Macht das Sinn, dass heute Christen den Schriften folgen, die die blinden Blindenführer - wie Jesus Christus die jüdischen Pharisäer und Schriftgelehrten nannte - hervorbrachten? Oder sollten wir das Alte Testament lesen, welches Jesus, Seine Apostel, die frühen Christen, also seine treue Gemeinde hatte?
Im 4. Jahrhundert entschied sich die neu aufgestellte Kirche unter Kaiser Konstantin den biblischen Kanon offiziell und endgültig schriftlich festzulegen. Alle christlichen Nachschlagewerke, seien sie von den Katholiken oder Protestanten, betonen einen Punkt, nämlich dass beim Konzil im 19. Jahrhundert, die 27 Bücher im Neuen Testament bestätigt wurden. Was oft nicht erwähnt wird ist, dass in diesem Konzil ganz offiziell die 47 Bücher des Alten Testaments der Septuaginta ebenso bestätigt wurden! Natürlich waren auch die Bücher enthalten, die man heute die Apokryphen nennt. All diese Bücher wurden als inspirierte Heilige Schrift bezeichnet! Nicht nur das! Wir haben antike Schriften, in diesen werden die apokryphischen Bücher zitiert. Bis zur Reformation gab es kein Altes Testament, das diese Bücher nicht enthielt! Erst Martin Luther warf diese Bücher aus der Bibel raus und so hatten die Protestanten nur mehr 39 Bücher im AT. Aber warum? Und wie geschah es, dass diese heute oft als böse Bücher angesehen werden?
Dieser Vorgang geschah in drei Schritten. Wir wissen wann es geschah und wer es verursachte.
Schritt eins:
Im 4. Jahrhundert gab Papst Damasus I. einem gewissen Hieronymus den Auftrag, eine offizielle lateinische Bibelübersetzung der katholischen Kirche herauszubringen, die Vulgata. Jeder Übersetzer hatte bis zu diesem Zeitpunkt immer von der Septuaginta übersetzt. Hieronymus war jedoch stark von den Juden beeinflusst und entschied eigenmächtig, dass der Masoretentext der Juden zur Übersetzung herangezogen werden sollte. Deshalb stimmen oft die neutestamentlichen Zitate nicht mit dem Alten Testament überein. Der Grund ist, die Apostel zitieren wortgetreu die LXX. Da viele Bücher nicht im Masoretentext enthalten waren und Hieronymus wusste, dass es einen Glaubenskrieg geben würde, falls er sie nicht in die Vulgata aufnehmen würde, entschied er sich, diese von der LXX zu übersetzten und verpasste allen diesen „apokryphischen“ Büchern ein Vorwort, in dem er sie herabwürdigte und meinte, diese Bücher sind unbedeutender als die anderen 39 Bücher. Hieronymus war es auch, der ihnen zum ersten Mal offiziell den Namen Apokryphen gab, was „versteckt“ bedeutet, um sie abzuwerten.
