Gleich zu Beginn bezeugt also Origenes, dass Susanna und die anderen Stellen, die Africanus anspricht und die heute als apokryph gelten, damals in jeder Gemeinde Christi in Verwendung waren. Nur die Hebräer hatten sie nicht (mehr). Und er spricht von Tausenden anderen Abschnitten, die im Hebräischen fehlen. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, wie ist damit aus Sicht der Gemeinde Christi umzugehen? Das erläutert Origenes im Zuge des Briefes anhand konkreter Beispiele. Er sagt, was wir zu tun haben in diesen Fällen. Er geht systematisch einige Stellen durch und beweist, dass sowohl das Alte als auch das Neue Testament die apokryphen Bücher bestätigt. Und - was der Überhammer ist - dass auch die Juden wussten, dass das alles wahr ist, etwa die Geschichte von Susanna. Die Hebräer hatten sogar eine mündliche Überlieferung zu Susanna, die gar nicht in der Schrift steht, und die aber die Schrift ergänzt und bestätigt. Aber warum haben sie dann die Susanna aus ihrer Schrift entfernt, wenn sie die Geschichte selbst für wahr hielten und nicht ablehnten? Die Antwort darauf ist verblüffend einfach und entlarvend:
Die Antwort ist, dass sie vor dem Wissen des Volkes so viele Passagen verbargen wie sie konnten, die einen Skandal gegen die Ältesten, Herrscher und Richter enthielten. Von denen sind einige in nicht kanonischen Schriften (Apokryphen) erhalten geblieben.
Darum halte ich keine andere Vermutung für möglich, als die, dass die den Ruf der Weisheit hatten und die Obersten und Ältesten, dem Volk jede Stelle wegnahmen, die sie beim Volk in Misskredit bringen konnte. Wir brauchen uns also nicht zu wundern, wenn diese Geschichte über den bösen Plan der zügellosen Ältesten gegen Susanna wahr ist, aber von Männern, die selbst nicht sehr weit vom Rat dieser Ältesten entfernt waren, verheimlicht und aus der Schrift entfernt wurde. (Kap. 9)
Man wollte seitens der jüdischen Führung also Skandale vertuschen um die Obrigkeit nicht in Verruf zu bringen und versteckte daher alles, was dem einfachen Volk enthüllen könnte, dass es von gierigen, korrupten, gottlosen Ältesten und Richtern hintergangen und belogen wird, die aber einen ausgezeichneten Ruf bewahren und sich als Moralinstanzen ausgeben wollten. Nur in versteckten (also apokryphen) Schriften und Dokumenten konnte man die Wahrheit finden, die vor dem Volk geheim gehalten wurde.
Klingt das irgendwie modern? Machen heute nicht immer noch viele Regierungen das Selbe? Und wenn dann investigative Journalisten oder Whistleblower geheime Dokumente an die Öffentlichkeit spielen, die dem Volk zeigen, dass es absichtlich von der eigenen Regierung betrogen, manipuliert und sogar getötet wurde, werden diese Aufdecker als Staatsfeinde verfolgt, weggesperrt und verborgen sodass sie niemand mehr wahrnimmt. Das prominenteste Beispiel ist hierfür wohl Julian Assange.
Heute würde man Origenes mithilfe der Medien lächerlich machen wegen solcher Aussagen und als Verschwörungstheoretiker bezeichnen. Oder als Antisemit. Oder beides. Die infantilen Abwehrstrategien der Mächtigen haben sich genauso wenig geändert, wie ihre schmutzigen Interessen und Machenschaften. Origenes aber behauptete das alles nicht nur, er bewies es anhand vieler Beispiele aus der Schrift und er zeigte, dass auch die gebildeten Juden davon Kenntnis hatten. Als Zeugen ruft er keine geringeren als den Herrn Jesus Christus selbst und die Autoren des Neuen Testaments auf, die das alles wussten, ansprachen und bestätigten. Und er berichtet von jüdischen Zeitgenossen, die ihm zustimmten und sogar weitere Argumente für die Apokryphen lieferten.
