Irenäus

Er wuchs in der von Jesus hoch gelobten Gemeinde auf, hatte die besten Lehrer seiner Zeit, und schrieb wegweisende Bücher.

Irenäus wuchs in der Gemeinde in Smyrna (heutiges Izmir in der Türkei, damals Griechisch) auf, die einzige Gemeinde, die von Jesus in den sieben Sendschreiben nicht getadelt wird (Off 2,8-11). Es spricht also alles dafür - von seinen hervorragenden Lehrern bis hin zum Zeugnis aus Christi Mund persönlich - dass er in dieser tadellosen Gemeinde die reine und gesunde Lehre erhielt gemeinsam mit der besten Praxis. Überhaupt wo sein Lehrer der vielgerühmte und geschätzte Polykarp von Smyrna war! Somit hatte Irenäus eine unterbrechungsfreie Überlieferungskette zu dem Apostel Johannes und wurde in einer Gemeinde erzogen, wo Menschen lebten, die noch die Apostel persönlich kannten. Irenäus schreibt selbst über jene Zeitzeugen:

Dasselbe hat auch Polykarp immer gelehrt, wie er es von den Aposteln gelernt und der Kirche es überliefert hatte, und wie es auch allein die Wahrheit ist. Er war nicht allein von den Aposteln unterrichtet und hatte noch mit vielen verkehrt, die unsern Herrn Christus gesehen haben, sondern war von den Aposteln auch zum Bischof von Smyrna für Kleinasien eingesetzt worden. Auch wir sahen ihn noch in unserer Jugend; denn er lebte gar lange und erlitt erst in hohem Greisenalter ein sehr ruhmreiches und denkwürdiges Martyrium. Mit seiner Lehre stimmen alle Kirchen in Asien und die Nachfolger des Polykarp überein, und sein Ansehen ist gewiß größer und sein Zeugnis zuverlässiger als das des Valentin und Markion und der übrigen Narren. Unter Anicet führte Polykarp bei seinem Aufenthalt in Rom viele von den genannten Häretikern in die Kirche zurück, indem er predigte, daß er einzig und allein die Wahrheit von den Aposteln empfangen habe, die auch von der Kirche überliefert worden ist. Noch leben die, welche ihn erzählen hörten, daß Johannes, der Schüler des Herrn, einst in Ephesus ein Bad nehmen wollte; wie er aber drinnen den Cerinth erblickte, sprang er ungebadet aus dem Bade heraus, indem er sagte, er fürchte, daß das Bad einstürze, wenn Cerinth, der Feind der Wahrheit, drinnen sei. So begegnete auch einst Polykarp dem Markion, und als dieser ihn fragte: „Kennst du mich?“ antwortete er ihm: „Ich kenne dich, du Erstgeborener des Satans!“ (Irenäus, Contra Haereses Gegen die Häresien (BKV), Drittes Buch, 3. Kapitel: Was wahre Tradition ist)

Man kann hier gut erkennen, wie lebendig die Geschichte noch für Irenäus ist, wie viel er von der reichhaltigen mündlichen Überlieferung - die uns heute nur noch bruchstückhaft durch Zeugen wie ihn erhalten geblieben ist - noch kannte, und wie nah er noch an den Aposteln und den von ihnen gegründeten und unterwiesenen Gemeinden ist und wie er sich schon auf seine große Aufgabe konzentrierte, für die er später wegweisend und vielgerühmt werden würde im Christentum: sein Kampf gegen Irrlehrer und Irrlehren aller Art, die er ausführlich studierte und widerlegte. Insbesondere die Gnosis, die schon Paulus bekämpfte, beschrieb und entlarvte Irenäus ausführlichst. Seine fünf Bücher Gegen die Häresien, sollten das Standardwerk zur Glaubensverteidigung und Anleitung, wie man Irrlehren erkennt und widerlegt, des frühen Christentums werden. Auch heute noch könnten diese Bücher eine unschätzbare Hilfe sein, wenn sie denn gelesen und beherzigt würden. Denn eine klarere, ausführlichere und bessere Arbeit zu diesem Thema gibt es nicht und die Methoden und Hirngespinste der Irrlehrer sind bis heute gleich geblieben. Auch heute ist die Gnosis die vorherrschende Irrlehre im Christentum, das mittlerweile von ihr völlig durchdrungen ist, denn der Kampf dagegen wurde schon lange nicht mehr geführt.

