Apostel Paulus
Apostel Paulus, gemalt von Peter Paul Rubens

Paulus wurde schon zu Lebzeiten von gewissen Menschen falsch verstanden und verdreht, wie bereits oben geschildert. Die falschen Gerüchte über Paulus nahmen nach seinem Tod noch mit jedem Jahrhundert zu, denn ein Toter kann sich nicht mehr wehren. Anfangs konnten seine Schüler noch dagegen halten, aber mit der Zeit wurden auch sie nicht mehr gehört und so kam es, dass Paulus heute für mehr Irrtümer und Irrlehren denn je als Vorlage missbraucht wird.

Die Einen erzählen falsches über Paulus aus Unwissenheit, wie schon Petrus erkannte [2.Petr 3,16], die Anderen, weil er anscheinend ein gefundenes Fressen für ihre Ideologien ist, die sie anhand von Paulus zu belegen versuchen. Dabei wird bewusst Geschichtsrevision betrieben indem man nur jene Zeugen hört und benützt, die ins gewollte Bild passen. Irenäus beschreibt diese Methode treffend, indem er sie mit dem Legen eines Mosaiks vergleicht. Was am Ende heraus kommt, hängt sehr davon ab, welches Bild man von Anfang an haben möchte:

Gleichwie wenn jemand an dem von einem weisen Künstler aus bunten Steinen schön zusammengestellten Bilde eines Königs die zugrunde liegende menschliche Gestalt auflösen, die Steine versetzen und umändern, die Gestalt eines Hundes oder Fuchses machen und dazu noch schlecht ausführen wollte und behaupten, das sei jenes schöne Bild des Königs, das der weise Künstler fertigte, um so durch sein Steingebilde die Unerfahrenen in Irrtum zu führen, die keine Ahnung von der wirklichen Gestalt eines Königs haben, und ihnen einzureden, die stinkende Figur des Fuchses sei das schöne Bild des Königs — auf genau dieselbe Weise flicken auch diese Alteweibermärchen zusammen, reißen dann Reden, Worte und Parabeln aus ihrem Zusammenhang und wollen diese Worte des Herrn ihren Fabeln anpassen.“ (Irenäus Contra Haereses Gegen die Häresien (BKV), Erstes Buch, 8. Kapitel: Weiterer Mißbrauch der Hl. Schrift)

Genauso gehen die meisten Bibellehrer auch bei der Frage vor, ob denn Paulus verheiratet war. Sie haben schon vorher die fixe Meinung, dass Paulus unverheiratet war und „reißen dann Reden, Worte und Parabeln aus ihrem Zusammenhang und wollen diese Worte des Herrn ihren Fabeln anpassen.“ Am Ende kommt „die stinkende Figur des Fuchses“ anstatt dem schönen Bild des Königs, weil sie „keine Ahnung von der wirklichen Gestalt eines Königs haben“. Treffender könnte man Irrlehrer und Unwissende, die alles entstellen und verdrehen, nicht beschreiben. Irenäus ist ein Experte, denn er wurde noch von den richtigen Lehrern unterwiesen und hatte sehr viel Erfahrung im Kampf gegen alle Arten von Irrlehrern und schrieb ganze fünf Bücher gegen sie. Dazu mehr an einer anderen Stelle.

Zurück zur Ehe von Paulus. Ob Paulus verheiratet war, stellte zu seiner Zeit niemand in Frage, denn es wussten alle Gemeinden und erst recht alle seine Begleiter, dass er verheiratet war. Das ist wiederum ein treffender Grund, warum wir nicht auf die frühen Christen verzichten können, wenn wir die Wahrheit wissen wollen. Jahrtausende später darüber zu spekulieren und die Mosaiksteine so zusammenzulegen, dass der stinkende Fuchs heraus kommt, wird hingegen nicht zur Wahrheit führen.