Origenes eröffnet uns damit eine weitere historische Definition des Wortes Apokryphen. Denn zuerst bezeichneten die frühen Christen damit die geheimen Schriften der Gnostiker, wie wir bereits weiter oben zeigten. Nun erweitert Origenes den Begriff auf die Juden und sagt, dass diese ebenfalls gewisse Passagen und sogar ganze Bücher absichtlich versteckten. Diesmal handelte es sich aber nicht um frei erfundene Geheimlehren von Irrlehrern, sondern um Teile der von Gott inspirierten Heiligen Schrift, die verborgen, also apokryph, wurden, damit das normale Volk sie nicht erfuhr.
Im dritten Jahrhundert haben wir also die Situation, dass sowohl Gnostiker als auch Juden ihre eigenen Apokryphen hatten. Die Christen lehnten die Apokryphen der Gnostiker streng ab und spotteten über deren Torheit, die jüdischen Apokryphen hingegen waren aus Sicht der Gemeinden Christi im dritten Jahrhundert aber Wahrheit und Bestandteil von Gottes inspirierter Schrift, nämlich der Septuaginta, die sie verwendeten und lehrten, wie Origenes fortwährend beweist:
Ich glaube, das Gesagte reicht aus, um zu beweisen, dass es nichts Wunderbares wäre, wenn diese Geschichte historisch wahr wäre und der zügellose und grausame Überfall auf Susanna tatsächlich von denen verübt wurde, die damals Älteste waren, aufgeschrieben von der Weisheit des Geistes, aber entfernt von diesen Herrschern von Sodom, wie der Geist sie nennen würde. (Kap. 9)
Origenes bestätigt damit, dass die Geschichte Susanna wahr ist und vom Heiligen Geist inspiriert wurde, und unterstreicht generell die oben erwähnte Haltung der Gemeinden Christi, alle Apokryphen als Heilige Schrift zu verwenden, und begründet sie geistlich:
Sollen wir annehmen, dass die Vorsehung, die in den heiligen Schriften für die Erbauung aller Gemeinden Christi gesorgt hat, nicht an die mit einem Preis Erkauften gedacht hat, für die Christus gestorben ist, den Gott, der die Liebe ist, nicht verschonte, obwohl Er Sein Sohn ist, sondern Ihn für uns alle dahingegeben hat, damit Er uns mit Ihm alles schenken kann? (Kap. 4)
Es ist also nicht nur töricht, sondern sogar gotteslästerlich, wenn man behaupten will, dass Gott den Christen durch Christus nicht alles gegeben hätte und dass Christus, der ja das Wort selbst ist, Seinen Nachfolgern persönlich ein verfälschtes Wort überliefert hätte, seinen Feinden aber, die Ihn ablehnten und töteten, das richtige Wort nach Seinem Tod eingegeben hätte. Denn die Masoreten stellten ihnen Masoretentext ja erst ein Jahrhundert nach Christi Tod zusammen. Gott vertraute aber Seinem Volk mit der Septuaginta die Heiligen Schriften, die Bücher mit der richtigen Übersetzung und dem richtigen Umfang, an und überließ diese seinen wahren Kindern, die sie eigenverantwortlich bewahren sollten. Die wahren Nachfolger Christi bewahrten diese Heilige Schrift treu, wie Origenes bestätigte und auch einforderte. Diese ursprünglich christliche positive Haltung zu den Apokryphen änderte sich aber bald. Das geschah jedoch nicht zufällig schleichend, sondern bewusst gesteuert schrittweise.
Macht das Sinn, dass heute Christen den Schriften folgen, die die blinden Blindenführer - wie Jesus Christus die jüdischen Pharisäer und Schriftgelehrten nannte - hervorbrachten? Oder sollten wir das Alte Testament lesen, welches Jesus, Seine Apostel, die frühen Christen, also seine treue Gemeinde hatte?
Im 4. Jahrhundert entschied sich die neu aufgestellte Kirche unter Kaiser Konstantin den biblischen Kanon offiziell und endgültig schriftlich festzulegen. Alle christlichen Nachschlagewerke, seien sie von den Katholiken oder Protestanten, betonen einen Punkt, nämlich dass beim Konzil im 19. Jahrhundert, die 27 Bücher im Neuen Testament bestätigt wurden. Was oft nicht erwähnt wird ist, dass in diesem Konzil ganz offiziell die 47 Bücher des Alten Testaments der Septuaginta ebenso bestätigt wurden! Natürlich waren auch die Bücher enthalten, die man heute die Apokryphen nennt. All diese Bücher wurden als inspirierte Heilige Schrift bezeichnet! Nicht nur das! Wir haben antike Schriften, in diesen werden die apokryphischen Bücher zitiert. Bis zur Reformation gab es kein Altes Testament, das diese Bücher nicht enthielt! Erst Martin Luther warf diese Bücher aus der Bibel raus und so hatten die Protestanten nur mehr 39 Bücher im AT. Aber warum? Und wie geschah es, dass diese heute oft als böse Bücher angesehen werden?
