• Warum Jesus den hebräischen Text nicht brauchen kann
Jesaja 29 in der LXX Deutsch

Wie ein Streit zwischen Jesus und den Pharisäern aufdeckt, dass der Masoretentext nicht von Gott kommt, sondern von Menschen.

Da kamen die Schriftgelehrten und Pharisäer von Jerusalem zu Jesus und sprachen: Warum übertreten deine Jünger die Überlieferung der Alten? Denn sie waschen ihre Hände nicht, wenn sie Brot essen.

Er aber antwortete und sprach zu ihnen: Und warum übertretet ihr das Gebot Gottes um eurer Überlieferung willen? Denn Gott hat geboten und gesagt: »Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren!« und: »Wer Vater oder Mutter flucht, der soll des Todes sterben!« Ihr aber sagt: Wer zum Vater oder zur Mutter spricht: Ich habe zur Weihegabe bestimmt, was dir von mir zugutekommen sollte!, der braucht auch seinen Vater oder seine Mutter nicht mehr zu ehren. Und so habt ihr das Gebot Gottes um eurer Überlieferung willen aufgehoben. Ihr Heuchler! Treffend hat Jesaja von euch geweissagt, wenn er spricht: »Dieses Volk naht sich zu mir mit seinem Mund und ehrt mich mit den Lippen, aber ihr Herz ist fern von mir. Vergeblich aber verehren sie mich, weil sie Lehren vortragen, die Menschengebote sind.« [Mt 15,1-9]

Es ist eigentlich ein typischer Streit wie viele andere in der Bibel zwischen den Pharisäern und Jesus: die Pharisäer kommen zu Jesus und stellen eine Frage, die in Wahrheit eine Anschuldigung ist und dem Volk öffentlich zeigen soll, dass Jesus kein heiliger Mann sein kann, weil Er tatenlos zusieht wie Seine Jünger heilige Gebote - in dem Fall ungeschriebene Gesetze - missachten. Und der Streit endet ebenso typisch wie jeder andere, den Menschen mit Jesus haben: Jesus durchschaut die Falschheit, die Widersprüche, die Gottlosigkeit Seiner Gegner und zerschmettert den Angriff auf Ihn mit Zitaten aus der Heiligen Schrift. Er hält den menschlichen Worten Gottes Worte entgegen. So auch hier.

Die Diskussion ist durchaus interessant und bietet 2000 Jahre später auch für unsere Zeit noch erheblichen Zündstoff. Es geht vordergründig um das Händewaschen. Ich muss jedes Mal schmunzeln wenn ich das lese, gerade in Coronazeiten, wo das Händewaschen sogar behördlich vorgeschrieben wurde. Viele Menschen waschen sich aus Angst vor Viren (oder aus Angst vor behördlichen Strafen, man weiß es nicht so genau) demonstrativ oft die Hände, meist nicht nur mit Wasser, sondern mit Desinfektionsmitteln, die allerlei aggressive Chemikalien beinhalten. Die Römisch-Katholische Kirche soll in ihren Kirchengebäuden sogar die Weihwasserbecken trocken gelegt und davor Desinfektionsmittelspender aufgestellt haben. Offenbar vertreibt Weihwasser nur harmlose Feinde wie den Teufel, aber nicht wirklich gefährliche wie ein gekröntes Virus. Die Maßnahme wirkt in zwei Richtungen: erstens bemerken Menschen, die sich derart oft die Hände desinfizieren, dass die Haut immer dünner und brüchiger wird und anfängt zu schmerzen. Kinder entwickeln zunehmend Waschzwänge, schlagen Psychologen Alarm. Zweitens spaltet das die Menschen. Die Einen waschen aus Sicht der Anderen sich zu wenig die Hände und werden dafür mit erhobenem Zeigefinger zur Rede gestellt. Genau das war offenbar schon zur Zeit Jesu der Fall. Und es gibt noch eine entlarvende Parallele zu heute: das Händewaschgebot, das so autoritär von der Obrigkeit eingefordert wird, stammt nicht von Gott sondern von Menschen!

Bemerkenswert, ja lehrreich, ist die Reaktion Jesu auf die Anschuldigung. Er bestreitet sie nicht. Er versucht auch nicht, sich und Seine Jünger irgendwie heraus zu reden. Er entschuldigt sich auch nicht. Und Er bestreitet nicht, dass die Pharisäer aus ihrer Sicht recht haben. Es stimmt, es gibt eine Überlieferung der Alten. Und ja, es stimmt, Jesus und Seine Jünger halten sich nicht daran. Aber das ist Jesus gar kein Wort wert, stattdessen holt Er zum Gegenangriff aus, würden heute Politiker sagen. Aber verhält sich hier Jesus wirklich wie ein Politiker? Hält Er Angriff für die beste Verteidigung? Mitnichten! Jesus verhält sich nicht wie ein Politiker, sondern wie ein Lehrer. Er erteilt Seinen Gegnern eine Lehre. Wie immer übrigens. Er zeigt seinen Gegnern ihre Irrtümer und stellt sie als Schauspieler, als Heuchler dar. Sie machen nur eine Show. Ihnen geht es gar nicht um Gebote, um die Maßnahmen an sich, sondern nur um die Unterwerfung anderer unter sie. Auch da erkennen aufmerksame Beobachter eine unübersehbare Parallele zu heute. Jesus erklärt ihnen, dass es noch andere Gebote gibt, viel höhere, nämlich jene von Gott. Und die sollten sie zuerst mal halten.