Das Inhaltsverzeichnis des Alten Testaments in der Biblia Sacra Vulgata Hieronymiana versio sieht demnach so aus:
Latein (Vulgata) | Deutsch (Luther) |
---|---|
Pentateuchus | Pentateuch |
Genesis | 1. Mose |
Exodus | 2. Mose |
Leviticus | 3. Mose |
Numeri | 4. Mose |
Deuteronomium | 5. Mose |
Libri historici veteris testamenti | Geschichtsbücher des Alten Testaments |
Iosue | Josua |
Iudices | Richter |
Ruth | Ruth |
Samuelis liber I | 1. Samuel |
Samuelis liber II | 2. Samuel |
Regum liber I | 1. Könige |
Regum liber II | 2. Könige |
Paralipomenon liber I | 1. Chronik |
Paralipomenon liber II | 2. Chronik |
Esdrae liber I | 1. Esdras |
Esdrae liber II | 2. Esdras (Esra und Nehemia) |
Tobias | Tobit |
Iudith | Judith |
Esther | Esther |
Libri didactici veteris testamenti | Weisheitsbücher des Alten Testaments |
Iob | Hiob |
Psalmorum liber/Psalterium iuxta Hebraeos | Psalmen / Der Hebräische Psalter |
Psalmorum liber/Psalterium Gallicanum | Psalmen/ Der gallische Psalter |
Proverbia | Sprüche |
Ecclesiastes | Prediger |
Canticum canticorum | Lied der Lieder / Hoheslied |
Sapientia | Weisheit |
Ecclesiasticus | Jesus Sirach |
Libri prophetici veteris testamenti | Prophetische Bücher des Alten Testaments |
Isaias | Jesaja |
Ieremias | Jeremia |
Lamentationes | Klagelieder |
Baruch | Baruch |
Ezechiel | Hesekiel |
Daniel | Daniel |
Osee | Hosea |
Ioel | Joel |
Amos | Amos |
Abdias | Obadja |
Ionas | Jona |
Michaea | Micha |
Nahum | Nahum |
Habacuc | Habakuk |
Sophonias | Zephanja |
Aggaeus | Haggai |
Zacharias | Sacharja |
Malachias | Maleachi |
Libri historici novissimi veteris testamenti | Die letzten Geschichtsbücher des Alten Testaments |
Machabaeorum liber I | 1. Makkabäer |
Machabaeorum liber II | 2. Makkabäer |
Apocryphi | Apokryphen |
Psalmus CLI | Psalm 151 |
Oratio Manassae regis Iuda | Das Gebet des Manasse, König von Juda |
Esdrae liber III | 3. Esdras |
Esdrae liber IV | 4. Esdras |
Fett sind alle Bücher markiert, die später als Apokryphen galten. Man sieht, dass die meisten davon noch im normalen Kanon geführt wurden bis auf vier, die ans Ende in die Rubrik Apokryphen verschoben wurden. Zwar blieben sie alle als inspirierte Bücher in der Bibel, aber - wie erwähnt - wurden sie herabgewürdigt. Über diese Vorgangsweise gab es damals noch heftige Kritik in der Kirche!
Nachdem die Vulgata herausgegeben wurde, brachen die Barbaren über das Römische Reich herein. Das lenkte auch die Kirche ab, die inzwischen zur römischen Staatskirche geworden war. Und so geriet die Kritik an der Herabwürdigung einiger inspirierter Bücher als Apokryphen in den Hintergrund und die Vulgata setzte sich als die katholische Bibel durch. Sie ist bis zum heutigen Tag die einzige offizielle Bibel der Römisch-Katholischen Kirche.
Schritt zwei:
Im 16. Jahrhundert kreierte der deutsche Augustinermönch Martin Luther eine neue Bibelübersetzung und wollte Bücher aus der Bibel rauswerfen, die seiner Theologie „allein aus Glaube“ nicht entsprachen. Er stieß aber auf so heftige Kritik, dass er sich das nicht getraute. Jedoch veränderte er eigenmächtig die Reihenfolge der neutestamentlichen Bücher und schrieb ein Vorwort, worin er sie gemäß seiner Theologie auf- oder abwertete. Im Alten Testament machte er es ähnlich: er gruppierte die verdächtigen acht Bücher (siehe unten) und platzierte sie unter den Namen Apokryphen genau zwischen dem Alten und Neuen Testament. Das sah in der Lutherbibel von 1545 so aus:
Apocrypha: das sind Bücher: so der heiligen Schrifft nicht gleich gehalten /vnd doch nützlich vnd gut zu lesen sind / Als nemlich /
I Judith.
II Sapientia.
III Tobias.
IIII Syrach.
V Baruch.
VI Maccabeorum.
VII Stücke in Esther.
VIII Stücke in Daniel.