Dieser Vorgang geschah in drei Schritten. Wir wissen wann es geschah und wer es verursachte.
Schritt eins:
Im 4. Jahrhundert gab Papst Damasus I. einem gewissen Hieronymus den Auftrag, eine offizielle lateinische Bibelübersetzung der katholischen Kirche herauszubringen, die Vulgata. Jeder Übersetzer hatte bis zu diesem Zeitpunkt immer von der Septuaginta übersetzt. Hieronymus war jedoch stark von den Juden beeinflusst und entschied eigenmächtig, dass der Masoretentext der Juden zur Übersetzung herangezogen werden sollte. Deshalb stimmen oft die neutestamentlichen Zitate nicht mit dem Alten Testament überein. Der Grund ist, die Apostel zitieren wortgetreu die LXX. Da viele Bücher nicht im Masoretentext enthalten waren und Hieronymus wusste, dass es einen Glaubenskrieg geben würde, falls er sie nicht in die Vulgata aufnehmen würde, entschied er sich, diese von der LXX zu übersetzten und verpasste allen diesen „apokryphischen“ Büchern ein Vorwort, in dem er sie herabwürdigte und meinte, diese Bücher sind unbedeutender als die anderen 39 Bücher. Hieronymus war es auch, der ihnen zum ersten Mal offiziell den Namen Apokryphen gab, was „versteckt“ bedeutet, um sie abzuwerten.
Das Inhaltsverzeichnis des Alten Testaments in der Biblia Sacra Vulgata Hieronymiana versio sieht demnach so aus:
Latein (Vulgata) | Deutsch (Luther) |
---|---|
Pentateuchus | Pentateuch |
Genesis | 1. Mose |
Exodus | 2. Mose |
Leviticus | 3. Mose |
Numeri | 4. Mose |
Deuteronomium | 5. Mose |
Libri historici veteris testamenti | Geschichtsbücher des Alten Testaments |
Iosue | Josua |
Iudices | Richter |
Ruth | Ruth |
Samuelis liber I | 1. Samuel |
Samuelis liber II | 2. Samuel |
Regum liber I | 1. Könige |
Regum liber II | 2. Könige |
Paralipomenon liber I | 1. Chronik |
Paralipomenon liber II | 2. Chronik |
Esdrae liber I | 1. Esdras |
Esdrae liber II | 2. Esdras (Esra und Nehemia) |
Tobias | Tobit |
Iudith | Judith |
Esther | Esther |
Libri didactici veteris testamenti | Weisheitsbücher des Alten Testaments |
Iob | Hiob |
Psalmorum liber/Psalterium iuxta Hebraeos | Psalmen / Der Hebräische Psalter |
Psalmorum liber/Psalterium Gallicanum | Psalmen/ Der gallische Psalter |
Proverbia | Sprüche |
Ecclesiastes | Prediger |
Canticum canticorum | Lied der Lieder / Hoheslied |
Sapientia | Weisheit |
Ecclesiasticus | Jesus Sirach |
Libri prophetici veteris testamenti | Prophetische Bücher des Alten Testaments |
Isaias | Jesaja |
Ieremias | Jeremia |
Lamentationes | Klagelieder |
Baruch | Baruch |
Ezechiel | Hesekiel |
Daniel | Daniel |
Osee | Hosea |
Ioel | Joel |
Amos | Amos |
Abdias | Obadja |
Ionas | Jona |
Michaea | Micha |
Nahum | Nahum |
Habacuc | Habakuk |
Sophonias | Zephanja |
Aggaeus | Haggai |
Zacharias | Sacharja |
Malachias | Maleachi |
Libri historici novissimi veteris testamenti | Die letzten Geschichtsbücher des Alten Testaments |
Machabaeorum liber I | 1. Makkabäer |
Machabaeorum liber II | 2. Makkabäer |
Apocryphi | Apokryphen |
Psalmus CLI | Psalm 151 |
Oratio Manassae regis Iuda | Das Gebet des Manasse, König von Juda |
Esdrae liber III | 3. Esdras |
Esdrae liber IV | 4. Esdras |
Fett sind alle Bücher markiert, die später als Apokryphen galten. Man sieht, dass die meisten davon noch im normalen Kanon geführt wurden bis auf vier, die ans Ende in die Rubrik Apokryphen verschoben wurden. Zwar blieben sie alle als inspirierte Bücher in der Bibel, aber - wie erwähnt - wurden sie herabgewürdigt. Über diese Vorgangsweise gab es damals noch heftige Kritik in der Kirche!