Clemens von Alexandria bezeugt noch Anfang des dritten Jahrhunderts:

Auch Paulus trägt kein Bedenken, in einem seiner Briefe seine Gattin anzureden, die er nur nicht mit sich herumführte, um in der Ausübung seines Amtes nicht gehindert zu sein. Er sagt daher in einem Brief: „Haben wir nicht auch die Freiheit, eine Schwester als Gattin mit uns zu führen wie die übrigen Apostel?“

Aber diese richteten, ihrem Dienst entsprechend, ihre Gedanken nur auf die Predigt, ohne sich ablenken zu lassen, und führten ihre Frauen nicht als Ehegattinen, sondern als Schwestern mit sich, damit sie ihre Gehilfinnen bei den Hausfrauen seien; und durch sie konnte die Lehre des Herrn auch in das Frauengemach kommen, ohne daß übler Nachruf entstand. (Clemens von Alexandrien († vor 215/16) Stromata Teppiche (BKV), Drittes Buch, VI. Kapitel, 53,1-3)

Eusebius von Cäseräa zitiert Clemens ein Jahrhundert später in seiner Kirchengeschichte, wo er ein eigenes Kapitel über die verheirateten Apostel schrieb. Darin werden Petrus, Philippus und Paulus als verheiratete Apostel angeführt. Somit haben wir unter den frühen Christen schon zwei schriftliche Zeugen, die bestätigen, dass Paulus verheiratet war. Klemens führt weiters an, was die Ehefrau von Paulus bewirkte: sie war eine Gehilfin bei den Hausfrauen „und durch sie konnte die Lehre des Herrn auch in das Frauengemach kommen, ohne daß übler Nachruf entstand.“ Genau das harmoniert wunderbar mit der Lehre der Apostel, wonach ältere, verheiratete (oder verwitwete) Frauen eine wichtige Vorbildwirkung für jüngere Frauen inne haben, und mit der Anweisung von Paulus, dass Bischöfe und Diakone verheiratet sein und ehrbare Frauen haben müssen:

Ein Bischof aber soll untadelig sein, Mann einer einzigen Frau, nüchtern, besonnen, würdig, gastfrei, geschickt im Lehren, kein Säufer, nicht gewalttätig, sondern gütig, nicht streitsüchtig, nicht geldgierig, einer, der seinem eigenen Haus gut vorsteht und gehorsame Kinder hat, in aller Ehrbarkeit. Denn wenn jemand seinem eigenen Haus nicht vorzustehen weiß, wie soll er für die Gemeinde Gottes sorgen? [1.Tim 3,2-5]

Desgleichen sollen ihre Frauen ehrbar sein, nicht verleumderisch, nüchtern, treu in allen Dingen. Die Diakone sollen ein jeder der Mann einer einzigen Frau sein und ihren Kindern und ihrem eigenen Haus gut vorstehen. [1.Tim 3,11]

dass sich die alten Frauen gleicherweise so verhalten sollen, wie es Heiligen geziemt, dass sie nicht verleumderisch sein sollen, nicht vielem Weingenuss ergeben, sondern solche, die das Gute lehren, damit sie die jungen Frauen dazu anleiten, ihre Männer und ihre Kinder zu lieben, besonnen zu sein, keusch, häuslich, gütig, und sich ihren Männern unterzuordnen, damit das Wort Gottes nicht verlästert wird [Tit 2,3-5]

Diese Vorbildwirkung, die jeder Apostel, Lehrer, Hirte (Bischof) und Diener (Diakon) selbstverständlich in allen Dingen - und allen voran in der Ehe und Kindererziehung - für die ganze Gemeinde geben muss, ist zentrales Element der Lehre der Apostel, klappt aber nicht, wenn die „Vorbilder“ unverheiratet sind, und ging langsam aber sicher verloren als man ab der Konstantinischen Wende neue Wege einer neuen Lehre beschritt.

Spannend ist auch jene Stelle in einem Paulusbrief, wo Paulus seine Frau anredet, wie Clemens und Eusebius (s.o.) bezeugen. Gemeint ist der Philipperbrief:

Ja, ich bitte auch dich, mein rechter Gefährte, stehe ihnen bei, die in dem Evangelium zusammen mit mir gekämpft haben, auch mit Klemens und meinen übrigen Mitarbeitern, deren Namen im Buch des Lebens sind. [Phil 4,3. ELB]

„Wo steht hier was von der Frau Paulus?“, werden sich jetzt vielleicht viele fragen. Tja, hier muss man alle modernen Übersetzungen rügen. Sie folgen der heute dominanten Doktrin, dass Paulus unverheiratet war, und übersetzen diese Stelle unverständig, ja beinahe trotzig, und machen deswegen aus einer Frau einen Mann.

