Woher hatte Johannes die Idee, dass Gott alles durch das Wort erschuf?

Das Johannesevangelium beginnt mit einem sehr eigenartigen Satz, dessen Aussage einzigartig zu sein scheint in der ganzen Heiligen Schrift. Aber nur, wenn man nicht die Apokryphen kennt. Denn dort steht:

Weish 9,1 Joh 1,1-3
Du Gott meiner Väter und Herr der Barmherzigkeit, der du das All durch dein Wort geschaffen Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei Gott. Alles ist durch dasselbe entstanden; und ohne dasselbe ist auch nicht eines entstanden, was entstanden ist.
Menge Bibel Schlachter 2000

Seit Johannes sein Evangelium mit diesen Sätzen begann, galt das Wort „Wort“ (auf Griechisch „Logos“) vom frühen Christentum an bis heute als Codename für Jesus Christus. Johannes war aber der einzige Evangelist, der vom Logos schrieb und damit Christus meinte. Deswegen gilt dieser Wortbezug für viele als „typisch Johannes“ und jeder, der Jesus als „das Wort“ („den Logos“) bezeichnet, als jemand, der Johannes zitiert oder im Geist des Johannes schreibt bzw. redet. Doch Johannes hatte sich das nicht ausgedacht, sondern diesen Bezug von der Heiligen Schrift selbst. Und zwar aus dem Buch der Weisheit Salomos.

Die Hintergrundgeschichte

Vom göttlichen Logos, durch den alles geschaffen wurde, schrieben auch die Gnostiker und davor mehrere Griechische Philosophen. Deswegen steht für viele Textkritiker fest, dass Johannes sich von denen inspirieren ließ, als er als einziger Apostel und Evangelist den Griechischen Begriff Logos (Wort) benutzte und auf Gott selbst bezog. „Ihr irrt, weil ihr die Schrift nicht kennt“, hätte auch ihnen Jesus gesagt. Denn es gibt ein Buch im Griechischen Alten Testament, der Septuaginta, das den Griechischen Begriff „Logos“ („Wort“) ganz klar auf den Schöpfer und somit Gott selbst bezieht. Das Buch Weisheit verwendet das Wort so eindeutig in dem selben Sinn wie Johannes, dass es keinen Zweifel geben kann, dass Johannes sich direkt darauf bezog. Und es ist viel naheliegender, dass der Fischer Johannes die Septuaginta zitiert, die er in jeder Synagoge vorgelesen bekam, als einen griechischen Philosophen, von dem er noch nie etwas gehört hatte.

Und dass Johannes die Gnostiker zitierte, glauben nur die Unwissenden, die nicht verstanden haben, dass Johannes sein Evangelium (und alle anderen Bücher) gegen die Gnostiker schrieb, um die Irrlehre der Gnosis zu widerlegen und die christliche Lehre davon klar abzugrenzen. Die Gnostiker trennten nämlich Jesus, Christus, den Sohn Gottes, den Erlöser und den Logos (das Wort) voneinander. Das waren alles verschiedene Personen bei ihnen und manche davon ganz Mensch, andere ganz Gott. Doch in der Heiligen Schrift ist das alles ein und dieselbe Person und dafür öffnete Jesus seinen Aposteln die Augen. Paulus drückte das zum Beispiel so aus:

Dieser ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene, der über aller Schöpfung ist. Denn in ihm ist alles erschaffen worden, was im Himmel und was auf Erden ist, das Sichtbare und das Unsichtbare, seien es Throne oder Herrschaften oder Fürstentümer oder Gewalten: Alles ist durch ihn und für ihn geschaffen; und er ist vor allem, und alles hat seinen Bestand in ihm. Und er ist das Haupt des Leibes, der Gemeinde, er, der der Anfang ist, der Erstgeborene aus den Toten, damit er in allem der Erste sei. (Kolosser 1,15-18)