Nachdem die Vulgata herausgegeben wurde, brachen die Barbaren über das Römische Reich herein. Das lenkte auch die Kirche ab, die inzwischen zur römischen Staatskirche geworden war. Und so geriet die Kritik an der Herabwürdigung einiger inspirierter Bücher als Apokryphen in den Hintergrund und die Vulgata setzte sich als die katholische Bibel durch. Sie ist bis zum heutigen Tag die einzige offizielle Bibel der Römisch-Katholischen Kirche.
Schritt zwei:
Im 16. Jahrhundert kreierte der deutsche Augustinermönch Martin Luther eine neue Bibelübersetzung und wollte Bücher aus der Bibel rauswerfen, die seiner Theologie „allein aus Glaube“ nicht entsprachen. Er stieß aber auf so heftige Kritik, dass er sich das nicht getraute. Jedoch veränderte er eigenmächtig die Reihenfolge der neutestamentlichen Bücher und schrieb ein Vorwort, worin er sie gemäß seiner Theologie auf- oder abwertete. Im Alten Testament machte er es ähnlich: er gruppierte die verdächtigen acht Bücher (siehe unten) und platzierte sie unter den Namen Apokryphen genau zwischen dem Alten und Neuen Testament. Das sah in der Lutherbibel von 1545 so aus:
Apocrypha: das sind Bücher: so der heiligen Schrifft nicht gleich gehalten /vnd doch nützlich vnd gut zu lesen sind / Als nemlich /
I Judith.
II Sapientia.
III Tobias.
IIII Syrach.
V Baruch.
VI Maccabeorum.
VII Stücke in Esther.
VIII Stücke in Daniel.
Er fügte ein Vorwort zu den Apokryphen hinzu, demzufolge man diese Bücher für geistliches Wachstum lesen könne, aber sie nicht als Lehre ansehen dürfe. So gehörten sie plötzlich nicht mehr zum biblischen Kanon, sondern waren nur Zusatzmaterial, zum geistlichen Wachstum. Später wurden die Namen der Bücher besser eingedeutscht. Die Lutherbibel 2017 kommt mit folgenden sieben Apokryphen am bibleserver des ERF daher:
- Tobit
- Judit
- 1. Makkabäer
- 2. Makkabäer
- Weisheit
- Jesus Sirach
- Baruch
Das brachte der Lutherbibel 2017 übrigens nicht wenig Kritik von protestantischen und freikirchlichen Kreisen ein, die lieber völlig auf die Apokryphen verzichtet hätten und gar nicht daran erinnert werden möchten, dass diese Bücher irgendwann einmal in der Bibel waren, auch in der Lutherbibel.
Zur Erinnerung:
- Im ersten Schritt wurden die Bücher als Apokryphen bezeichnet und durch eine Notiz herabgewürdigt.
- Im zweiten Schritt wurden sie aus dem biblischen Kanon herausgelöst, in den Anhang nach hinten verschoben, und dienten nur mehr als geistliches Zusatzmaterial.
Interessant ist, dass die Täuferbewegung, die zeitgleich mit Luther war, Luthers Vorgehen nicht übernahm. Egal ob man den Märtyrerspiegel liest, oder Menno Simons, oder die anderen frühen Wiedertäufer, wie Michael Sattler usw., sie alle zitieren frei diese Bücher und verwenden sie, um biblische Lehre zu untermauern. Sie machen keinen Unterschied zwischen den sieben apokrypischen Büchern und den anderen alttestamentlichen Büchern. Und sie zitieren alle sieben.