Konkret geht es um das Griechische Wort suzugos (σύζυγος G4805), das im Grundtext steht. Es bedeutet wörtlich übersetzt „Jochgenosse“ oder „paarweise zusammengeschlossene Partner“ und wurde damals in der Regel als Wort für „Ehegatte“ oder „Ehegattin“ gebraucht.

Man kann die Ratlosigkeit der modernen Bibelübersetzer an dieser Stelle deutlich erkennen:

  • Die Elberfelder übersetzt mit „mein rechter Gefährte“, gibt aber in der Fußnote ehrlich zu, dass es eigentlich „Jochgenosse“ heißt. Das Joch war in biblischen Zeiten ein Sinnbild für die Ehe (2.Kor 6,14).
  • Die Schlachter 2000 schreibt „mein treuer Mitknecht“, die Zürcher Bibel und die Einheitsübersetzung 2016 „mein treuer Gefährte“.
  • Die Hoffnung für alle und die Gute Nachricht übersetzen gar nichts, sondern transkribieren das Griechische Wort ins Deutsche und schreiben also Syzygus, weil sie glauben, das sei ein Eigenname. In ihren Fußnoten erklären sie das so:
    • „Syzygus bedeutet »Gefährte«. Es kann sich aber auch um einen Eigennamen handeln.“ (Hfa)
    • Syzygus bedeutet: Gefährte, Kamerad. Wahrscheinlich handelt es sich um den Eigennamen eines vertrauten Mitarbeiters von Paulus in Philippi, den Paulus auf diesen seinen Namen hin anspricht und in Pflicht nimmt. (GN)
  • Die Neue Genfer Übersetzung übersetzt sogar „meinen treuen Weggefährten“, womit ja auch auf Deutsch der Ehepartner gemeint sein könnte, stellt aber in der Fußnote klar: „Ein namentlich nicht genannter, aber den Christen in Philippi offensichtlich gut bekannter Mitarbeiter des Paulus.“ Damit wird jeder Gedanke, es könne die Ehepartnerin von Paulus gemeint sein, im Keim erstickt.

Wer erkennt, dass hier ideologisch-theologisch übersetzt wird, und sich alle darauf eingeschossen haben, dass an dieser Stelle stets ein Mann gemeint sein muss, sich aber gleichzeitig eingestehen müssen, dass sie nicht wissen, welcher Mann genau gemeint sei? Seit wann grüßt denn Paulus am Ende seiner Briefe unbekannte Männer, noch dazu mit dem sehr vertrauten Wort „mein“ davor? Ich bin immer wieder erstaunt, wie wenig Bibelübersetzer mitdenken, nicht selbst auf Widersprüche (die sie erst durch ihre Übersetzungen schaffen) draufkommen und nicht darüber nachdenken, sondern lieber blind späten Ideologien folgen anstatt die frühen Christen zurate zu ziehen.

Dass mit dem Griechischen Wort suzugos kein Mann, auch nicht irgendein unbekannter Mann, sondern eine Frau gemeint war, erkannte auch noch Johannes Chrysostomus im 4.Jh: 

Einige behaupten, die Bitte hier sei an seine Frau gerichtet. Allein das ist nicht der Fall, sondern er wendet sich damit an irgendeine Frau, oder auch den Mann einer der beiden Frauen. — „Nimm dich ihrer an,“ fährt er fort, „die mit mir für das Evangelium gerungen haben, zugleich mit Klemens und meinen übrigen Mitarbeitern, deren Namen im Buche des Lebens stehen.“ Siehst du, welch großartiges Zeugnis er ihrer Tugend ausstellt? Was Christus zu den Aposteln sagte: „Nicht darüber freut euch, daß die bösen Geister euch gehorchen, sondern vielmehr darüber, daß eure Namen eingeschrieben sind im Buche des Lebens“, dasselbe bezeugt der Apostel hier auch ihnen mit den Worten: „deren Namen im Buche des Lebens stehen“. — Diese Frauen scheinen mir die Hauptpersonen der dortigen Gemeinde zu sein, und er empfiehlt sie einem gleich ausgezeichneten Manne, den er auch seinen „Genossen“ nennt, dem er vielleicht als einem Mitarbeiter, Mitstreiter, Teilnehmer und Bruder (auch sonst) zu empfehlen pflegte. (Chrysostomus, Kommentar zum Briefe des hl. Paulus an die Philipper (BKV), Vierzehnte (Dreizehnte) Homilie. Phil. III, 18 bis Phil. IV, 3.)