Damit ist klar, dass natürlich auch für Paulus Jesus, der erstgeborene Sohn, und das Wort, durch das alles geschaffen wurde, die selbe Person sind auch wenn er den Begriff „das Wort“ (Logos) nicht dafür benützte. Die Gnosis, die diese Einheit des erstgeborenen Sohnes Gottes mit dem alles erschaffenden Logos energisch zerpflückte und bestritt, entstand Mitte des ersten Jahrhunderts noch als die Apostel lebten. Bereits Paulus schrieb gegen die Gnosis (wie etwa sein eindeutig anti-gnostisches Bekenntnis im Zitat aus dem Kolosserbrief oben), doch am Ende des ersten Jahrhunderts, als die Gnosis begann stark in die Gemeinden einzudringen und die Worte der Schrift zu verdrehen und umzudeuten, lebte nur noch Johannes als einziger Apostel und deswegen benützte Johannes den Begriff „das Wort“ (Logos) für seinen Herrn Jesus wiederholt und betont und schärfte die richtige Lehre seinen Schülern und Gemeinden ein. In allen seinen Büchern, die sich allesamt gegen die häretische Gnosis positionierten, insbesondere aber in der Offenbarung (siehe Das Wort und das Schwert). Und die frühen Christen führten diese Praxis mit Eifer fort. Der Logos (das Wort) ist tatsächlich eine der gängigsten und häufigsten Bezeichnungen für Jesus Christus in den Schriften der frühen Christen der ersten drei Jahrhunderte:

Ignatius von Antiochien:

Lasset euch nicht verführen durch die falschen Lehren und die alten Sagen, die nichts nützen; denn wenn wir bis jetzt nach dem Judentum leben, gestehen wir zu, dass wir die Gnade nicht empfangen haben. Denn die gotterleuchtetsten Propheten haben nach Christus Jesus gelebt. Deshalb wurden sie auch verfolgt, begeistert von seiner Gnade, auf dass die Ungläubigen volle Gewissheit bekämen, dass es einen Gott gibt, der sich geoffenbart hat durch Jesus Christus, seinen Sohn, der sein in der Stille ausgegangenes Wort ist und in allem dem Wohlgefallen hat, der ihn gesandt hat. (Die sieben Briefe des Ignatius von Antiochien (BKV), Ignatius an die Magnesier, 8. Kap. Hütet euch vor Irrlehren!)

Justin der Märtyrer:

Alles, was wir als Lehren Christi und der ihm vorausgegangenen Propheten ausgeben, ist allein wahr und älter als alle Schriftsteller, die es gegeben hat; aber nicht deshalb, weil wir dasselbe wie sie lehren, verlangen wir Annahme unserer Lehre, sondern deshalb, weil wir die Wahrheit sagen.

Jesus Christus ist allein als der eigentliche Sohn Gottes gezeugt, weil er sein Logos (Wort), Erstgeborener und seine Kraft ist, und er hat, nach seinem Ratschlusse Mensch geworden, uns diese Lehren zur Umwandlung und zur Hinaufführung des menschlichen Geschlechtes gegeben. (Erste Apologie (BKV), Kapitel 23)

Gottes Logos aber ist sein Sohn, wie wir früher gesagt haben (Erste Apologie (BKV), Kapitel 63)

Irenäus:

Und da hört der Vergleich auf, damit der abtrünnige Knecht nicht mit dem Herrn verglichen wird, noch irgend etwas von dem, was geschaffen und untergeordnet ist, mit dem Worte Gottes verglichen wird, mit unserm Herrn Jesus Christus, durch den alles gemacht worden ist. (Gegen die Häresien (BKV), Drittes Buch, 8. Kapitel: Exegese über Mt. 6,24)

Denn der wahre Weltenschöpfer ist das Wort Gottes, d. h. unser Herr, der in den letzten Zeiten Mensch geworden ist. (Gegen die Häresien (BKV), Fünftes Buch, 18. Kapitel: Das Wort ist der Schöpfer und Herr dieser Welt)