Irenäus schrieb aber noch mehr Bücher, von denen uns leider die meisten nicht mehr erhalten sind:

Gegen die, welche in Rom die gesunde Ordnung der Kirche störten, verfaßte Irenäus verschiedene Briefe. Einen betitelte er „An Blastus über das Schisma“, einen anderen „An Florinus über die Monarchie oder daß Gott nicht der Urheber des Bösen sei“. Diese Meinung schien nämlich Florinus zu verfechten. Wegen dieses Mannes, der sich zum Irrtum des Valentinus hinüberziehen ließ, verfaßte Irenäus auch noch die Studie „Über die Achtzahl“. Darin gibt er auch zu erkennen, daß er der ersten nachapostolischen Generation nahegestanden. Ebendort haben wir gegen Ende des Buches eine sehr beachtenswerte Bemerkung gefunden, die wir unserer Schrift einfügen zu müssen glauben. Sie lautet: „Wenn du dieses Buch abschreiben willst, dann beschwöre ich dich bei unserem Herrn Jesus Christus und bei seiner glorreichen Wiederkunft, wann er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten, daß du deine Abschrift sorgfältig vergleichest und nach dieser Urschrift berichtigest, von der du sie abgeschrieben hast. Auch diese Beschwörung sollst du in gleicher Weise abschreiben und deinem Exemplare beigeben!“ Diese heilsame Bemerkung des Irenäus geben wir wieder, auf daß wir jene alten, wahrhaft heiligen Männer als schönstes Beispiel einer äußerst gewissenhaften Sorgfalt vor Augen haben. In dem vorhin erwähnten Briefe an Florinus gedenkt Irenäus auch seines Verkehrs mit Polykarp, wenn er sagt: „Diese deine Lehren, Florinus, sind — um mich schonend auszudrücken — nicht gesunder Anschauung entsprungen. Diese Lehren widersprechen der Kirche; sie stürzen ihre Bekenner in die größte Gottlosigkeit. Selbst die außerhalb der Kirche stehenden Häretiker haben niemals solche Lehren aufzustellen gewagt. Auch die vor uns lebenden Presbyter, die noch mit den Aposteln verkehrten, haben dir diese Lehren nicht überliefert. Denn als ich noch ein Knabe war, sah ich dich im unteren Asien bei Polykarp; du hattest eine glänzende Stellung am kaiserlichen Hofe und suchtest die Gunst Polykarps zu erwerben. Ich kann mich nämlich viel besser an die damalige Zeit erinnern als an das, was erst vor kurzem geschah; denn was man in der Jugend erfährt, wächst mit der Seele und bleibt mit ihr vereint. Daher kann ich auch noch den Ort angeben, wo der selige Polykarp saß, wenn er sprach, auch die Plätze, wo er aus- und einging, auch seine Lebensweise, seine körperliche Gestalt, seine Reden vor dem Volke, seine Erzählung über den Verkehr mit Johannes und den anderen Personen, welche den Herrn noch gesehen, seinen Bericht über ihre Lehren, ferner das, was er von diesen über den Herrn, seine Wunder und seine Lehre gehört hatte. Alles, was Polykarp erfahren von denen, die Augenzeugen waren des Wortes des Lebens, erzählte er im Einklang mit der Schrift. Seine Worte habe ich durch die mir gewordene Gnade Gottes damals mit Eifer aufgenommen; nicht auf Papier, sondern in mein Herz habe ich sie eingetragen. Ich erinnere mich auch immer wieder durch die Gnade Gottes genau daran. Vor Gott kann ich bezeugen, daß, wenn jener selige, apostolische Presbyter solche Irrlehren gehört hätte, er laut aufgeschrien, sich die Ohren verstopft und seiner Gewohnheit gemäß ausgerufen hätte: ‚O guter Gott, für welche Zeiten hast du mich aufbewahrt, daß ich solches erleben muß!’ Er wäre fortgeeilt von dem Orte, an dem er sitzend oder stehend solche Lehre vernommen hätte. Diese Wahrheiten werden bestätigt durch die Briefe, welche Polykarp teils an benachbarte Gemeinden, die er zu befestigen suchte, teils an einzelne Brüder, die er mahnte und ermunterte, geschrieben hat.“ So berichtet Irenäus. (Eusebius von Cäsarea, Historia Ecclesiastica, Kirchengeschichte (BKV), Fünftes Buch, 20. Kap. Schreiben des Irenäus an die Schismatiker in Rom.)