Interessantes Detail: Die Wiedertäufer zitierten das Buch Jesus Sirach doppelt so oft wie den Römerbrief! Das war das Gegenprogramm zu Martin Luther, der den Römerbrief über alle anderen Bücher hob.
Ab diesem Zeitpunkt gab es weitere Bibelübersetzungen, die es Luther nachmachten. Die Bibelübersetzung von Calvin übernahm sogar Luthers Vorwort. Ihr taten es andere Bibelübersetzungen nach, nur die King James Version 1611 übernahm Luthers Vorwort nicht. Sie beinhaltete auch fast zweihundert Jahre lang vollständig alle Apokryphen.
Schritt drei:
Im Jahr 1826 beschloss dann aber die Britische Bibelgesellschaft die King James Version ohne die Apokryphen zu drucken, um Druckkosten zu sparen. Diese Bibeln wurden für evangelistische Zwecke und für die Mission verwendet und gelangten so auch nach Übersee. Nach ein paar Jahrzehnten waren diese Bibeln auf der ganzen Welt in den Kirchen und Gemeinden zu finden. So gerieten die Apokryphen bei den Protestanten völlig in Vergessenheit. Folgendes Sprichwort wird tragend: „Aus den Augen, aus dem Sinn!“
Wenn ein Protestant nun bemerkte, dass die katholische Bibel Bücher enthielt, die seine Bibel nicht enthielt, wurde ihm folgende Erklärung gegeben: Die Katholiken hätten diese Bücher zur Bibel hinzugefügt. Ab diesem Zeitpunkt wurden besagte Bücher in den Augen der Protestanten als böse betrachtet und so wurden sie als Apokryphen verworfen. Denn schließlich darf man nichts zu Gottes Wort hinzufügen, das steht ja schon in der „Bibel“. Das Wort apokryph wurde als Synonym für böse verstanden. Da sie von den Protestanten seit Jahrhunderten nicht mehr gelesen wurden, wurden sie auch deshalb von ihnen nicht zitiert.
Traurig ist, dass sie ihre eigene Geschichte nicht kennen und dass die historische Wahrheit genau umgekehrt ist: Nicht die Katholiken haben Bücher zur Bibel hinzugefügt, sondern die Protestanten haben welche entfernt. Es geschah aber schrittweise über die Jahrhunderte. Im Nachhinein wurde das Entfernen der Bücher natürlich theologisch gerechtfertigt, indem man die betroffenen Bücher als böse bezeichnete und betonte, dass sie nicht zu Gottes Wort gehörten. Welch eine Geschichtsverdrehung! Welch eine menschliche Anmaßung, über Gottes Wort zu bestimmen!
Was ging auf diese Art verloren?
Zunächst ging das verloren, was schon Origenes an seinem Brieffreund Africanus aussetzte:
Deine anderen Einwände sind, wie mir scheint, etwas respektlos und ohne den angemessenen Geist der Frömmigkeit vorgetragen. (Ein Brief von Origenes an Africanus, Kap. 11)
Zuerst geht der Respekt gegenüber Gott und Seinem Wort verloren, dann der Geist der Frömmigkeit. Der Mangel an Gottesfurcht war immer schon das Übel, mit dem jeder Abfall von Gott begann und den Gott in der gesamten Schrift beklagt. Wer hingegen Gottesfurcht hat, der wagt es nicht, an der Reihenfolge der Bücher der Heiligen Schrift etwas zu ändern und noch weniger diese zu bewerten oder gar zu entfernen. Was ging aber verloren in dem Moment, wo diese Bücher versteckt (apokryph gemacht) oder gar eliminiert wurden?
Wenn man diese Bücher nicht hat, fehlt geschichtlich echt einiges! Denn die Bibeln, die nur den Masoretentext haben, enden geschichtlich mit Esra und Nehemia und als nächstes kommt bereits das Matthäusevangelium, mit dem Auftreten von Johannes dem Täufer. Was geschah in den Jahrhunderten dazwischen? Schwieg Gott? Handelte Gott nicht mehr? Das glauben nur Unwissende!
