Das Matthäusevangelium, oder auch Evangelium nach Matthäus, wurde vom Apostel Matthäus in Jerusalem verfasst, wobei wir den Autor nicht aus dem Buch selbst erfahren, sondern von den frühen Christen. Das haben übrigens alle vier Evangelien gemeinsam.
Das Matthäusevangelium wurde spätestens im Jahre 52 geschrieben. Das sind etwa 10 Jahre vor dem Lukasevangelium und Markusevangelium, den beiden Evangelien der Apostelschüler Lukas und Markus, und rund 40 Jahre vor dem Johannesevangelium. Das Matthäusevangelium ist also mit Abstand das älteste aller vier Evangelien und hatte somit eine grundlegende, prägende Lehrwirkung in der Urgemeinde und bei den frühen Christen.
Es kann aber auch noch eine Reihe anderer Rekorde für sich beanspruchen:
- Es ist das längste aller Evangelien, hat die meisten Wörter und Kapitel.
- Es enthält die meisten Reden von Jesus. Es hat erstens die meisten Gleichnisreden Jesu und zweitens die ausführlichste Version der Bergpredigt, die bei Matthäus drei Kapitel lang ist (Kapitel 5 bis 7), und drittens die große Endzeitrede am Ölberg (Kapitel 24 und 25). In den anderen Evangelien sind diese Reden deutlich kürzer oder fehlen.
- Es ist das meistgelesene Buch der Christen im ersten Jahrhundert. Ganze Landstriche wurde nur mit dem Matthäusevangelium missioniert (siehe weiter unten).
- Es ist das meistzitierte Buch aus dem Neuen Testament im frühen Christentum der ersten drei Jahrhunderte.
Matthäus hat, wie jeder andere Autor des Neuen Testamentes, seinen eigenen Wortschatz. Das heißt, er verwendet Wörter, die sonst kein anderer benützt, und verzichtet auf der anderen Seite auf Wörter, die andere benützen. Das trifft, wie erwähnt, auf alle Autoren des Neuen Testaments zu. Zum Beispiel kommt das Wort Himmelreich nur im Matthäusevangelium vor. Das Wort Gnade hingegen braucht Matthäus überhaupt nicht um sein Evangelium, das wie gesagt das längste von allen ist, zu erzählen. Das war wohl der Grund, warum Martin Luther das Matthäusevangelium abwertete und im Gegenzug das Johannesevangelium allen anderen überordnete und als das einzige, schöne, rechte Hauptevangelium - gemeinsam mit dem Römerbrief - bezeichnete:
Denn wenn ich je auf deren eins verzichten sollte, auf die Werke oder die Predigten Christi, dann wollte ich lieber auf die Werke als auf seine Predigten verzichten. Denn die Werke hülfen mir nichts, aber seine Worte, die geben das Leben, wie er selbst sagt. Weil nun Johannes gar wenig Werke von Christus, aber gar viele seiner Predigten beschreibt, umgekehrt die andern drei Evangelisten aber viele seiner Werke und weniger seiner Worte beschreiben, ist das Evangelium des Johannes das einzige, schöne, rechte Hauptevangelium und den andern dreien weit, weit vorzuziehen und höher zu heben. Ebenso gehen auch des Paulus und Petrus Briefe weit den drei Evangelien des Matthäus, Markus und Lukas voran.
