• Welches Israel meint Gott in Seiner Heiligen Schrift?

Die Geschichte beginnt schon mit der Entstehung des Namens Israel. Sie wird im ersten Buch der Bibel, der Genesis (oder erstes Buch Mose), beschrieben in Kapitel 32. Dort ringt Jakob, der Enkel von Abraham, mit einem geheimnisvollen unbekannten Mann eine ganze Nacht lang. Als der Fremde beim Morgenanbruch gehen will, lässt Jakob ihn nicht los sondern fordert, dass er ihn segne. Der Fremde will den Namen von Jakob wissen und sagt dann, als er ihn erfährt, jenen geschichtsträchtigen Satz: 

Nicht mehr Jakob wird man dich nennen, sondern Israel - Gottesstreiter -; denn mit Gott und Menschen hast du gestritten und gesiegt. (1. Mose 32,29 EÜ)

So lautet es in der Einheitsübersetzung 2016, der offiziellen deutschen Bibelübersetzung der Römisch-Katholischen-Kirche. In der Lutherbibel wird gekämpft statt gestritten aber sonst bleibt die Aussage gleich:

Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und hast gewonnen. (1. Mose 32,29 LUT)

So ähnlich steht es auch in allen anderen deutschen Bibeln und so kennt es jeder bibelkundige Christ und Jude. Es variieren eigentlich nur die Verben. Manche Bibeln schreiben „gestritten“, andere „gekämpft“, wieder andere „gerungen“ oder etwas in der Art. Die Geschichte hat aber einen Haken. Bevor wir uns den näher ansehen, rufen wir uns die wesentlichen Aspekte vor Augen:

Der fremde Mann, mit dem Jakob die ganze Nacht lang rang, war Gott selbst. Das verrät einerseits der Spruch „du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft“ der die Umbenennung in Israel begründet, und andererseits die Handlung Jakobs danach: 

Und Jakob nannte die Stätte Pnuël: Denn ich habe Gott von Angesicht gesehen, und doch wurde mein Leben gerettet. (1. Mose 32,31 LUT)

Jakob hat die ganze Nacht mit Gott gestritten (oder gekämpft oder gerungen - je nach Übersetzer) und gesiegt! Jakob hat also Gott besiegt. Es gibt Leute, die das für eine glatte Gotteslästerung halten, oder zumindest für Hochmut. Denn kein Mensch kann Gott besiegen [Ergänzung vom 9.01.2024: Man hat mir, nachdem dieser Beitrag veröffentlicht wurde, zugetragen, dass bibelkundige Muslime gerne über Christen (und vermutlich auch Juden) spotten, weil die an einen Gott glauben, der von einem Mann besiegt wurde]. Nicht einmal in den heidnischen Religionen gelang es je einem Mensch einen Gott zu besiegen. Nur Herkules schaffte das, aber der war erstens kein Mensch sondern ein Halbgott, bekam zweitens Hilfe von anderen Göttern, und besiegte drittens keine echten Götter, denn die griechischen Götter waren nicht echt, wie die Juden und Christen den Griechen immer wieder entgegneten. Doch der einzig wahre und echte Gott soll von einem einzigen Mensch besiegt worden sein, im Zweikampf, gleich im ersten Buch der Bibel? Wie soll das mit diesem besiegten Gott dann noch weiter gehen in der Bibel? Wieso hat Gott nicht gleich abgedankt und die Weltherrschaft dem Mensch, der ihn besiegte, übertragen? Das fragte ich mich tatsächlich als ich im Teenageralter das erste Mal diese Geschichte las. Und viele andere werden sich das auch fragen. Doch es wird noch besser in der Bibel: der besiegte Gott gibt Jakob auch noch den neuen Namen Israel, der ständig auf den Sieg des Menschen über Gott hinweist. Tatsächlich gibt es heute Juden, die die Hoffnung haben, dass sie Gott besiegen könnten und am Ende Israel die Weltherrschaft haben würde. Und sie sehen im Namen Israel dafür einen Auftrag: Israel soll gegen Gott und die Menschen kämpfen und sie alle besiegen. Doch bedeutet das dieser Name wirklich?