Solange die Menschen nicht die Gebote Gottes halten, brauchen sie sich gar nicht um die Gebote von Menschen kümmern. Doch es geschieht umgekehrt: Die Menschen, noch dazu welche, die sich selbst als Kinder und sogar Vertreter Gotts fühlen, heben Gottes Gebote auf, um ihrer eigenen Gebote willen. Auch das ist eine Parallele zu heute, eine erschreckende noch dazu. Jesus beweist Seinen Gegnern, dass Er Recht hat, anhand eines konkreten Beispiels, das wir hier nicht näher ausführen müssen. Tatsächlich ist es nur eines von vielen. Und heute haben wir noch viel mehr menschliche Gebote, die Gottes Gebote aufheben. Das wäre eine eigene Abhandlung wert und soll hier aber nicht das Thema sein. Es geht jetzt vielmehr um Jesu Urteil.

Jesus gibt Seinen Gegnern zu verstehen, dass all das nicht überraschend für ihn kommt, weil es schon vor langer Zeit von einem Propheten namens Jesaja vorhergesagt wurde. Aber der Prophet Jesaja wurde nicht heimlich zu Jesus gesandt um ihn zu verraten was ihn alles auf Erden erwarten würde, sondern zu den Juden, um sie zu warnen und zurechtzuweisen, damit sie Buße täten! Das haben sie leider völlig verschlafen und missachtet. Immer und immer wieder. Und nun stehen sie vor Jesus und bekommen das seit Jahrhunderten verlautbarte prophetische Urteil ins Gesicht geschleudert: 

»Dieses Volk naht sich zu mir mit seinem Mund und ehrt mich mit den Lippen, aber ihr Herz ist fern von mir. Vergeblich aber verehren sie mich, weil sie Lehren vortragen, die Menschengebote sind.«

Gott spricht hier zuerst durch Jesaja und danach durch Jesus zu Seinem Volk und verurteilt es, weil es Ihn nur dem Schein nach ehrt, aber nicht echt. Das ist das Kernproblem des Volkes Gottes immer schon gewesen. Gott nennt auch das Kriterium an dem Er misst, ob ein Menschen sich von Herzen Ihm nähern oder nur pro forma: daran, welche Gebote sie halten. Wenn sie sich lieber um das Halten von menschliche Lehren kümmern, dann ist alles vergeblich. Oder mit den Worten von Jesus und Jesaja: »Vergeblich aber verehren sie mich, weil sie Lehren vortragen, die Menschengebote sind.«

Sind das aber wirklich die Worte Gottes, die Er durch Jesaja zum Volk Israel sprach? Schlagen wir im Buch Jesaja nach:

Weiter spricht der Herr: Weil sich dieses Volk mit seinem Mund mir naht und mich mit seinen Lippen ehrt, während es doch sein Herz fern von mir hält und ihre Furcht vor mir nur angelerntes Menschengebot ist, siehe, so will auch ich künftig mit diesem Volk wundersam, ja überaus wundersam und verwunderlich umgehen; und die Weisheit seiner Weisen soll zunichtewerden und der Verstand seiner Verständigen unauffindbar sein. [Jes 29,13+14, SCH2000]

Zwei Dinge sollten jedem aufmerksamen Leser auffallen: erstens hat Jesus mitten in einem Satz aufgehört zu zitieren, was nicht verwerflich ist, und zweitens hat Er aber anscheinend einen Halbsatz hinzugedichtet. Denn Jesaja schreibt nichts von wegen »Vergeblich aber verehren sie mich«, oder? Das ist aber die Kernaussage, auf die Jesus abzielt! Die selbe Rede mit der selben Pointe wird übrigens auch nochmal im Markusevangelium überliefert:

Er aber antwortete und sprach zu ihnen: Trefflich hat Jesaja von euch Heuchlern geweissagt, wie geschrieben steht: »Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, doch ihr Herz ist fern von mir. Vergeblich aber verehren sie mich, weil sie Lehren vortragen, die Menschengebote sind.« Denn ihr verlasst das Gebot Gottes und haltet die Überlieferung der Menschen ein, Waschungen von Krügen und Bechern; und viele andere ähnliche Dinge tut ihr.  [Mk 7,6-8]