Denn in der Septuaginta schreibt natürlich Gott weiter Geschichte mit Seinem Volk, den Juden und Seinen treuen Nachfolgern, wie wir es in den Makkabäerbüchern lesen. Dort wird beschrieben wie treue Kinder Gottes den Märtyrertod sterben, weil sie sich nicht hellenisieren ließen. Ein alter gottesfürchtiger Mann und eine Mutter mit ihren sieben anmutigen Söhnen nahmen dieses grausame Los bereitwillig auf sich und hielten Gott trotz stundenlanger Marter die Treue. Die Hellenisierung der Juden war brutal und viele Juden wandten sich freiwillig völlig von Gott ab und wurden „Muster-Griechen“. Nur sehr wenige widerstanden tapfer und blieben Gott gehorsam und wurden dafür aber brutal öffentlich gefoltert, entstellt und hingerichtet. Der Hebräerbrief schreibt von dieser Märtyrerstelle und weist auf die Makkabäerbücher hin, die darüber berichten. Auch Jesus Christus und sein Apostel Johannes sprechen Szenen und Geschichten der Makkabäer an. Interessant ist, dass einige christliche geschichtliche Bücher oft Makkabäer zitieren. Das alles erkennen aber nur jene, die diese Bücher kennen, allen Ignoranten bleibt es verborgen.
Die Makkabäerbücher beinhalten übrigens auch wichtige Geschichten, die heute noch sinnstiftend für das moderne Judentum sind, wie etwa den Ursprung des Chanukka und das Gebot dazu, eines der wichtigsten jüdischen Feste im Jahr. In keiner anderen Schrift wird davon berichtet. Umso erstaunlicher, dass die Juden diese Geschichtsbücher als apokryph aus ihren Heiligen Schriften löschten. Es wäre so, als würden die Christen das Matthäusevangelium und Lukasevangelium aus ihren Bibeln löschen und hätten dann keine Weihnachtsgeschichte mehr.
Aber es gibt mehr als Geschichte in diesen Büchern. Sie sind in besonderer Weise messianischer als der Rest des Alten Testaments. Und sie fordern penetrant ein gerechtes, gottesfürchtiges Leben ohne Kompromisse ein, gerade auch in Zeiten größter Verfolgung und Unterdrückung durch die Staatsgewalt. Sie lehren und führen vor, wie sich jeder der Sünde enthalten und in Frömmigkeit leben kann. Das gefällt nicht jedem:
Ein Gräuel aber ist dem Sünder die Frömmigkeit (Sir 1,25)
Ein ganz bedeutender messianischer Abschnitt steht in der Weisheit Salomos. Im Buch Tobit finden wir eine Offenbarung, die schon vieles vorwegnimmt, was später Johannes in seiner Offenbarung sah und niederschrieb. Die beiden Bücher bestätigen einander. Tobit bereitete die Juden auf das Kommen des Christus vor.
Auch über Dämonen erfahren wir einiges im Buch Tobit. Im ganzem Alten Testament steht sonst nichts über Dämonen, nur im Neuen Testament steht in allen Evangelien, dass Jesus Dämonen austrieb. Die Jünger reagierten nicht unwissend und sagten „Was sind denn Dämonen?“. Sie lernten das aus dem Buch Tobit und anderen Büchern, die heute von den meisten Christen ignoriert oder verachtet werden. Wir werden hier aus Platzgründen keine neutestamentlichen Zitate aus den Apokryphen bringen, sondern machen das in eigenen Beiträgen, die alle zusammen hier zu finden sind: Apokryphen, auf die sich das NT bezieht.
Zum Abschluss wollen wir die oft vorgebrachte Kritik gegenüber den Apokryphen prüfen und die Argumente entkräften, die behaupten, dass diese Bücher nicht zum biblischen Kanon gehören.
Erstes Argument: Jesus und die Verfasser des neuen Testaments zitieren die apokryphischen Bücher nicht!
