• Eine aufschlussreiche Gegenüberstellung

Fazit und Lösung

Fassen wir zusammen:

Auf der linken Seite haben wir einen bösen, ungerechten Gott, der das Schicksal für alle Menschen vorherbestimmt hat und alle Menschen mit Zwang dazu reitet, und wo der Mensch nichts daran ändern kann. Das nennt die linke Seite Gnade, sie ist unverdient, unverlierbar und muss man im Glauben annehmen, denn erlebbar oder mit Vernunft erfassbar ist das alles nicht.

Auf der rechten Seiten haben wir Christen, die wissen, dass Gott wirklich gerecht ist und deswegen den Menschen einen freien Willen gab und sie deswegen auch dafür richten wird. Und darum leben sie täglich in der Heiligung und legen einen tadellosen Lebenswandel hin, und spornen einander dazu an, weil sie wissen, dass sie dadurch erst Gottes Gnade würdig sind. Das ist erlebbar und vernünftig und bestätigt Gott laufend durch seine Unterstützung, denn es gibt eine Kooperation in Sachen Gnade mit Gott und den Menschen.

Die linke Lehre ist älter als das Christentum. Sie kommt aus der griechischen Philosophie und wurde von den Gnostikern mit christlichen Begriffen verkleidet und drang so langsam ins Christentum ein, bis Martin Luther sie als Kern des Christentums bezeichnete und alle, die das tadeln als größte Feinde der Christen verurteilte.

Auf der rechten Seite haben wir die Lehre der Apostel, die im Prinzip die ganze Heilige Schrift durchzieht, vom ersten bis zum letzten Buch, und die die frühen Christen mit viel Kraft gegen die aufsteigende Gnosis zu verteidigen versuchten. Es gelang nur wenige Jahrhunderte bis zur Konstantinische Wende.

Als Lösung für das Problem, dass das Wort „Gnade“ heute von den meisten Menschen völlig falsch verstanden wird, schon rein sprachlich, haben wir einen sehr interessanten Ansatz bei manchen englischen Bibeln gefunden, den wir hier anbieten und vorschlagen möchten: reden wir nicht mehr von „Gnade“ sondern von „Gunst“, denn dieses Wort kommt dem griechischen Wort „charis“ viel näher, wird auf Deutsch noch richtig verstanden, und passt an allen Stellen in der Schrift, wo „charis“ steht. Das tut nämlich „Gnade“ nicht und wird deswegen stellenweise anders übersetzt oder sogar weggelassen, wie wir bereits im anderen Beitrag über Gnade vorführten.

Hier ein paar Beispiele, wie Gunst passen und den Sinn besser verdeutlichen würde:

Das erste Mal taucht charis gleich im ersten Buch der Heiligen Schrift auf, in Genesis 6:

Noah aber fand Gnade vor Gott dem Herrn. (Gen 6,8)

Finden ist ein aktives Wort. Die Gnade Gottes ist Noah nicht vorherbestimmt zugefallen, sondern er fand sie, weil er so lebte, wie es Gott gefiel. Als einziger auf der Erde damals übrigens. Er hatte also Gottes Wohlgefallen, oder - anders ausgedrückt - sich Gottes Gunst erworben. Das drückt der Satz dann so aus:

Noah aber fand Gunst vor Gott dem Herrn.

Dieselbe Formulierung kommt im Buch Esther vor:

Und Esther fand Gnade und Erbarmen vor seinem Angesicht (Esther 2,9)

Vor wem fand Esther Gnade und warum? Sie fand Gnade vor Bugaios, dem Eunuch des Königs, weil sie so außerordentlich schön war. Besser erklären würde das folgende Formulierung:

Und Esther fand Gunst und Erbarmen vor seinem Angesicht

Denn ab dem Moment war Esther der Günstling von Bugaios und wurde speziell und bevorzugt für die Wahl des Königs vorbereitet, dessen Gunst sie sich erst noch erarbeiten musste und es auch tat:

Als der König alle Jungfrauen genau angesehen hatte, erschien Esther als die besterscheinende, und sie fand Gnade und Erbarmen vor seinem Angesicht, und er setzte das Diadem der Königsherrschaft auf ihr Haupt. (Esther 2,17)