In Summa: das Evangelium des Johannes und sein erster Brief, die Briefe des Paulus, insbesondere der an die Römer, Galater, Epheser und der erste Brief des Petrus, das sind die Bücher, die dir Christus zeigen und dich alles lehren, was dir zu wissen not und selig ist, ob du schon kein ander Buch und Lehre nimmer sehest noch hörest. (Dr. Martin Luther, Vorrede zum Neuen Testament)
Kaum zu glauben, dass ein Mann, der die Bibel übersetzt hat (oder es jedenfalls behauptet), diese so schlecht kennt. Luther irrt, wenn er behauptet, dass Matthäus wenige Worte von Jesus hätte. Wie oben erwähnt, hat das Matthäusevangelium in Wahrheit die meisten Reden und Gleichnisse. Das kann jeder nachzählen. Auch irrt Luther, wenn er Worte über Werke stellt, und glaubt, er würde so Jesus besser erfassen, denn Jesus tat und lehrte es immer umgekehrt und schaute immer zuerst auf die Werke. Aber irgendwie scheint das alles nebensächlich zu sein, denn laut Martin Luther bräuchte die Bibel sowieso nur 6 Bücher, da stünde alles drin, was man wissen müsse, alle anderen seien weder notwendig zu kennen noch zu lesen. Die empfohlenen Bücher wählte er natürlich nach seiner Vorliebe aus. Das Matthäusevangelium braucht nach der Meinung von Martin Luther also kein Christ. Seither folgen viele Christen dieser Argumentation, sie lesen hauptsächlich (nicht selten sogar nur) das Johannesevangelium und den Römerbrief, denn die Gnadenlehre Luthers kann man mit dem Matthäusevangelium nicht rechtfertigen. Ganz anders sahen das die Apostel selbst und ihre Schüler, die frühen Christen.
Der Apostel Matthäus reiste persönlich, nachdem er sein Matthäusevangelium in Jerusalem verfasst hatte, nach Parthien, Persien und Äthiopien (wo er einen brutalen Märtyrertod starb) und hat überall auf dem Weg das Evangelium verkündet und Gemeinden gegründet. Selbstverständlich tat er dies mit seinem eigens dafür frisch verfassten Matthäusevangelium im Gepäck.
Der Apostel Bartholomäus hat ganz Indien mit dem Matthäusevangelium missioniert. Das bestätigt uns Eusebius von Cäseräa:
Es gab nämlich tatsächlich damals noch Wortverkündiger die Menge, die das Verlangen hatten, ihren göttlichen Eifer, die Apostel nachzuahmen, in Ausbreitung und Vermehrung des göttlichen Wortes zu betätigen. Zu ihnen gehörte Pantänus, der nach Indien gekommen sein soll, wo er, wie berichtet wird, bei einigen dortigen Bewohnern, die von Christus Kenntnis hatten, das schon vor seiner Ankunft dorthin gelangte Matthäusevangelium vorgefunden habe. Bartholomäus, einer der Apostel, soll diesen gepredigt und ihnen die Schrift des Matthäus in hebräischer Sprache hinterlassen haben, die denn damals noch erhalten gewesen sei. Auf Grund zahlreicher Verdienste wurde Pantänus schließlich Vorsteher der Katechetenschule in Alexandrien, wo er mündlich und schriftlich die Schätze der göttlichen Lehren auslegte. (Eusebius von Cäsarea († um 340) Kirchengeschichte (BKV), Fünftes Buch, 10.Kap)
Es ist höchst unwahrscheinlich dass die anderen Aposteln davon abwichen und es anders taten. Denn sie waren alle eins miteinander. Und es gab damals schriftlich nur das Matthäusevangelium als sie in alle Himmelsrichtungen loszogen, um das Evangelium zu verkünden und Gemeinden zu gründen. Von Eusebius erfahren wir auch, dass das Matthäusevangelium nicht nur in Griechisch sondern auch in Hebräisch geschrieben und gelehrt wurde. Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal des Matthäusevangeliums. Deswegen wurde es von manchen auch Hebräerevangelium genannt, z.B. von Hieronymus:
Im Hebräerevangelium — manche nennen es auch Apostel-, sehr viele Matthäusevangelium ―, welches in chaldäischer und syrischer Sprache, jedoch mit hebräischen Buchstaben geschrieben ist, dessen sich die Nazarener bis heute bedienen, und das in der Bibliothek zu Cäsarea aufbewahrt wird ... (Hieronymus (347-420) Dialog gegen die Pelagianer (BKV), III. Buch, 2.)
Wobei die Bezeichnung Hebräerevangelium von den frühen Christen in erster Linie für ein apokryphes Evangelium verwendet wurde, das eine aramäische Bearbeitung des Matthäusevangeliums - mit inhaltlichen Veränderungen - gewesen sein dürfte, und daher für uns heute missverständlich ist.