Bei Chrysostomus kann man sehr schön die Wende von der Lehre der Apostel hin zur Lehre der Römisch-Katholischen Kirche beobachten. Chrysostomus steht noch mit einem Bein auf der einen, mit dem anderen bereits auf der anderen Seite. Aufgrund seiner Sprachkenntnis (Griechisch ist seine Mutter- und Umgangssprache, weshalb er im Gegensatz zu vielen Römischen Lehrern die Apostel noch in ihrer Originalsprache lesen und verstehen konnte) weiß er noch, dass mit dem Begriff σύζυγος (suzugos) eine Ehefrau gemeint ist oder evtl ein Ehemann einer anderen Frau, aber in jedem Fall geht es um Ehe (peinlich, wie wenig die modernen Übersetzer offenbar davon verstehen). Aufgrund seiner katholischen Ideologie hält er Paulus aber für unverheiratet und verneint also, dass Paulus hier seine Frau meint, obwohl er noch so ehrlich ist, zuzugeben, dass „Einige behaupten, die Bitte hier sei an seine Frau gerichtet.“ Zur Zeit Chrysostomus lebten also noch einige, die die Wahrheit kannten und lehrten. Es muss eine spannende Übergangszeit gewesen sein, zu der Chrysostomus lebte. Es gab noch Lehrer der alten Schule (Lehre der Apostel), aber die neue katholische Lehre, war bereits stark am Vormarsch. In vielen Punkten erweist sich Chrysostomus noch der alten Lehre der Apostel verbunden, in anderen neigt er zur katholischen Lehre, die auch schon die Ehelosigkeit, den Zölibat, bevorzugt und Paulus deswegen zu einem unverheirateten Apostel macht. Zur Zeit von Chrysostomus war der Zölibat übrigens in der Kirche noch freiwillig. Einen Zwangszölibat bezeichnete er selbst noch als dämonisch (Chrysostomus, Vom jungfräulichen Stande (BKV), 5. Der jungfräuliche Stand der Ketzer ist sogar schimpflicher als Ehebruch) und liegt in dem Punkt noch mit Paulus auf einer Linie, denn Paulus schrieb:

Der Geist aber sagt ausdrücklich, dass in späteren Zeiten etliche vom Glauben abfallen und sich irreführenden Geistern und Lehren der Dämonen zuwenden werden durch die Heuchelei von Lügenrednern, die in ihrem eigenen Gewissen gebrandmarkt sind. Sie verbieten zu heiraten [1.Tim 4,1]

Wenn man aber weiß, dass Paulus verheiratet war, dann erscheinen alle seine Worte in dem Zusammenhang in einem ganz anderen Licht:

Sind wir nicht berechtigt, eine Schwester als Ehefrau mit uns zu führen, wie auch die anderen Apostel und die Brüder des Herrn und Kephas? [1.Kor 9,5]

Mit Kephas meint Paulus den Apostel Petrus, der unbestreitbar verheiratet war (Mt 8,14), sehr zum Leidwesen der RKK, die ihn auch lieber ehelos hätte und mit vielen kunstvollen Wortverdrehungen argumentiert, dass Petrus seine Frau verlassen hatte und seinen Aposteldienst wie ein Unverheirateter versah (siehe Zölibat - von Christus befohlen oder vom Teufel?). Die historische Wahrheit folgt aber keiner Theologie und war damals allen Menschen offenbar. Die RKK ging sogar soweit, in ihre Deutsche Bibelübersetzung, die sogenannte Einheitsübersetzung, einen unverheirateten Paulus hineinzuschreiben, wo er im Grundtext gar nicht steht:

Ich wünschte, alle Menschen wären unverheiratet wie ich. Doch jeder hat seine eigene Gnadengabe von Gott, der eine so, der andere so. [1.Kor 7,7 EÜ]

Das Wort „unverheiratet“ ist jedoch hinzugedichtet, es steht in keinem Grundtext. Keine grundtexttreue Übersetzung schreibt an dieser Stelle, dass Paulus unverheiratet ist. Zum Beispiel:

Denn ich wollte, alle Menschen wären wie ich; aber jeder hat seine eigene Gnadengabe von Gott, der eine so, der andere so. (SCH2000)

Jetzt fragen sich vielleicht viele, was denn Paulus hier sonst meinen könnte außer „unverheiratet“?

