• Wie ein wichtiges Gebot ins Gegenteil verdreht wurde

Eine Lektion von Paulus

Auch Paulus widersetzte sich immer wieder der weltlichen Obrigkeit. Brach er dadurch seine eigene Lehre? Nein! Er bestätigte sie damit. Etwa bei jener Begebenheit:

Da sah Paulus den Hohen Rat eindringlich an und sprach: Ihr Männer und Brüder, ich habe mein Leben mit allem guten Gewissen vor Gott geführt bis zu diesem Tag.

Aber der Hohepriester Ananias befahl den Umstehenden, ihn auf den Mund zu schlagen.

Da sprach Paulus zu ihm: Gott wird dich schlagen, du getünchte Wand! Du sitzt da, um mich zu richten nach dem Gesetz, und befiehlst, mich zu schlagen gegen das Gesetz?

Die Umstehenden aber sprachen: Schmähst du den Hohenpriester Gottes?

Da sprach Paulus: Ich wusste nicht, ihr Brüder, dass er Hoherpriester ist, denn es steht geschrieben: »Über einen Obersten deines Volkes sollst du nichts Böses reden«. (Apg. 23,1-5)

Paulus werden von der Obrigkeit Schläge ausgeteilt und der wehrt sich mit Worten dagegen, wobei er nicht mit Beleidigungen spart. Wie viele Christen würden das heute wagen und sich dabei auch noch „christlich“ fühlen? Paulus tat es. Aber nur, weil er nicht wusste, dass es der amtierende Hohepriester persönlich war, der die Schläge anordnete. Das ist ein interessanter Aspekt an der Geschichte, der Aufschluss darüber gibt, dass der Hohepriester zur Zeit Paulus nicht so eingesetzt wurde, wie Gott es befahl im Gesetz Moses. Aber das ist ein anderes Thema, das ich hier nicht auch noch ausbreiten möchte. Als Paulus es erfuhr, zeigt er sich einsichtig indem er eine Stelle aus der Schrift zitierte, die es ihm verbietet, eine von Gott eingesetzte Obrigkeit (und das war der Hohepriester als Instanz prinzipiell immer noch, auch dann, wenn die einzelne Person damals längst gegen die Bestimmungen Gottes von Menschen eingesetzt wurde) zu schmähen. Er bittet aber weder um Vergebung, noch nimmt er seine Rede zurück, noch schweigt er fortan untertänig, sondern ergreift ganz im Gegenteil die Initiative um seine Verteidigung zum Höhepunkt zu bringen, der in einem Streit zwischen den zwei Parteien des Hohen Rates gipfelt, der so brutal und lebensbedrohlich für Paulus wird, dass der römische Oberst seinen Soldaten befiehlt, Paulus in Schutzhaft zu nehmen. Und genau das ist eine der Hauptaufgaben aller Obrigkeiten, die von Gott eingesetzt sind: sie sollen die Guten schützen und für ein gerechtes, vernünftiges Gerichtsurteil abseits von Empörung, Aufruhr, Hass, Lärm und Selbstjustiz sorgen.

Deswegen schreibt Paulus: 

Denn sie ist Gottes Dienerin, zu deinem Besten. Tust du aber Böses, so fürchte dich! Denn sie trägt das Schwert nicht umsonst; Gottes Dienerin ist sie, eine Rächerin zum Zorngericht an dem, der das Böse tut. (Röm. 13,4)

Dieser Vers wird seit jeher gerne missbraucht um jegliche Staatsgewalt gegen das eigene Volk oder andere Völker zu rechtfertigen. Die USA teilen seit zwei Jahrhunderten die Welt in Freunde und Schurkenstaaten ein und überfallen letztere regelmäßig und meinen, das würde mit ihren christlichen Werten harmonieren, denn Gott hätte ihnen das Schwert nicht umsonst gegeben, sondern zum Zorngericht gegen das Böse. So spielen sie ihre Rolle als Weltpolizei mit aller militärischer, finanzieller und medialer Gewalt. Aber wer hat ihnen diese Rolle gegeben und wer legt fest, was böse ist? Und hat Paulus das überhaupt so gemeint?