• Wie ein wichtiges Gebot ins Gegenteil verdreht wurde

Das Zeugnis der frühen Christen

Auch die frühen Christen kannten und zitierten diesen Vers (Römer 13,4 - siehe voriges Kapitel), aber immer in dem Sinne, auf den Paulus hinaus will: Die von Gott eingesetzte Obrigkeit hat von Gott das Schwert bekommen, um ihre bösen Untertanen zu strafen. Beides bezieht sich aber auf Gott. Sowohl die eingesetzte Obrigkeit als auch die Beurteilung, wer oder was böse ist. Weder bekamen die Menschen von Gott je das Recht sich selbst Obrigkeiten zu wählen, noch selbst zu definieren was böse ist. Aber beides nahmen und nehmen sich die Menschen seit jeher wie selbstverständlich heraus und handeln sich damit in Wahrheit nicht Gottes Rückendeckung, sondern vielmehr Gottes Zorn und Fluch ein:

Wehe denen, die Böses gut und Gutes böse nennen, die Finsternis zu Licht und Licht zu Finsternis erklären, die Bitteres süß und Süßes bitter nennen! (Jes. 5,20)

Und abermals:

Wehe denen, die ungerechte Gesetze erlassen, und den Schreibern, die bedrückende Vorschriften schreiben (Jes. 10,1)

Dass es Obrigkeiten gibt, die ungerechte Gesetze erlassen und das, was Gott böse nennt, gut nennen und mit Staatsgewalt fördern, wohingegen sie das, was Gott gut nennt aber böse nennen und mit Staatsmacht verfolgen, ist kein Geheimnis. Es ist heutzutage sogar schon der Normalfall, würde ich meinen. Beinahe jeder Politiker, Ethiker, Ideologe, Journalist und Thinktank bezeichnet heutzutage das als böse, was Gott in der Heiligen Schrift als gut bezeichnet und umgekehrt. Das ist die neue Normalität im 21.Jahrhundert. Die Mehrheit der Christen gibt diesen gottlosen Menschen ihre Stimme, wählt sie und übernimmt deren Meinung. Aber wie ist aus echter christlicher Sicht mit solchen Obrigkeiten umzugehen?

Jesus, Petrus und Paulus waren in dieser Frage nicht nur Vorbilder sondern lehrten auch einiges, was uns aufgeschrieben wurde, zu dem Thema. Sie alle litten unter ungerechten, gottlosen Obrigkeiten (die sich selbst aber in der Regel als gut und gottgefällig gesehen haben) und wurden am Ende von ihnen auch hingerichtet. Dennoch fügten sie sich alle dem ungerechten Staatszwang - bis zu einer gewissen Grenze - und gaben damit die Richtung vor für alle treuen Nachfolger aller folgenden Generationen.

So waren sie alle der einmütigen Gesinnung, dass sie niemals zu Waffen greifen durften, weder für ihre eigene Sache, noch für die des Staates. Kriege fanden in den ersten 3 Jahrhunderten gänzlich ohne Teilnahme der Christen statt. Erst seit Augustinus, der eine völlig neue Theologie einführte, zogen Christen in den Krieg, insbesondere auch durch Neudeutung von Stellen wie Römer 13. Um das in aller Ausführlichkeit darzulegen, ist hier kein Platz, wird aber an anderer Stelle nachgeholt werden. In der Zwischenzeit verweise ich auf das hervorragende Buch von David BercotWürden die Theologen sich bitte setzen“, in dem er einen eigenen Abschnitt („Gewalt und Krieg“, Kapitel 12) diesem Thema widmet und viele Zitate aus dem frühen, mittleren und späteren Christentum gegenüberstellt.

Die frühen Christen betrachteten Jesus Christus als absolutes Vorbild in allen Dingen, Er war der Goldstandard. Deswegen ahmten sie auch Seinen Umgang mit der Obrigkeit nach. Etwa wie Jesus sich Seinen leiblichen Eltern als Zwölfjähriger noch unterordnete (Lk. 2,51) obwohl Er wusste, dass Sein Vater im Himmel bereits andere Ansichten hatte, doch als Erwachsener tadelte Er Seine Mutter in aller Öffentlichkeit wiederholt (Joh. 2,4. Mt 12,48-50). Oder als Er, wie schon weiter oben erwähnt, sich dagegen sträubte sich die Hände zu waschen vor dem Essen, wie es die Obrigkeit mittels der Überlieferung der Alten verlangte. Jesu Konter ist übrigens wie immer aufschlussreich: Er hält der menschlichen Obrigkeit eine von Gott eingesetzte Obrigkeit vor Augen: nämlich Vater und Mutter, und zitiert Gottes Gesetz, das heute auch oft falsch verstanden bzw. gelehrt wird, nämlich so, als ginge es bei „Vater und Mutter ehren“ nur um Respekt. Das ist aber nur halbrichtig. Vielmehr gebietet Gott auch finanzielle Unterstützung mit diesem Gebot. Das hatten die Juden schon richtig verstanden, umgingen das aber durch ihre - wie sie meinten frommen - Rechtsauslegung, indem sie sagten, das Geld, das Vater und Mutter zustünde, könne man Gott weihen indem man es Menschen gibt, die für Gott arbeiteten, wie etwa die Pharisäer oder das Tempelpersonal. Jesus verurteilt diese Rechtsauffassung aber scharf, wie schon weiter oben zitiert, und nimmt sie zum Anlass, sich gar nicht an die Überlieferung der Alten zu halten, denn Er will nicht unterstützen, dass Menschengebote über Gottes Gebot gestellt werden. Und das ist der Knackpunkt, den Seine wahren Jünger gut verstanden und später konsequent gelebt haben.