Im Kontext betrachtet ist das Thema eigentlich gar nicht die Ehelosigkeit. Deswegen beginnt Paulus mit dem Grundsatz der Ehe für jeden Mann und jede Frau:

um aber Unzucht zu vermeiden, soll jeder Mann seine eigene Frau und jede Frau ihren eigenen Mann haben. [1.Kor 7,2]

Dieser Grundsatz wird typischerweise immer ignoriert von jenen, die Paulus einen Zölibat andichten wollen. Ein Grundsatz ist aber ein Grundsatz und der legt das Fundament. Deswegen fährt Paulus zunächst mit den ehelichen Pflichten fort und dass über den Körper der Frau ihr Gatte verfügt und umgekehrt. So soll es in der Ehe sein. Dann aber kommt Paulus zum Hauptthema, das er im ersten Satz kurz anreißt, quasi als Einleitung: 

Was aber das betrifft, wovon ihr mir geschrieben habt, so ist es ja gut für den Menschen, keine Frau zu berühren [1.Kor 7,1]

Dieser Satz wird meistens völlig falsch verstanden, nämlich so als wäre er ehefeindlich und würde den Zölibat empfehlen. Keinesfalls! Was heißt es denn, dass es ja „gut für den Mann“ wäre, keine Frau zu berühren? Betrifft das nur unverheiratete Männer? Keinesfalls! Die Ehelosigkeit ist in Wahrheit hier nur ein Nebenschauplatz, auch wenn viele Bibelübersetzungen den ganzen Abschnitt in der Bibel mit einer Überschrift wie „Fragen zur Ehelosigkeit“ schmücken und damit auch schon wieder ihre Leser manipulieren. Denn auch die Überschriften kommen nicht von Paulus, sondern setzt jede Bibelgesellschaft wo und wie sie möchte. Gerade bei Paulus darf man nie den großen Zusammenhang verlieren, wenn man sich einzelne Sätze oder Wörter ansieht. Der große Zusammenhang ist die Selbstbeherrschung in allen körperlichen Dingen, die Paulus immer wieder aufbringt, auch und gerade die Enthaltsamkeit in der Ehe. Darum ist es gut für einen Mann, keine Frau zu berühren, um die Enthaltsamkeit zu üben, die auch in der Ehe wichtig und angebracht ist zu gewissen Zeiten. Eine solche Zeit führt Paulus als Beispiel an, etwa wenn beide Ehepartner sich der geistlichen Übung widmen (V5). Es muss aber immer im gegenseitigen Einverständnis geschehen, denn keiner verfügt in der Ehe über seinen eigenen Körper sondern über den des anderen. Das ist übrigens auch schon ein Gebot, das die eigene Enthaltsamkeit einübt.

Enthaltsamkeit in allen Dingen ist wesentlich für ein heiliges Leben und wurde in den Gemeinden der frühen Christen gemeinsam geübt. Durch Fasten wurde die Selbstbeherrschung und Enthaltsamkeit beim Essen und Trinken eingeübt (auch das ist ein Thema im Korintherbrief), denn Völlerei und Betrunkenheitheit sind Sünde. Und durch Keuschheit in der Ehe wurde ebenso Enthaltsamkeit und körperliche Selbstbeherrschung eingeübt, denn Unzucht ist eine schwere Sünde. Erinnern wir uns, was Paulus über das Vorbild der alten Frauen im Titusbrief befiehlt: die alten Frauen sollen „die jungen Frauen dazu anleiten, ihre Männer und ihre Kinder zu lieben, besonnen zu sein, keusch“ (Tit 2,3 - ausführliches Zitat siehe oben). Die jungen Ehefrauen sollen also von den alten auch Keuschheit lernen, und das obwohl sie ja Männer haben, die sie lieben lernen sollen. Keuschheit und Ehe ist kein Widerspruch. Und darin waren Paulus und seine Frau den jungen Leuten ein Vorbild. Paulus empfiehlt sich überhaupt als großes Vorbild in Sachen Selbstbeherrschung, wie er abschließend zu dem Thema schreibt:

Wisst ihr nicht, dass die, welche in der Rennbahn laufen, zwar alle laufen, aber nur einer den Preis erlangt? Lauft so, dass ihr ihn erlangt! Jeder aber, der sich am Wettkampf beteiligt, ist enthaltsam in allem — jene, um einen vergänglichen Siegeskranz zu empfangen, wir aber einen unvergänglichen. So laufe ich nun nicht wie aufs Ungewisse; ich führe meinen Faustkampf nicht mit bloßen Luftstreichen, sondern ich bezwinge meinen Leib und beherrsche ihn, damit ich nicht anderen verkündige und selbst verwerflich werde. [1.Kor 9,24-27]

Paulus wählt absichtlich das Bild eines Sportlers, der seinen Körper bezwingt und sich in Selbstbeherrschung übt. Jeder Sportler, der den Siegespreis erlangen will, muss sich genau darin üben, seinen Körper zu beherrschen und zu bezwingen. Auch oder gerade wenn er verheiratet ist.

Man muss also nicht zwangsläufig hier „unverheiratet“ einsetzen, um den Sinn zu erfassen. Nur die Einheitsübersetzung macht das, und ein paar andere. Damit macht sich die Einheitsübersetzung, und alle anderen, die das ebenso tun, genau genommen der Bibelverfälschung schuldig, nur um ihre Theologie der Ehelosigkeit in die Bibel zu schreiben. Die Apostel, deren Schüler, und die frühen Christen hätten das nie gewagt und als Häresie verurteilt, denn sie waren sehr genau beim Zitieren, Übersetzen und Auslegen des Wortes Gottes und wagten es nicht, auch nur ein Wort hinzuzufügen, denn sie kannten die Drohung von Jesus Christus:

Fürwahr, ich bezeuge jedem, der die Worte der Weissagung dieses Buches hört: Wenn jemand etwas zu diesen Dingen hinzufügt, so wird Gott ihm die Plagen zufügen, von denen in diesem Buch geschrieben steht; und wenn jemand etwas wegnimmt von den Worten des Buches dieser Weissagung, so wird Gott wegnehmen seinen Teil vom Buch des Lebens und von der heiligen Stadt, und von den Dingen, die in diesem Buch geschrieben stehen. [Offb 22,18-19]

Erschreckend, wie unverfroren heute etliche Bibelübersetzer mit dem Wort Gottes umgehen und nach eigenem Gutdünken Worte hinzufügen oder weglassen.

Und noch ein Gedanke, der heute allzuoft völlig ignoriert wird, trieb Paulus damals: die aufkommende Christenverfolgung. Paulus lebte nicht nur zu einer Zeit, wo es lebensgefährlich war, Christ zu sein, sondern in einem starken Endzeitgedanken, den wir heute eigentlich wieder verstehen können sollten. Denn es gibt heute so viele Endzeitbücher, -filme, und -prophetien wie schon lange nicht mehr. Immer mehr Menschen glauben im Jahr 2021, dass demnächst der Weltuntergang kommt, auch viele Atheisten, die nicht an eine biblische Apokalypse glauben, meinen, dass die Welt nicht mehr lange steht. Paulus war schon im 1.Jahrhundert tief in diesem finalen Endzeitgedanken drin:

So halte ich nun um der gegenwärtigen Not willen das für richtig, dass es für einen Menschen gut ist, so zu bleiben wie er ist. Bist du an eine Frau gebunden, so suche keine Trennung von ihr; bist du frei von einer Frau, so suche keine Frau.Wenn du aber auch heiratest, so sündigst du nicht; und wenn die Jungfrau heiratet, so sündigt sie nicht; doch werden solche Bedrängnis im Fleisch haben, die ich euch gerne ersparen möchte. Das aber sage ich, ihr Brüder: Die Zeit ist nur noch kurz bemessen! So sollen nun in der noch verbleibenden Frist die, welche Frauen haben, sein, als hätten sie keine, und die weinen, als weinten sie nicht, und die sich freuen, als freuten sie sich nicht, und die kaufen, als besäßen sie es nicht, und die diese Welt gebrauchen, als gebrauchten sie sie gar nicht; denn die Gestalt dieser Welt vergeht. [1.Kor 7,26-31]

An der Person Paulus scheiden sich die Geister. Die einen kennen ihn und ziehen aus seinem Vorbild die richtige Lehre und ahmen ihn nach. Die anderen verbreiten Gerüchte, die mit dem wahren Paulus nichts zu tun haben - zu ihrem eigenen Verderben.