Gleich vorweg: dieses Argument ist unsinnig. Denn legt man diese Bewertungsskala an die 39 Bücher des AT, die die Protestanten haben, an, müssten viele andere Bücher aus dem Alten Testament hinaus geworfen werden. Es ist Fakt, dass ein gutes Viertel der anerkannten sogenannten kanonischen Bücher nicht von Jesus und den Verfassern des neuen Testaments zitiert werden, wie z.B. Josua, Richter, Ruth, beide Chroniken, Esra, Nehemia, Ester, Prediger, Hohelied, Nahum, Zefania und Obadja. Auch viele Psalmen, die heute sehr beliebt sind und - mit Recht - als inspiriertes Wort Gottes gelten, werden im Neuen Testament nicht zitiert, z.B. Psalm 23. Das Argument ist also ein Eigentor und scheinheilig, in jedem Fall ungeistlicher Unsinn.
Interessantes Detail: Alle Bücher, die unmittelbar vor und nach dem Exil geschrieben wurden, werden nie im Neuen Testament erwähnt. So werden Esra, Nehemia, Ester und auch die apokryphen Geschichtsbücher wie Judith, Tobit, 1. und 2. Makkabäer und erstes Buch Esra im Neuen Testament nicht erwähnt. Zumindest nicht explizit namentlich. Aber es wird auf manche Namen oder Geschichten aus diesen Büchern angespielt oder zumindest vorausgesetzt, dass die Leser des Neuen Testaments deren Inhalt kennen. Mehr dazu, wie bereits erwähnt, in eigenen Beiträgen, wo wir die Bezüge des Neuen Testaments auf die Apokryphen darlegen werden: Apokryphen, auf die sich das NT bezieht.
Zweites Argument: Keines dieser apokryphischen Bücher beansprucht für sich die Eigenschaft von Gott inspiriert zu sein.
Bitte gehe alle 39 Bücher des AT durch und lies, welche von sich behaupten, von Gott inspiriert zu sein. Was bleibt da noch übrig?
Ja es gibt Bücher, wo ausdrücklich steht, dass Gott es ihnen eingegeben hat. Zum Beispiel sagt Gott zu Mose, dass er alles aufschreiben soll. Grotesker Weise wird heute aber auch Mose als echter Autor geleugnet von vielen Bibelwissenschaftlern. Andere Geschichtsbücher wie z. B. die Chroniken, aber auch Weisheitsbücher wie Sprüche oder Prediger, hier steht auch nicht, dass Gott sie eingegeben hätte. Viele biblische Bücher nennen uns nicht mal ihre Autoren. Das gilt sowohl für das Alte wie auch das Neue Testament. Sind sie deswegen alle unecht oder nicht von Gott inspiriert?
Dieses Argument ist also auch unsinnig und haltet nicht stand.
Drittes Argument: Diese Bücher sind eigenartig und es geschehen unbiblische Ereignisse darin, deshalb können sie nicht zur Bibel gehören.
Folgender Vorfall wird in diesem Zusammenhang oft erwähnt. Er steht im 2. Buch der Makkabäer. Die gläubigen Juden kämpften mit Gottes Hilfe gegen die Griechen. Jedoch fielen einige von ihnen im Kampf. Als sie die Toten einsammelten, um sie zu begraben, bemerkten sie, dass jeder Gefallene unter seiner Kleidung einen Anhänger mit einem Götzenabbild trug. Für sie war klar, dass Gott diese Männer deshalb umkommen ließ, weil sie gegen Gott gesündigt hatten. Wieder Zuhause in Jerusalem brachten sie Gott ein Opfer und baten Gott um Vergebung für dieses gottlose Handeln ihrer Brüder gegen Ihn. Es steht nicht, dass Gott dieses Handeln akzeptierte. Sie taten das nur, weil sie an die Auferstehung glaubten, ansonsten würde das Opfer und das Gebet keinen Sinn machen.
Jahrhunderte später machte die Römisch-Katholische Kirche aus diesen Versen eine Anleitung, wie man für Tote beten kann, damit ihre Schuld geschmälert wird. Das ist eine verrückte und missbräuchliche Handhabung dieser Verse. Aber nur deshalb, weil die RKK Bibelverse missbräuchlich verwendet, kann man nicht das ganze Buch aus der Bibel schmeißen! Dann müsste man z.B. auch die Offenbarung rausschmeißen, denn die Katholische Kirche behauptet auch, dass die Frau in Offenbarung 12 die Himmelsmutter Maria wäre, was falsch ist, weil hier die Gemeinde Christi gemeint ist.