Markus bestätigt das volle Zitat Jesu. Es ist also kein Ausrutscher von Matthäus. Da steckt ein und dieselbe Wahrheit dahinter. Das steckt eine Lehre dahinter. Der Herr Jesus wollte Seinen Widersachern zeigen, dass ihr ganzer Gottesdienst, ihre Frömmigkeit, ihr Getue um Gott und die Gebote vergeblich ist! Jesus hätte das natürlich auch von sich aus auch sagen können, aber Er ruft den von den Pharisäern hochgeschätzten Prophet Jesaja als Zeuge und Wortführer herbei. Doch in welcher Bibel schreibt denn das Jesaja überhaupt? Hier eine Liste der besagten Stelle in den gängigsten deutschen Bibeln zur Veranschaulichung:

  Jesaja 29,13
LUT2017 Und der Herr sprach: Weil dies Volk mir naht mit seinem Munde und mit seinen Lippen mich ehrt, aber ihr Herz fern von mir ist und sie mich fürchten nur nach Menschengeboten, die man sie lehrt
ELB Und der Herr hat gesprochen: Weil dieses Volk mit seinem Mund sich naht und mit seinen Lippen mich ehrt, aber sein Herz fern von mir hält und ihre Furcht vor mir nur angelerntes Menschengebot ist;
Hfa So spricht der Herr: »Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, aber mit dem Herzen sind sie weit weg von mir. Ihre Frömmigkeit beruht nur auf Vorschriften, die Menschen aufgestellt haben.
Und der Herr sprach: Weil dieses Volk sich mit seinem Mund und mit seinen Lippen genähert hat, weil sie mich so zwar geehrt haben, sein Herz aber fern ist von mir und ihre Furcht vor mir nur angelernter Befehl von Menschen war,
GN Der Herr hat gesagt: »Dieses Volk da behauptet, mich zu ehren. Aber sie ehren mich nur mit Worten, mit dem Herzen sind sie weit weg von mir. Ihr ganzer Gottesdienst ist sinnlos, denn er besteht nur in der Befolgung von Vorschriften, die Menschen sich ausgedacht haben.
Der Herr sagte: Weil dieses Volk sich mir mit seinem Mund näherte / und mich mit seinen Lippen ehrte, sein Herz aber fernhielt von mir und weil ihre Furcht vor mir / zu einem angelernten menschlichen Gebot wurde,
NLB Der Herr hat gesagt: »Dieses Volk sucht meine Nähe nur mit dem Mund und ehrt mich nur mit Lippenbekenntnissen. In seinem Herzen aber hält es einen weiten Abstand von mir. Seine Furcht vor mir erschöpft sich in auswendig gelernten Sprüchen.

Jeder kann das mit jeder beliebigen Bibel zu Hause nachprüfen und wird zu dem selben Ergebnis kommen: Jesaja schreibt nicht »Vergeblich aber verehren sie mich«. In jeder Bibel ist das so, die den Masoretentext als Grundtext für ihr Altes Testament benützt. Die einzige Bibel in der Tabelle, die aus der Reihe tanzt, ist bei genauer Betrachtung die Gute Nachricht. Sie hat den Beisatz „Ihr ganzer Gottesdienst ist sinnlos“. Warum? Weil sie im Alten Testament teilweise die Septuaginta verwendet, und dort liest man:

Und der Herr sprach: »Dieses Volk naht sich mir, mit ihren Lippen ehren sie mich, ihr Herz aber ist weit entfernt von mir; vergeblich aber verehren sie mich, weil sie Menschengebote und -lehren erteilen. Darum siehe, ich werde fortfahren, dieses Volk umzuwandeln, und werde sie umwandeln und werde die Weisheit der Weisen vernichten und die Einsicht der Einsichtigen verbergen.« [Jesaja 29,13+14, Septuaginta Deutsch]

Und plötzlich stimmt Jesu Zitat wieder vollständig und wörtlich. Damit ist nicht nur wieder ein weiteres Mal bewiesen, dass Jesus Christus stets die Septuaginta las, daraus lehrte und sie zitierte, sondern dass auch nur die Septuaginta das Heilige Wort Gottes ist. Denn der Masoretentext hat (wieder einmal) die Pointe weggelassen und sich damit als menschliches Machwerk enttarnt. Er wurde übrigens Jahrhunderte nach diesem Streit von den Nachfahren der Pharisäer geschrieben, die von Jesus hier anhand von Jesaja ins Gesicht gesagt bekamen, dass sie vergeblich Gott verehren. Jahrhunderte später strichen sie diese Zeile aus ihren Heiligen Schriften. Doch auch das wird am Ende vergeblich sein.

Die meisten Christen nehmen das widerspruchslos hin, viele sind sogar so verschlafen, dass sie es gar nicht mal bemerken. Sollten Christen aber nicht besonders wachsam sein und auf Jesus schauen und Ihn nachahmen? Wie kann ihnen dann so ein wichtiges Zitat entgehen und sie sich von menschlichen Schriften der Pharisäer, die sich später Masoreten nannten, ihre Bibeln verunstalten lassen? Wer wird sich am Ende von Jesus Christus jene Worte erneut anhören müssen: »vergeblich aber verehren sie mich, weil sie Menschengebote und -lehren erteilen«?