Darüber streiten die Hebräisch-Experten bis heute, wie es scheint. Denn wirft man einen Blick in die Bibeln, so bekommt man einen bunten Strauß an Möglichkeiten angeboten:

Die Einheitsübersetzung 2016, die Menge und die Schlachter 2000 meinen, es bedeutet »Gottesstreiter«, die Menge meint, es könne aber auch »Gotteskämpfer« heißen. Dem schließen sich die Gute Nachricht, die Neue evangelistische Übersetzung und die Hoffnung für alle an, wobei die Gute Nachricht glaubt, es könne alternativ dazu auch »Gott möge herrschen« bedeuten. Auch die Hoffnung für alle hat eine zweite Bedeutung auf Lager, und zwar »Gott kämpft«. Dem schließt sich wiederum die Neues Leben Übersetzung an, erwähnt aber, dass es auch »Einer, der mit Gott kämpft« bedeuten könnte. Die Zürcher glaubt, es bedeutet »Gott streitet« und die Schlachter 2000 hat auch noch eine alternative Bedeutung in der Hinterhand: »Fürst Gottes«. Es gäbe noch eine Reihe kreativer Alternativvorschläge, wenn man diverse Lexika und Bibelkommentare durchforstet. Erwähnenswert ist vielleicht noch die Erklärung auf der Wikipediaseite vom Staat Israel: „er kämpft wider Gott“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Israel#Name).

Man darf also vorsichtig sagen, dass die Bedeutung des Namens Israel heute umstritten ist und es mehrere Thesen dazu gibt. Das ist das grundsätzliche Problem mit Althebräisch. Es gibt mehrere Lesarten und Übersetzungsmöglichkeiten und niemand weiß heute, ob wir die richtige überhaupt kennen oder noch herausfinden können, denn es benötigt dafür eine mündliche Überlieferung - und die ging verloren, auch wenn es Leute gibt, die etwas anderes behaupten wollen. Gott wusste das im Voraus und hat daher rechtzeitig - nämlich als es noch eine lebendige mündliche Überlieferung und Schriftgelehrte gab, die wirklich noch das biblische Althebräisch beherrschten - für eine Lösung gesorgt: die hebräische Heilige Schrift wurde im 2. Jahrhundert vor Christus von 70 weisen Männern aus ganz Israel ins Griechische übersetzt. So entstand die Septuaginta, mit römischen Ziffern LXX genannt. Es spielte also keine tragische Rolle, wenn später die originalen Schriftrollen aus dem Tempel und die Kenntnis der Hebräischen Sprache verloren gingen, denn auf Griechisch blieb alles erhalten! So bewahrte Gott Sein Wort und so war es zu der Zeit als Gottes Sohn geboren wurde im Judentum vorhanden und so verwendeten es auch die Apostel und anderen Autoren des Neuen Testaments. Sehen wir also nach, wie die Entstehungsgeschichte des Namens Israel in der Septuaginta überliefert wurde. Dort sagt der Mann, der mit Jakob rang, folgendes:

Du wirst nicht mehr Jakob genannt werden, sondern Israel wird dein Name sein, weil du stark wurdest mit Gott und mit den Menschen mächtig. (Gen 32,28 Septuaginta Deutsch)

„Dein Name wird nicht mehr Jakob genannt werden, sondern Israel wird dein Name sein, weil du bei Gott erstarkt bist und bei den Menschen vermögend bist.“ (Gen 32,28 Benjamin Fotteler)

Kein Wort von einem Sieg über Gott, sondern ein stark Werden mit oder bei Gott! Es ist auch von keinem Kampf gegen Gott die Rede, sondern von einem Miteinander von Gott und Mensch. Das ist ein großer Unterschied. Es ist kein Zweikampf gegeneinander wo es nur einen Sieger geben kann, sondern ein Kampftraining miteinander, wo Gott den Mensch vorbereitet und stark macht für zukünftige Aufgaben.