Aber so kann man doch nicht vorgehen und behaupten, weil die Bücher von manchen Menschen missbräuchlich verwendet werden, gehören diese nicht zur Bibel. Das ist absurd und gottlos. Jedes Wort Gottes kann und wird missbraucht werden. Deswegen bleibt es aber dennoch Wort Gottes. Schuld an Missbrauch und falschen Lehren ist nicht die Schrift, sondern deren häretische Ausleger - und oft zuvor deren gottlose Übersetzer!
Die Ironie ist, dass in den akzeptierten kanonischen Büchern viel heftigere Geschichten stehen als in den Apokryphen.
- Denken wir an Jeftah (Ri 11,30-40), der seine Tochter schlachtet und Gott als Brandopfer darbringt aufgrund seines Gelübdes. Würde diese Geschichte in einem der sieben apokryphen Bücher stehen, würden viele entrüstete Argumente gegen diese Bücher kommen. Aber sie steht in einem der anerkannten Geschichtsbücher und der Hebräerbrief führt Jeftah sogar noch als Glaubensheld an.
- Oder wo Gott einen Lügengeist zu allen Propheten von König Ahab schickte (1.Kön 22,22).
- Oder die Geschichte wie König Saul zu einer Wahrsagerin geht und den toten Propheten Samuel befragt.
- Oder die Geschichten wo Abraham seine Frau Sara wiederholt als seine unverheiratete Schwester ausgibt, nur damit er nicht als ihr Ehemann gilt und wegen der Schönheit seiner Frau umgebracht wird! Zweimal muss die verheiratete Sara deswegen fast einen König heiraten. Und jedes Mal wird der reingelegte Verehrer Saras in letzter Sekunde von Gott gewarnt und muss sich Abraham vor dem entrüsteten König rechtfertigen, wieso er so etwas schändliches tat, seine Ehefrau als seine ledige Schwester zu verkaufen. Eine Generation später wiederholte Isaak, der Sohn von Abraham, diesen Wahnsinn sogar, mit seiner Frau Rebekka!
- Oder die Geschichte von der Hure Rahab, die nur durch Lügen die Kundschafter Israels rettet und dafür von Gott belohnt und sogar in den Stammbaum von Jesus Christus eingereiht wird!
- Oder die Unzucht, Massenmorde, hundertfache Tierquälerei und den Selbstmord von Simson! Auch ihn zählt der Hebräerbrief zu den Glaubenshelden.
- Oder die Geschichte, wo sich David wie ein tollwütiges Tier benimmt, nur damit er freigelassen wird.
- Oder die Geschichte von dem Mann, der seine Frau dem lustgierigen Mob auf der Straße ausliefert und als sie am nächsten Morgen zu Tode vergewaltigt auf seiner Türschwelle liegt, er ihre Leiche in 12 Stücke zerschneidet und zu allen Stämmen Israels schickt!
Undsoweiterundsofort. Man könnte noch stundenlang so weiter machen. Würden diese Geschichten in den Apokryphen stehen, würden sie verrissen werden und als Beweis gelten, dass sie nicht von Gott kommen. Weil sie aber in den anderen 39 Büchern stehen, gelten sie als inspiriert. Das ist Doppelmoral. Was hält Gott davon?
Zweierlei Gewicht und zweierlei Maß, die sind beide dem HERRN ein Gräuel! (Sprüche 20,10)
Es gibt noch einige andere Argumente, die oft gegen die Apokryphen vorgebracht werden. Wir befassen uns damit in dem Beitrag Widerlegung aller Argumente gegen die Apokryphen. Sie alle kommen mit der selben Respektlosigkeit und dem selben Mangel an Gottesfurcht daher wie die Argumente, mit denen sich schon Origenes im dritten Jahrhundert befassen musste. Er widerlegte sie alle fachkundig. Am Ende regte er als Antwort auf all die Einwände ein Loblied an:
Ich könnte, besonders nach all diesen Vorwürfen,
ein Loblied auf diese Geschichte der Susanna singen,
indem ich Wort für Wort auf sie eingehe
und die Vorzüglichkeit der Gedanken darlege.Ein solches Loblied mag vielleicht
ein gelehrter und fähiger Student der göttlichen Dinge
zu einem anderen Zeitpunkt verfassen.(Origenes, Ein Brief von Origenes an Africanus, Kap. 15)