Er fügte ein Vorwort zu den Apokryphen hinzu, demzufolge man diese Bücher für geistliches Wachstum lesen könne, aber sie nicht als Lehre ansehen dürfe. So gehörten sie plötzlich nicht mehr zum biblischen Kanon, sondern waren nur Zusatzmaterial, zum geistlichen Wachstum. Später wurden die Namen der Bücher besser eingedeutscht. Die Lutherbibel 2017 kommt mit folgenden sieben Apokryphen am bibleserver des ERF daher:
- Tobit
- Judit
- 1. Makkabäer
- 2. Makkabäer
- Weisheit
- Jesus Sirach
- Baruch
Das brachte der Lutherbibel 2017 übrigens nicht wenig Kritik von protestantischen und freikirchlichen Kreisen ein, die lieber völlig auf die Apokryphen verzichtet hätten und gar nicht daran erinnert werden möchten, dass diese Bücher irgendwann einmal in der Bibel waren, auch in der Lutherbibel.
Zur Erinnerung:
- Im ersten Schritt wurden die Bücher als Apokryphen bezeichnet und durch eine Notiz herabgewürdigt.
- Im zweiten Schritt wurden sie aus dem biblischen Kanon herausgelöst, in den Anhang nach hinten verschoben, und dienten nur mehr als geistliches Zusatzmaterial.
Interessant ist, dass die Täuferbewegung, die zeitgleich mit Luther war, Luthers Vorgehen nicht übernahm. Egal ob man den Märtyrerspiegel liest, oder Menno Simons, oder die anderen frühen Wiedertäufer, wie Michael Sattler usw., sie alle zitieren frei diese Bücher und verwenden sie, um biblische Lehre zu untermauern. Sie machen keinen Unterschied zwischen den sieben apokrypischen Büchern und den anderen alttestamentlichen Büchern. Und sie zitieren alle sieben.
Interessantes Detail: Die Wiedertäufer zitierten das Buch Jesus Sirach doppelt so oft wie den Römerbrief! Das war das Gegenprogramm zu Martin Luther, der den Römerbrief über alle anderen Bücher hob.
Ab diesem Zeitpunkt gab es weitere Bibelübersetzungen, die es Luther nachmachten. Die Bibelübersetzung von Calvin übernahm sogar Luthers Vorwort. Ihr taten es andere Bibelübersetzungen nach, nur die King James Version 1611 übernahm Luthers Vorwort nicht. Sie beinhaltete auch fast zweihundert Jahre lang vollständig alle Apokryphen.
Schritt drei:
Im Jahr 1826 beschloss dann aber die Britische Bibelgesellschaft die King James Version ohne die Apokryphen zu drucken, um Druckkosten zu sparen. Diese Bibeln wurden für evangelistische Zwecke und für die Mission verwendet und gelangten so auch nach Übersee. Nach ein paar Jahrzehnten waren diese Bibeln auf der ganzen Welt in den Kirchen und Gemeinden zu finden. So gerieten die Apokryphen bei den Protestanten völlig in Vergessenheit. Folgendes Sprichwort wird tragend: „Aus den Augen, aus dem Sinn!“
Wenn ein Protestant nun bemerkte, dass die katholische Bibel Bücher enthielt, die seine Bibel nicht enthielt, wurde ihm folgende Erklärung gegeben: Die Katholiken hätten diese Bücher zur Bibel hinzugefügt. Ab diesem Zeitpunkt wurden besagte Bücher in den Augen der Protestanten als böse betrachtet und so wurden sie als Apokryphen verworfen. Denn schließlich darf man nichts zu Gottes Wort hinzufügen, das steht ja schon in der „Bibel“. Das Wort apokryph wurde als Synonym für böse verstanden. Da sie von den Protestanten seit Jahrhunderten nicht mehr gelesen wurden, wurden sie auch deshalb von ihnen nicht zitiert.
Traurig ist, dass sie ihre eigene Geschichte nicht kennen und dass die historische Wahrheit genau umgekehrt ist: Nicht die Katholiken haben Bücher zur Bibel hinzugefügt, sondern die Protestanten haben welche entfernt. Es geschah aber schrittweise über die Jahrhunderte. Im Nachhinein wurde das Entfernen der Bücher natürlich theologisch gerechtfertigt, indem man die betroffenen Bücher als böse bezeichnete und betonte, dass sie nicht zu Gottes Wort gehörten. Welch eine Geschichtsverdrehung! Welch eine menschliche Anmaßung, über Gottes Wort zu bestimmen!
Was ging auf diese Art verloren?