Esther tat aktiv etwas, genau wie Noah, um das Wohlgefallen ihres Herrn zu erlangen. In dem Fall war ihr Herr der König, dessen Königin es zu werden galt. Und sie schaffte es, sie verdiente es sich. Sie erlangte die Gunst des Königs:

Als der König alle Jungfrauen genau angesehen hatte, erschien Esther als die besterscheinende, und sie fand Gunst und Erbarmen vor seinem Angesicht, und er setzte das Diadem der Königsherrschaft auf ihr Haupt. (Esther 2,17)

Sowohl bei Noah als auch Esther passt Gunst besser und ist für viele moderne Leser verständlicher als Gnade, weil Gunst immer erarbeitet wird und auch eindeutig wurde von diesen zwei Vorbildern. Von Esther lernen wir übrigens auch, dass Gnade immer wieder aufs Neue erarbeitet, also verdient werden muss. Man muss dran bleiben, so wie Esther sich ganz besonders bemühte, die Gunst ihres Gemahls, des Königs, immer wieder neu zu erlangen. Einmal durch ihre überaus schöne Erscheinung, die sie mit Eifer und körperlichen Einsatz lange vorbereitete und pflegte und dann ein anderes Mal durch ein besonders kostbares Bankett:

Und die beiden stellten sich ein zum Mahl, das Esther veranstaltete, ein kostbares Bankett. Da sagte der König zu Esther: Königin, was ist dein Wille? Erbitte für dich bis zur Hälfte meines Königreiches, und es wird dir gewährt sein, was immer du forderst. Da sagte Esther: Meine Bitte und mein Begehr: Wenn ich Gunst vor dir, König, gefunden habe, und wenn es dem König gut erscheint, meiner Bitte stattzugeben und mein Begehr zu erfüllen, komme der König und Haman zum Mahl, das ich auch am morgigen Tag für sie veranstalten werde; und morgen werde ich es nämlich in gleicher Weise machen.

Im Grundtext steht hier, wie an allen anderen hier angeführten Stellen, charis. Als Übersetzung passt hier Gunst hervorragend und sagt meiner Meinung nach mehr als Gnade, denn Esther bemühte sich mit allem Eifer und das täglich und hartnäckig. Das Festbankett wiederholte sie ebenfalls, bis sie ganz die Gunst des Königs erlangt hatte, sodass sie sicher sein konnte, er würde ihre Bitte erhören. Diese Geschichte ist eine Lehrgeschichte, wie man mit einem König umgeht, dessen Gunst man finden möchte.

Genauso wie Esther bemühte sich auch die Urgemeinde im neuen Testament. Lukas berichtet:

Und sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot hier und dort in den Häusern, hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen und lobten Gott und fanden Gunst beim ganzen Volk. Der Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden.

Es ist die selbe Formulierung wie bei Esther, und auch hier steht charis. Auch hier passt Gunst perfekt, denn sie ist durch beständige Bemühung (täglich, einmütig beinander …) verdient. In dem Fall fand die Gemeinde sicher nicht nur die Gunst des Volkes, sondern auch Gottes. Leider verstehen diese Stelle viele moderne Christen falsch, weil sie glauben, sie müssten zuerst die Gunst des Volkes suchen. Das ist aber falsch und wird von der Kirchengeschichte widerlegt. Denn bald schon standen – auch in der Apostelgeschichte - die Christen nicht mehr in der Gunst des Volkes, sondern Herodes machte dem Volk sogar einen Gefallen, in dem er einige von der Gemeinde gefangen nahm, misshandelte und einen davon öffentlich hinrichtete (Apg 12,1-3).

Oder nehmen wir die Aussage Jesu, die Lukas wie oben beschrieben mit charis formulierte:

Und wenn ihr liebt, die euch lieben, welche Gunst habt ihr davon? Denn auch die Sünder lieben, die ihnen Liebe erweisen. (Lk 6,32)

Hier passt Gnade gar nicht für die modernen Übersetzungen, darum schreiben sie Dank. Aber Gunst wäre noch passender, weil sie in die Richtung lenkt, die Jesus meint: Wollt ihr die Gunst der Menschen oder Gottes erlangen? Und mit dieser Frage beschließen wir diesen Beitrag, obwohl es sicherlich noch viel mehr zu sagen gäbe. Aber der erste Gedankenanstoß ist getan. Weitere mögen noch folgen.