Es gab auch schon häretische Übersetzer, die das Matthäusevangelium polemisch verrissen, mehr als tausend Jahre bevor Martin Luther es tat (siehe oben):
Bezüglich dieser Übersetzer ist zu bemerken, daß Symmachus Ebionäer war. Die sog. Häresie der Ebionäer aber hält Christus für den Sohn des Joseph und der Maria und sieht in ihm einen bloßen Menschen; sie fordert auch, man müsse das Gesetz in streng jüdischem Sinne beobachten, wie wir schon an früherer Stelle unserer Geschichte erfahren haben. Noch heute sind Schriften des Symmachus erhalten, in welchen er durch Polemik gegen das Matthäusevangelium die erwähnte Häresie zu bekräftigen scheint. Origenes berichtet, er habe diese Schriften neben Bibelerklärungen des Symmachus von einer gewissen Juliana erhalten, welche die Bücher von Symmachus selbst überkommen hätte. (Eusebius von Caesarea (260-339) Kirchengeschichte (BKV), Sechstes Buch, 17. Kap. Der Übersetzer Symmachus.)
Der erwähnte Origenes schrieb den ersten Kommentar zum Matthäusevangelium. Er ist auf englisch im Internet abrufbar, zum Beispiel hier. Er soll sogar der Urheber von 25 Büchern über das Matthäusevangelium sein. Leider gingen alle verloren. Eusebius berichtet:
Während damals, wie natürlich, der Glaube sich immer mehr ausbreitete und unsere Lehre überall freimütig verkündet wurde, soll der bereits über sechzig Jahre alte Origenes, der sich durch lange Übung nun größte Fertigkeit erworben hatte, Schnellschreibern gestattet haben, seine vor dem Volke gehaltenen Vorträge aufzuzeichnen, wozu er früher nie die Erlaubnis gegeben hatte. Damals verfaßte er die acht Bücher gegen den sog. „Wahrheitsgemäßen Beweis“', den der Epikureer Celsus gegen uns geschrieben hatte, ferner 25 Bücher über das Matthäusevangelium und das Werk über die Zwölf Propheten, von welchem wir aber nur 25 Bücher vorfanden. (Eusebius von Caesarea (260-339) Kirchengeschichte (BKV), Sechstes Buch, 36. Kap. Weitere Schriften des Origenes.)
Andere frühchristliche Autoren und Lehrer taten es Origenes nach. Erhalten geblieben ist uns der Kommentar von Chrysostomus zum Matthäusevangelium. Er ist auf deutsch online verfügbar und zwar hier.
Zum Abschluss noch eine (unvollständige) Liste der Dinge, die wir heute nicht wüssten, wenn wir das Matthäusevangelium nicht hätten.
Wir wüssten nichts von ...
- den Weisen aus dem Morgenland.
- Jesu Flucht nach Ägypten.
- dem Kindermord in Bethlehem, angeordnet von König Herodes.
- dem Vaterunser.
- vielen Gleichnissen (Die große Ernte, Unkraut unter dem Weizen, vom Schatz im Acker, vom Kaufmann und der kostbaren Perle, vom Fischnetz, vom unbarmherzigen Knecht, Tagelöhner im Weinberg, zwei Söhne, von den zehn Jungfrauen, etc.).
- der Selbstverfluchung der Juden vor Pilatus (27,25).
- dem, dass Jesus den Juden das Reich Gottes wegnehmen und den Christen geben werde (21,43).
- dem, was wir Christus antun, was wir seinen Brüdern antun (25,45).
- den Diskussionen, die Jesus am jüngsten Tag mit allen Möchtegern-Christen führen und sie verdammen wird (7,22-23).
- Zurechtweisung und Gemeindezucht von uneinsichtigen Geschwistern (8,15-18).
- dem, dass Jesus in der Versammlung zugegen ist (18,20).
- dem, wie scharf Jesus seine engsten Freunde zurechtwies (16,23).
- dem, wie Christen Almosen geben sollen (6,1-4).
- den unnützen Sorgen (6,25-34).
- den dreieinigen Taufworten (28,19).
- Jesu Lehrauftrag an Seine Apostel (28,20).