• Sollen wir vor den Apokryphen warnen oder vor denen, die vor den Apokryphen warnen?

5. Das apokryphische Buch Jesus Sirach ist ein Buch über einen falschen Messias. Sein Name war Jesus Bar Sirach und er lebte ungefähr 200 Jahre vor Jesus von Nazareth.

An dieser Behauptung ist alles falsch, um nicht zu sagen erlogen, und es drängt sich die Frage auf, ob der Mensch das Buch Jesus Sirach überhaupt je gelesen hat? Falls ja, muss er ein verstockter Analphabet sein, um dann so eine Desinformation darüber zu verbreiten, oder aber er hat mit Absicht böswillig verleumdet. Egal welche der beiden Möglichkeiten zutrifft, beide sprechen gegen ihn, widerstreben Gott, und gefallen am Ende nur dem Teufel.

Jesus Christus musste mit vielen Gegnern streiten und ihre falschen Meinungen widerlegen, ebenso taten das die frühen Christen. Aber die Gegner hatten damals wenigstens noch ein gewisses Bildungsniveau und brachten halbwegs durchdachte Argumente und waren so intelligent, dass sie bemerkten, wenn sie widerlegt wurden. Doch dieses „Argument“ hier ist an Dummheit und Unwissenheit kaum zu überbieten sodass man befürchten muss, dass die Widerlegung gar nicht verstanden wird, weil sie die Auffassungsgabe des Gegners übersteigt. Das ist heutzutage tatsächlich ein großes Übel in einer Zeit, wo Nachrichten extra „in einfacher Sprache“ gehalten werden, damit sie von den „bildungsfernen Schichten“, wie man heute sagt, vielleicht verstanden werden.

Die Ironie an der Sache ist, dass sich das Buch Jesus Sirach auch explizit an Ungebildete und Analphabeten richtet und für sie geschrieben wurde. Sie gehören zum Zielpublikum und sollten durch dieses Buch weise und gebildet werden:

Da uns viele und große (Dinge) durch das Gesetz und die Propheten und die anderen, die auf sie gefolgt sind, gegeben sind, derentwegen es nötig ist, Israel (seiner) Erziehung und Weisheit (wegen) zu loben, und da es nötig ist, dass nicht allein die, die lesen (können), einsichtig werden, sondern dass die Lernbegierigen auch den Illiteraten hilfreich sein können im Lesen und Schreiben, ging mein Großvater Jesus, der sich über die Maßen selbst dem Lesen des Gesetzes und der Propheten und der übrigen Bücher der Väter hingab und sich in ihnen eine angemessene Fertigkeit verschaffte, daran, auch selbst etwas aufzuschreiben von dem, was zur Erziehung und Weisheit gehört, damit sich die Lernbegierigen auch dafür einbinden ließen und desto mehr hinzufügen könnten durch das gesetzmäßige Leben.

Das ist ein Auszug aus dem Prolog des Buches, der deutlich macht, worum es geht: es ist ein Weisheitsbuch, das zur Erziehung und Bildung der Menschen geschrieben ist, wobei die „Lernbegierigen“ mit diesem Buch auch den „Illiteraten“ hilfreich sein können im Lesen und Schreiben. Mit anderen Worten: Das Buch ist auch geschrieben, um den Analphabeten lesen und schreiben beizubringen und sie nebenbei Weisheit zu lehren. Es ist also eine Art Schulbuch für alle Altersstufen und Bildungsklassen. Der Prolog endet mit den Worten:

ich brachte viele schlaflose Nächte und Sachverstand in der Zwischenzeit (dafür) auf, das Buch zu Ende zu bringen und herauszugeben, und (so auch) für die (etwas zu leisten), die in der Fremde begierig sind zu lernen, dass sie sich (ihre) Gesinnung (so) zurichten lassen, gesetzestreu zu leben.

Wir erfahren hier gleich vorweg, wer das Zielpublikum ist und was das Ziel des Buches ist. Das Buch wurde geschrieben für die Lernbegierigen in der Fremde (also außerhalb von Judäa) und das Ziel des Buches ist, dass sie ihre Gesinnung so zurichten lassen, dass sie gesetzestreu leben. Der Kern sind das jüdische Gesetz und die Propheten, die in dem ganzen Buch hoch gehalten werden und als Basis der Weisheitslehre dienen.

