Wenn Unwissende Worte verdrehen
Das Problem beginnt schon damit, dass viele biblische Worte heute eine andere Bedeutung haben als damals und setzt sich fort, wo Übersetzer und Kommentatoren ans Werk gingen, die den Autor nicht kennen, und endet damit, dass sie so zu Lesarten und Auslegungen kommen, die den ursprünglich gemeinten Sinn verdrehen.
Ich weiß nicht, ob es Ihnen schon mal so ging, dass Sie missverstanden wurden, wenn Sie einen Brief schrieben. Aber mir ging es schon einige Male so. Dabei schrieb ich an Leute, die mich persönlich kannten von mündlichen Gesprächen. Und dennoch kam es beim geschriebenen Wort zu Missverständnissen, die mich viel Zeit und Mühe - und meist persönliche Treffen - kosteten, um sie aufzuklären und zu bereinigen. Wie kommt das? In erster Linie liegt es nach meiner Erfahrung daran, dass beim geschriebenen Wort der Ton fehlt. Wenn ich rede, dann betone ich bestimmte Worte, weil ich so mit denselben Worten Verschiedenes ausdrücken kann; mal sind sie ironisch gemeint, dann ernst, mal lustig, dann traurig, mal energisch, dann sanft, usw. All das verliert man, wenn man schreibt. Ich kann als Autor eines Briefes nicht darüber verfügen, wie der Leser meine Worte liest. Der liest sie so, wie er will. Wenn er sich Mühe gibt, liest er sie so, wie er mich kennt und stellt sich vor, wie ich sie sprechen würde. Aber meist lesen die Leser einfach so, wie wenn sie selbst die Worte geschrieben hätten, sie lesen durch ihre eigene Brille, nicht durch die Brille des Autors. Im schlimmsten Fall liest der Empfänger aus dem Text ganz was anderes heraus als der Autor sagen wollte. Genauso ging es übrigens oft dem Autor des oben zitierten Briefes. Darum schreibe ich das hier überhaupt. Der Autor war schon zu seinen Lebzeiten dafür bekannt, dass er schriftlich völlig anders verstanden und aufgenommen wurde als mündlich. Er erkannte das und litt darunter. Deswegen schickte er auch Brüder mit seinen Briefen mit, einerseits um die Echtheit der Briefe zu bestätigen und andererseits um sie mündlich vorzutragen und zu erläutern. Und meist besuchte er zusätzlich zu einem späteren Zeitpunkt die Empfänger und sprach nochmal persönlich darüber und erklärte ausführlich mündlich, was er in Briefen nur kurz anriss. Trotz alledem ist er der wohl am meisten falsch verstandene Apostel des ersten Jahrhunderts. Die Rede ist von Paulus. Seine Apostelbrüder kannten das Problem und so schrieb etwa Petrus über die Briefe des Paulus:
„In ihnen ist manches schwer zu verstehen, was die Unwissenden und Ungefestigten verdrehen, wie auch die übrigen Schriften, zu ihrem eigenen Verderben.“ (2.Petr. 3,16)
Ich bin immer wieder überrascht, wie viele Bibelleser diese ernste Warnung von Petrus in den Wind schlagen. Ich meine, hier geht es um nichts geringeres als das eigene Verderben, und doch bilden sich nicht wenige Leser heute ein, dass sie auf Anhieb Paulus richtig verstünden, wo doch sogar Petrus, der Paulus einige Jahrzehnte lang persönlich kannte, mit ihm in der selben Sprache diskutierte, und tausende Stunden mit ihm verbrachte, zugab, dass die Briefe des Paulus schwer zu verstehen seien und dass man ein Wissender sein müsse, um nichts darin zu verdrehen. Und doch wagen sich Menschen, die Paulus nicht kennen, auch nicht seine Sprache, ebenso wenig seine Lehre, unbekümmert an diese Briefe. Ja sogar Neulingen, die noch nie die Bibel gelesen haben, wird oft empfohlen, mit dem Johannesevangelium zu beginnen und im Anschluss den Römerbrief zu lesen. Unfassbar.
So fahrlässig sind die frühen Christen nicht an Paulus herangegangen, überhaupt wo der Heilige Geist jeden Bibelleser durch Petrus extra vor den Paulusbriefen warnt! Erschwerend kommt hinzu, dass heute ja niemand mehr Paulus im Originalwortlaut liest, sondern in irgendeiner Übersetzung. Die frühen Christen sprachen die selbe Sprache wie Paulus und dennoch gab es Missverständnisse und Wortverdrehungen, wie wir gerade von Petrus erfahren haben. Wie viel mehr muss die Verdrehung sein, wenn noch ein Übersetzer dazwischen geschalten ist, der ein Unwissender oder Ungefestigter ist? Die meisten Übersetzer sind nicht mal gläubig, schon gar nicht haben sie den Heiligen Geist, und dennoch glauben die Leser, sie würden hier den puren, unverfälschten Paulus lesen und auf Anhieb richtig verstehen? Ich muss schon sagen, dass ich das nur als unwissenden Hochmut deuten kann, der heute leider weit verbreitet ist. Liest man die frühen Christen, so gingen sie mit viel mehr Respekt und Mühe an die Texte der Apostel, gerade an jene von Paulus, und suchten immer Rat bei jenen, die Paulus persönlich kannten, und sie taten noch etwas, was heute anscheinend völlig ignoriert wird: sie sahen sich das Leben von Paulus an. Das, wie Paulus seine eigenen Worte lebte, nur das zählte für seine Schüler. Das Maß war also die Praxis, nicht die Theorie. Und das ist der Kern der Lehre der Apostel: sie definiert sich aus der Praxis. Die Worte des Meisters müssen immer durch seine Taten gesehen und beurteilt werden. Heute wird dieser Grundsatz umgedreht und allein schon dadurch kommen späte Christen zu völlig anderen Ergebnissen als die frühen Christen, die aufmerksame Nachahmer ihrer Lehrer waren, nicht blinde Nachplapperer. Und genau dazu fordert gerade Paulus seine Leser an vielen Stellen auf: seid meine Nachahmer!
Bevor wir uns aber ansehen, wie Paulus selbst seine eigenen Worte lebte und also verstanden haben wollte, noch ein paar wichtige Hintergrundinformationen zu dem Brief, um den es hier geht, nämlich den Römerbrief.