• geschrieben von: Johannes
  • Erscheinungsjahr: 90

Das Johannesevangelium, oder auch Evangelium nach Johannes, wurde vom Apostel Johannes am Ende des 1. Jahrhunderts geschrieben. Als Johannes von Jesus Christus berufen wurde, war er der jüngste aller Jünger Jesu. Als er starb, war er der älteste von ihnen.

Johannes lebte also am längsten von allen Aposteln und schrieb erst am Ende seines Lebens die fünf Bücher, die wir heute im Neuen Testament haben. Außerdem schrieb er zu einem Zeitpunkt, wo bereits alle anderen Aposteln tot waren. Das macht seine Bücher zu besonderen, denn kein anderer Apostel kannte und zitierte sie. Auch die meisten Urchristen waren schon gestorben, meist eines gewaltvollen Märtyrertodes. Das erklärt, warum so gut wie niemand das Johannesevangelium kannte und zitierte im ersten Jahrhundert. Es wurde ursprünglich auch nicht zur Evangelisation oder Mission eingesetzt. Das muss man heute betonen, denn heute sieht das anders aus - und es bringt auch andere Früchte, muss man ehrlich zugeben. Denn heute zählt das Johannesevangelium zu den meistgelesenen, meistzitierten und meistgedruckten Büchern des Neuen Testamentes. Es wird auch am häufigsten von allen vier Evangelien auf der Straße an Menschen verteilt. Diese Praxis war im frühen Christentum nicht vorhanden.

Der beliebteste und daher bekannteste Bibelvers der Welt ist heute aus dem Johannesevangelium, nämlich Johannes 3,16. Auch diese Praxis war den frühen Christen völlig fremd. Dort rangiert Johannes 3,16 weit abgeschlagen auf Platz 973 und schafft es also gerade noch unter die Top 1000. Im Ranking der meistzitierten Bücher des Neuen Testaments in den ersten drei Jahrhunderten bringt es das Johannesevangelium immerhin auf Platz 4. Auch bei den meistzitierten Autoren des Neuen Testamentes liegt Johannes bei den frühen Christen auf Platz 4. Das meistzitierte Evangelium in den ersten drei Jahrhunderten ist übrigens das Matthäusevangelium und damit ist es auch das meistzitierten Buch aus dem neuen Testament unter den frühen Christen und auch am meisten im Missionseinsatz im ersten Jahrhundert. Das kann das Johannesevangelium aufgrund seines sehr späten Erscheinungssdatums auch gar nicht überbieten. Und Johannes schrieb sein Evangelium auch in Wahrheit gar nicht für die Mission, sondern als Unterweisung für die Gemeinden, um sie gegen die immer stärker werdende Irrlehre der Gnosis zu wappnen.

Martin Luther jedoch sah das anders und erhob das Johannesevangelium zum Hauptevangelium des Christentums:

Denn wenn ich je auf deren eins verzichten sollte, auf die Werke oder die Predigten Christi, dann wollte ich lieber auf die Werke als auf seine Predigten verzichten. Denn die Werke hülfen mir nichts, aber seine Worte, die geben das Leben, wie er selbst sagt. Weil nun Johannes gar wenig Werke von Christus, aber gar viele seiner Predigten beschreibt, umgekehrt die andern drei Evangelisten aber viele seiner Werke und weniger seiner Worte beschreiben, ist das Evangelium des Johannes das einzige, schöne, rechte Hauptevangelium und den andern dreien weit, weit vorzuziehen und höher zu heben. Ebenso gehen auch des Paulus und Petrus Briefe weit den drei Evangelien des Matthäus, Markus und Lukas voran.

In Summa: das Evangelium des Johannes und sein erster Brief, die Briefe des Paulus, insbesondere der an die Römer, Galater, Epheser und der erste Brief des Petrus, das sind die Bücher, die dir Christus zeigen und dich alles lehren, was dir zu wissen not und selig ist, ob du schon kein ander Buch und Lehre nimmer sehest noch hörest. (Dr. Martin Luther, Vorrede zum Neuen Testament)

Seither wird das Johannesevangelium in vielen christlichen Kreisen allen anderen Evangelien weit vorgezogen und gilt auch für viele Christen als Hauptevangelium. Dabei ist es ein spezielles Evangelium. Erstens wegen seiner späten Erscheinungszeit, wie bereits erwähnt, zweitens wegen seiner Ausrichtung, wie ebenfalls bereits erwähnt, und drittens wegen seines Inhaltes. Johannes lässt sehr viele Worte und Taten von Jesus weg, die in den anderen Evangelien überliefert wurden, und breitet dafür andere, die dort nicht stehen, aus. Deswegen denken viele, Johannes wollte eine Ergänzung schreiben, weil ihm bei den anderen drei Evangelien einiges fehlte. Trotzdem schließt gerade Johannes sein Evangelium mit den bezeichnenden Worten: 

Es sind aber noch viele andere Dinge, die Jesus getan hat; und wenn sie eines nach dem anderen beschrieben würden, so glaube ich, die Welt würde die Bücher gar nicht fassen, die zu schreiben wären. Amen. (Johannes 21,25)

Das sind sehr untypische Worte für jemand, der andere ergänzen will, denn er gesteht selbst ein, dass er nicht alles schreiben kann und will, weil es zu viel zu schreiben wäre. Es ist also alles Geschriebene immer noch sehr unvollständig und erhebt auch gar nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Im Gegenteil, gerade durch Johannes wissen wir mit Gewissheit, dass wir durch die vier Evangelien niemals alles wissen können, was Jesus alles lehrte und das wiederum zerstört den Lehrsatz Martin Luthers „sola scriptura“ (allein die Schrift). Denn Johannes sagt selbst, dass die Schrift nicht alles sagt. Mündlich lehrten und wussten die Apostel noch viel, viel mehr. Und das überlieferten die Apostel wiederum nur mündlich ihren Jüngern und so hielt sich die mündliche Überlieferung von dem Mund des Lehrers in die Ohren seiner Schüler im frühen Christentum bis mit dieser von Jesus Christus gestifteten Lehrtradition eines Tages gebrochen wurde und sich alle nur noch auf die Schrift verließen und beinahe jeder Leser sein eigener Lehrer wurde.

Wollten wir hier aufzählen, was wir alles nicht wüssten, wenn wir das Johannesevangelium nicht hätten, müssten wir fast das ganze Johannesevangelium abschreiben.