Außer den angeführten Schriften und Briefen des Irenäus ist von ihm noch vorhanden eine sehr kurze, überaus schlagende Schrift gegen die Hellenen mit dem Titel „Über die Wissenschaft“, und eine Schrift „Zum Erweise der apostolischen Verkündigung“, welche er einem Bruder namens Marcian widmete, und ein „Buch verschiedener Reden“, in welchem er den Brief an die Hebräer und die sog. Weisheit Salomons erwähnt und daraus einige Worte zitiert. Dies sind die Schriften des Irenäus, welche zu unserer Kenntnis gekommen sind. (Eusebius von Cäsarea, Historia Ecclesiastica Kirchengeschichte (BKV), Fünftes Buch, 26. Kap. Überlieferte klassische Schriften des Irenäus)

Welch hervorragenden Ruf Irenäus schon zu Lebzeiten genoss, bekundet dieser Abschnitt der Kirchengeschichte:

Dieselben Märtyrer empfahlen dem erwähnten römischen Bischof auch Irenäus, der damals bereits Priester der Kirche von Lugdunum war. Sie stellten dem Manne ein sehr rühmliches Zeugnis aus, wie die folgenden Worte bekunden: „Wir beten für dich, Vater Eleutherus, um Freude in Gott jetzt und immer. Unseren Bruder und Genossen Irenäus haben wir beauftragt, dieses Schreiben zu überbringen, und bitten dich, daß du dich seiner annehmest wegen seines Eifers für den Bund Christi. Denn wenn wir wüßten, daß der Stand einem Manne Gerechtigkeit gebe, dann würden wir ihn vor allem als Priester, was er tatsächlich ist, empfehlen.“ (Eusebius von Cäsarea, Historia Ecclesiastica, Kirchengeschichte (BKV), Fünftes Buch, 4. Kap. Brieflicher Bericht der Märtyrer über Irenäus)

Wie auch aus den Berichten zu entnehmen ist, besuchte Irenäus andere Gemeinden, stärkte ihren Glauben, bekämpfte Irrlehrer und sorgte somit für den Erhalt der Einheit in der richtigen Lehre und um richtigen Geist. Er war eine Weile in Rom und später Bischof von Lugdunum (heute Lyon), wo er auch starb. Ob Irenäus Märtyer war oder nicht, ist heute leider nicht mehr klar zu eruieren. Der bedeutendste Kirchenhistoriker Eusebius von Cäseräa schreibt einiges über das Leben und Wirken des Irenäus aber nichts über einen Märtyrertod, wie auch alle anderen frühen Quellen nichts darüber berichten, weshalb man davon ausgehen kann, dass Irenäus eines natürlichen Todes starb. Erst Hieronymus (4.-5.Jh) nennt Irenäus einen Märtyrer, aber keine Details über sein angebliches Martyrium. Damit rückt erst Gregor von Tours heraus, der zwar örtlich in der Nähe vom letzten Wirkungsbereich des Irenäus war, aber zeitlich schon weiter weg (6.Jh).

In der römisch-katholischen Kirche und einigen ihrer Töchter (evangelische, anglikanische, orthodoxe, armenische Kirche) wird er als Heiliger verehrt bzw. hat seinen eigenen Gedenktag bekommen. Papst Franziskus kündigte 2021 an, Irenäus den Ehrentitel Doctor Unitatis (Lehrer der Einheit) zu verleihen und so seinen Rang in der RKK zum Kirchenlehrer erheben zu wollen. Es ist daher wohl kein Zufall, dass im Jahr 2021 das Hauptwerk von Irenäus Gegen die Häresien ganz frisch als Buch herausgebracht wurde und damit erstmals seit langer Zeit auf Deutsch für jedermann erhältlich ist.

Seine hervorragenden Lehrer und Vorbilder, sein tadelloser Ruf, den er von vielen Seiten schon zu Lebzeiten hatte, seine ausgezeichnete Kenntnis sowohl der gesunden Lehre der Apostel wie auch aller Arten von Irrlehren, sein heiliger Lebenswandel, sein scharfer Verstand, sein Fleiß beim Lesen und Schreiben von Büchern, machten ihn damals schon zu einer Leitfigur und einem Vorbild im abendländischen Christentum und macht ihn ebenso für uns heute zu einem der wertvollsten Zeugen des frühen Christentums als es noch nicht aufgesplittert war in zigtausende Glaubensrichtungen, Traditionen und Kirchen, sondern es nur eine Lehre gab und nur einen Leib und alle Gemeinden noch die Apostel mit höchstem Respekt behandelten, sie als verbindliches Vorbild nachahmten und sich demütig von deren Schülern unterweisen ließen. Heute ist das leider völlig anders. Heute kennt und liest kaum noch jemand Irenäus und wenn, dann mit schon einer sträflichen Herablassung so als wäre der Schüler über dem Lehrer. Und so bevorzugen heute die meisten Bibellehrer Irenäus zu kritisieren - wo ihnen doch alle Grundlagen dazu fehlen - anstatt sich von ihm unterweisen zu lassen. Denn in Wahrheit ist er unserer Meister und sollten wir seine Jünger sein - nicht umgekehrt!

Der Jünger ist nicht über seinem Meister; jeder aber, der vollendet ist, wird so sein wie sein Meister (Lk 6,40)