Clemens von Alexandria:

Unser Erzieher, meine Kinder, gleicht Gott, seinem Vater, dessen Sohn er ist; er ist sündlos, ohne Tadel und ohne Leidenschaften der Seele, ein unbefleckter Gott in der Gestalt eines Menschen, dem väterlichen Willen dienstbar, der Logos Gott, der in dem Vater ist, der zur Rechten des Vaters ist, der Gott ist auch in Menschengestalt. (Paidagogos (BKV), Erstes Buch, II. Kapitel. Daß der Erzieher unserer Sünden wegen die Leitung hat)

Wir wollen also die Gebote des Herrn durch Taten lieben; denn auch der Logos selbst hat dadurch, daß er Fleisch wurde, deutlich gezeigt, daß die Tugend auf das Handeln ebenso sehr wie auf das Erkennen gerichtet (praktisch und theoretisch) ist; so wollen wir denn den Logos als Gesetz annehmen und in seinen Geboten und Ermahnungen kurze und zielsichere Wege zum ewigen Leben erkennen; denn seine Befehle sind voll Überzeugungskraft, nicht voll Schrecknis. (Paidagogos (BKV), Erstes Buch, III. Kapitel. Daß der Erzieher die Menschen liebt)

Tertullian:

Im Evangelium aber finde ich außerdem einen Diener und Zeugen des Schöpfers, sogar Sein Wort. (Gegen Hermogenes, 22.Cap)

Auch die Juden wußten, daß Christus kommen würde, da zu ihnen ja die Propheten redeten. Denn sie erwarten seine Ankunft auch jetzt noch, und es gibt keinen größeren Streitpunkt zwischen ihnen und uns, als den, daß sie nicht glauben, er sei schon gekommen. [..] Da sie ihn also infolge seiner Niedrigkeit für einen bloßen Menschen hielten, so bereiteten sie ihm Nachstellungen, so daß sie ihn wegen seiner Machttaten als einen Zauberer ansahen, da er durch sein bloßes Wort Dämonen aus den Menschen austrieb, Blinde wieder sehend machte, Aussätzige reinigte, Gelähmte wieder straff machte, Tote sogar durch sein Wort dem Leben wieder gab, die Elemente selbst zu Dienern machte, indem er die Stürme bändigte und auf dem Meere einherging, und so zeigte, daß er der Sohn Gottes war, jener, der von alters her verkündigt und zum Heil aller geboren war, jenes uranfängliche, erstgeborene, von der Macht und der Vernunft begleitete und vom Geiste getragene Wort, eben derselbe, der alles durch sein bloßes Wort macht und gemacht hat.  (Apologetikum (BKV), 21. Kap. Der Zusammenhang des Christentums mit dem Judentum. Der Logos, seine Gottheit, Menschwerdung, Geburt, Leben, Wunder, Leiden, Sterben, Auferstehung und Himmelfahrt.)

Hippolytus von Rom:

Aber jemand wird vielleicht zu mir sagen: „Du bringst etwas mir fremdes vor, wenn du den Sohn das Wort nennst. Denn Johannes spricht zwar von dem Wort, aber es ist ein Sprachbild.“ Nein, es ist kein sprachliches Bild. Denn während er so das Wort vorstellt, das von Anfang an war und jetzt ausgesandt worden ist, sagt er nachfolgend in der Apokalypse: „Und ich sah den Himmel offen, und siehe, ein weißes Pferd; und der darauf saß, war treu und wahrhaftig, und in Gerechtigkeit richtete er und führte Krieg. Und seine Augen waren wie Feuerflammen, und auf seinem Haupt waren viele Kronen; und er hatte einen Namen geschrieben, den niemand kannte als er selbst. Und er war bekleidet mit einem Gewand, das in Blut getaucht war; und sein Name heißt: „Wort Gottes“.“ (Against the Heresy of One Noetus 15.)