Jesus Sirach ist in Wahrheit eines der bedeutendsten Bücher der jüdischen Literatur aus der Zeit vor Christus. Es wurde auch „Sophia Sirach“ genannt, auf Deutsch „Weisheit Sirachs“ und wurde auch noch von den Juden zur Zeit Christi hoch geschätzt und galt als heilige Schrift und das blieb in gewissen jüdischen Kreisen bis ins hohe Mittelalter so. Aber andere jüdische Kreise, später nannte man sie Masoreten, entwickelten einen blinden Hass auf alle griechischen Schriften und begannen in den Jahrhunderten nach Christus deswegen mit der Erstellung einer eigenen hebräischen heiligen Schrift. Denn zur Zeit Christi gab es nur die Septuaginta, und die war auf Griechisch. Die Masoreten strichen alle Bücher, von denen sie glaubten, dass sie nie Hebräisch sondern immer nur Griechisch waren, aus ihrer neuen Heiligen Schrift, dem heute sogenannten „Masoretentext“. Auch das Buch Jesus Sirach wurde deswegen entfernt – und das nicht ohne Protest auch von gewissen Juden, die wussten, dass dieses Buch ein heiliges von Gott inspiriert war. Es sind Diskussionen auch im Judentum über die Entfernung von Jesus Sirach überliefert.

Eine weitere Ironie an der Sache ist auch hier wieder die Unwissenheit – oder die Verstocktheit – der Gegner: denn das Sirachbuch war in Wahrheit ursprünglich in hebräischer Sprache geschrieben worden von dem Mann, dessen Name es trägt: Jesus Ben Sirach (Jesus, Sohn des Sirach). Er war ein jüdischer Weisheitslehrer und schrieb auf Hebräisch. Es gab also in Wahrheit gar keinen Grund, dieses Buch aus dem Hebräischen Kanon zu entfernen! Da waren die Masoreten von ihrer eigenen Verblendung verführt und gingen in die Irre. Blinde Blindeführer nannte Jesus Christus bereits ihre Vorfahren, die Pharisäer. Aber weil die große Mehrheit der Juden in der Zerstreuung gar kein Hebräisch konnte, wurde das Buch Jesus Sirach zwei Generationen später von seinem Enkel ins Griechische übersetzt und kam so in die griechische Septuaginta. Davon spricht der übersetzende Enkel in seinem Prolog:

Lasst euch also ermahnen, mit Wohlwollen und Aufmerksamkeit die Lektüre zu betreiben und Nachsicht zu haben in den (Fällen), bei denen wir versagt zu haben scheinen, obwohl wir uns gemäß der Übersetzungskunst um (bestimmte) Redewendungen für einige (Leser) emsig bemüht haben. Denn dasselbe ist in sich nicht gleichbedeutend, wenn es in Hebräisch gesagt ist und wenn es in eine andere Sprache übertragen wird. Nicht allein aber nur das, sondern auch das Gesetz selbst und die Prophezeiungen und die sonstigen Bücher haben einen nicht geringen Unterschied in Bezug auf das in ihnen Gesagte.

Der Übersetzer möchte also das Vermächtnis seines Großvaters ehren und übersetzen und weist sehr ehrlich auf den „nicht geringen Unterschied“ hin, den die vormals Hebräischen Texte nach der Übersetzung ins Griechische aufweisen, weil die Sprachen so unterschiedlich sind, und schildert seine Nöte und schlaflose Nächte beim Ringen nach den richtigen Worten. Und er bittet um Nachsicht, wo ihm das nicht perfekt gelang. Ein sehr demütiger aber aufschlussreicher Prolog, der uns auch zurückhaltender machen sollte, wenn wir Übersetzungen vertrauen. Jede Übersetzung birgt eine Gefahr der Verfälschung in sich. Aber sie ist oft wichtig, so wie in dem konkreten Fall damals, weil die meisten Juden nicht mehr Hebräisch konnten und es also dringend notwendig war, die hebräische heilige Schrift in eine Sprache zu übersetzen, die damals alle Juden verstanden, nämlich Griechisch! Und das war schon im zweiten Jahrhundert vor Jesus so! Wenn da schon kaum noch Hebräisch gesprochen wurde, kann man sich vielleicht vorstellen wie schlecht diese Sprache dann zweihundert Jahre später zur Zeit Christi verstanden wurde und wie wichtig deswegen Griechisch war für die Juden, aber auch die frühen Christen! Das Hebräisch des Alten Testamentes war im Volk verloren und nur noch in sehr gebildeten Kreisen erhalten geblieben, so wie im 16. Jahrhundert Latein in der Römisch-Katholischen-Kirche. Das verstand auch kein normaler Bürger mehr, sondern war die elitäre Geheimsprache des Klerus. Die deutschen Bibelübersetzer im 15. und 16. Jahrhundert machten im Prinzip das Selbe wie der Enkel von Jesus Sirach und alle anderen Übersetzer im 2. Jahrhundert v. Chr. Sie übersetzten die Heilige Schrift von einer bereits toten Sprache in die lebendige Alltagssprache des Volkes, damit das Volk die Schrift lesen und verstehen konnte.