Zum Beispiel Petrus und Johannes, als sie vom Hohen Rat ein strenges Predigtverbot erteilt bekamen unter Androhung harter Strafen. Hielten sie sich an dieses Verbot? Nein, natürlich nicht! Vielmehr entgegneten sie selbstsicher:

„Entscheidet ihr selbst, ob es vor Gott recht ist, euch mehr zu gehorchen als Gott!“ (Apg. 4,19)

und ein zweites Mal, als der Hohe Rat sie erneut zur Rede stellte:

„Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen!“ (Apg. 5,29).

Diese klare Hierarchie, die der gesunden Lehre entspricht, hielten und forderten alle frühchristlichen Lehrer ein.

So lesen wir in den Apostolische Konstitutionen folgende Anweisungen „Über den Gehorsam gegen die weltliche Obrigkeit“:

In gottgefälligen Dingen seid allen Königen und Herrschern untertan als Dienern Gottes und Züchtiger der Gottlosen. Leistet ihnen völlig die schuldige Furcht, alle Abgaben, Zölle, Ehrenbezeugungen, Reichnisse und Steuern; denn das ist göttliche Anordnung, Niemandem etwas schuldig zu bleiben, als den Erweis der Liebe, wie Gott durch Christus angeordnet hat. (Apostolische Konstitutionen und Kanones, Viertes Buch, Kapitel 13. Über den Gehorsam gegen die weltliche Obrigkeit.)

Auch hier herrscht noch völliger Einklang mit dem Zusammenhang, in dem der Herr Jesus predigte, nämlich die Abgaben von Steuern, Zöllen und dergleichen. Und immer nur eine Untertänigkeit unter weltlichen Herrschern in gottgefälligen Dingen, ganz nach den Aussagen von Petrus und Johannes vor dem Hohen Rat.

Tertullian zitierte ich bereits weiter oben. Hier möge zum Abschluss noch einer der frühesten frühen Christen zu Wort kommen, nämlich ein persönlicher Schüler des Apostel Johannes: Polykarp von Smyrna war der Bischof von Smyrna, der Gemeinde, die Jesus in der Offenbarung (2, 8-11) ausschließlich lobte, und wurde nach einem langen treuen, vorbildlichen Leben im Greisenalter von den Römern brutal gefoltert und öffentlich hingerichtet. Davor fand ein öffentliches Verhör durch den Prokonsul statt:

Als er aber aufs neue in ihn drang und sagte: „Schwöre beim Glücke des Kaisers“, antwortete er: „Wenn du dir mit dem Gedanken schmeichelst, ich würde, wie du es nennst, beim Glücke des Kaisers schwören, und dich stellst, als wüßtest du nicht, wer ich bin, so höre mein freimütiges Bekenntnis: Ich bin ein Christ. Willst du aber die Lehre des Christentums kennen lernen, so bestimme mir einen Termin zur Aussprache“. Der Prokonsul sagte: „Rede dem Volke zu!“ Polykarp antwortete: „Dich habe ich einer Erklärung für würdig gehalten; denn man hat uns gelehrt, den von Gott gesetzten Obrigkeiten und Gewalten die gebührende Ehre zu erweisen, wenn sie uns (unserm Gewissen) keinen Schaden bringt; jene aber (das Volk) halte ich nicht für wert, mich vor ihnen zu verteidigen.“ (Apostolische Väter, Martyrium des Polykarp, Kap 10)

Das Martyrium des Polykarp ist in einem ausführlichen Brief überliefert worden, ist in voller Länge auf unserer Website am Ende der Biographie von Polykarp von Smyrna nachzulesen, und führte übrigens zu dem Begriff Märtyrer. Hier will ich nur zeigen, wie Polykarp, der vorbildliche Gemeindevorsteher, mit der weltlichen Obrigkeit umging, und wie er vor allem den Satz von Paulus verstand und lehrte, man solle Ehre geben dem, dem Ehre gebührt. Erstens schließt Polykarp im selben Atemzug mit dem Gebot der Ehrerbietung auch gleich deren Grenze mit ein (wenn sie unserem Gewissen keinen Schaden bringt) und zweitens ehrt er den Prokonsul damit, dass er ihm eine private Audienz anbietet, wo er ihm all die Fragen abseits der Öffentlichkeit beantworten will. Warum abseits der Öffentlichkeit? Weil diese nicht würdig ist, die Antwort zu hören. Welch ein freimütiges Zeugnis und welche Treue zu den Worten Seines Herrn und Königs Jesus Christus, der doch gebot, immer zu prüfen, ob jemand es wert sei (Mt. 10,11).

Hier sind wir wieder am Anfang angelangt: die frühen Christen isolierten niemals irgendeinen Abschnitt von Paulus, sondern lasen alle Schrift immer in Harmonie und unter der Herrschaft von Jesus Christus, der der Anfang und das Ende ist, der Eckstein, der König, der Allherrscher, und das Wort selbst. Deswegen waren die Herrenworte für sie der absolute Maßstab dem sich alles unterzuordnen hatte und daher zitierten sie die Evangelien und allen voran Matthäus viel häufiger als Paulus und lebten diese mit jeder Faser ihres Körpers bis in den Tod.