Auf welche Weise wohl der Logos Gottes — der Logos vor Alters ist selbst wiederum der Knecht Gottes — vor Alters den seligen Propheten die Offenbarungen gegeben habe, suchst du zu erforschen. Nun wohlan, seine Barmherzigkeit und Nichtachtung der Person zeigt sich in allen Heiligen, die der Logos erleuchtet und wie ein erfahrener Arzt, der die Schwächen der Menschen kennt, für das, was uns zuträglich ist, empfänglich macht. Die Unwissenden sucht er zu belehren, die Irrenden führt er auf seinen wahren Weg zurück. Von denen, die ihn mit Vertrauen suchen, läßt er sich leicht finden, und denen, die mit reinen Augen und keuschen Herzen an die Thür zu klopfen verlangen, öffnet er sofort. (Das Buch über Christus und den Antichrist (BKV) 3. Der Logos erleuchtete ehemals die Propheten, wie er ohne Ansehen der Person Alle erleuchtet, welche zu ihm kommen wollen)

Der Logos Gottes war nämlich fleischlos, nahm aber dann das heilige Fleisch aus der heiligen Jungfrau an, indem er sich gleichsam wie ein Bräutigam ein Kleid für das Kreuzleiden wob, um dadurch, daß er unserm sterblichen Leibe seine Macht hinzufügte und mit dem Unvergänglichen das Vergängliche und das Schwache mit dem Starken vermischte, den verlornen Menschen zu erlösen. (Das Buch über Christus und den Antichrist (BKV) 4. Die Erlösungsthätigkeit Christi verglichen mit Webestuhl und Gewebe

Origenes:

Der Mund des Sohnes Gottes ist ein scharfes Schwert, denn „das Wort Gottes ist lebendig und wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und erkennt die Gedanken und Sinne des Herzens.“ (Origen's Commentary on the Gospel of John Book I. 36.)

Mathetes:

Nicht Fremdartiges predige ich und stelle keine vernunftwidrigen Untersuchungen an, sondern nachdem ich Schüler der Apostel geworden bin, werde ich Lehrer der Heiden und biete das Überlieferte in rechter Weise solchen dar, die Schüler der Wahrheit werden. Denn welcher Mensch, der rechtgläubig unterwiesen und dem Logos befreundet geworden ist, hat nicht das Bestreben, klar zu erfassen, was durch den Logos den Jüngern deutlich gezeigt wurde, denen der Logos, als er sichtbar erschienen war, es offenbarte, indem er freimütig zu ihnen redete? Von den Ungläubigen wurde er zwar nicht begriffen, zu den Jüngern aber redete er deutlich, die, als Gläubige von ihm erkannt, die Geheimnisse des Vaters kennen lernten. Deswegen sandte er den Logos, damit er der Welt erschiene, der von seinem Volke missachtet, von den Aposteln gepredigt und von den Heiden gläubig aufgenommen wurde. Dieser ist es, der von Anfang an war, als ein Neuer erschien und als der Alte erfunden wurde, der immerfort neu in den Herzen der Heiligen geboren wird. Er ist der Ewige, von dem es heisst, er sei „heute der Sohn“ (Brief an Diognet (BKV) 11. Gnadengaben des göttlichen Logos.)

Athenagoras von Athen:

Denn unsere Gedanken über Gott Vater und Sohn weichen gar sehr von den Mythen der Dichter ab, die die Götter nicht im mindesten besser sein lassen als die Menschen; der Sohn Gottes ist das Wort (Logos) des Vaters als vorbildlicher Gedanke und schöpferische Kraft; denn nach ihm und durch ihn ist alles gemacht; Vater und Sohn sind eins. Da der Sohn im Vater und der Vater im Sohne ist durch die Einheit und Kraft des Geistes, so ist der Sohn Gottes der Gedanke (Nus) und das Wort (Logos) des Vaters. (Bittschrift für die Christen (BKV) 10.)