Dieser Jesus Sirach hatte aber nie behauptet der Messias zu sein, und wurde weder von den Juden noch den frühen Christen je so bezeichnet. Das ist eine glatte Lüge, die vielleicht dem modernen Irrtum geschuldet ist, dass jeder „Jesus“ ein Messias sei. Das ist aber schon so dumm, dass man nur noch den Kopf schütteln kann. Tatsächlich war Jesus ein weit verbreiteter Männername im Alten wie im Neuen Testament. Viele Männer hießen so. Auch in der Bibel. Es gab übrigens zur Zeit Christi auch ein zweites Buch im Alten Testament mit dem Namen „Jesus“. Jesus von Nazareth las also im Buch „Jesus“ und im Buch „Jesus Sirach“. Das Buch „Jesus“ wurde erst nach der Konstantinische Wende im 4. Jahrhundert umbenannt in „Josua“, denn die neu entstandene Kirche wollte den Namen „Jesus“ nun für den Christus reservieren. Was eigentlich auch nur ein Scheinargument war, denn es blieben trotzdem andere Männer mit Namen Jesus in der Bibel stehen. Es folgte Hieronymus wohl auch in dem Punkt den Masoreten, die Jesus hassten. So wurde aus Jesus, dem Begleiter und Nachfolger Moses, Josua. Durch diese Umbenennung wurden jedoch Lehren und Zusammenhänge unsichtbar und zunichte gemacht, die den frühen Christen (und Juden!) aber in ihrer Heiligen Schrift vor Augen standen.

Zum Beispiel: Mose führt das Volk Gottes nur bis an den Rand des gelobten Landes. Hinein führt allein Jesus! Mose bleibt draußen. Das war für die frühen Christen ein deutliches Symbol für die Bedeutung der beiden Bündnisse und ihrer Aufgaben. Der Bund mit Mose führt das Volk zur Grenze, man kann von da nur in das gelobte Land hinüber schauen. So wie Mose es tat. Aber wirklich hinüber gehen, den Jorden durchschreiten und ankommen im verheißenen Land, das geht nur mit Jesus! In der Septuaginta sah das jeder Jude und Christ, bis die Vulgata und der Masoretentext dem ein Ende setzten indem sie so taten, als wären Jesus und Josua immer schon zwei verschiedene Namen gewesen. Es wurden übrigens auch andere Bücher umbenannt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Zurück zum Buch Jesus Sirach: es ist ein bemerkenswertes Bindeglied zwischen AT und NT. Es lobt und ehrt das Gesetz und die Propheten des Alten Testamentes, versorgt seine Leser mit einer strukturierten Liste von Weisheitssprüchen (ähnlich denen von Salomo) und Glaubenshelden, gibt einen Crashkurs in Geschichte, und enthält aber bereits Aussagen und Lehren, die später Jesus daraus zitieren und vertiefen wird (darüber machten wir eigene Beiträge: Kranke besuchen, Wende dich nicht abSünden vergeben, Viele Worte um nichts, Der reiche Narr). Dieses Buch bereitete also die Juden auf den Christus und seine Lehren vor. Das haben übrigens alle „Apokryphen“ gemeinsam: sie sind messianischer und neutestamentlicher als die meisten anderen Bücher des Alten Testaments. Tatsächlich war das Buch Jesus Sirach in den ersten drei Jahrhunderten hoch geschätzt, viel gelesen und oft zitiert!

Hier das Schlusswort des Autors des Buches:

Erziehung zu Verständnis und Wissen habe ich in diesem Buch aufgeschrieben, Jesus, der Sohn des Sirach, des Eleazar, des Jerusalemers, der die Weisheit von seinem Herzen hat hervorsprudeln lassen.

Selig, der nach diesen Dingen leben wird und der – sie auf sein Herz legend – weise gemacht werden wird. Denn wenn er sie tut, wird er zu allem Kraft haben, weil die Furcht des Herrn seine Spur ist. | Und den Frommen hat er Weisheit gegeben. | Gepriesen sei der Herr in Ewigkeit. Es möge geschehen. | Es möge geschehen.