• Eine aufschlussreiche Gegenüberstellung

Unverdient?

Gnade ist ...
ein verdientes Geschenk

Ähnlich gelagert ist die Frage, ob ein Geschenk unverdient oder verdient sein kann.

Wieder behauptet die linke Seite, dass ein Geschenk nur ein Geschenk sei, wenn es unverdient ist. Andernfalls sei es kein Geschenk sondern ein Lohn. Das klingt für viele Menschen auf Anhieb logisch und richtig. Aber auch hier entgegnet die rechte Seite, dass nicht alles, was in der Theorie richtig klingt, auch in der Praxis richtig ist. Wiederum muss der Praxistest her.

Wer kennt sie nicht, die Geschichten, wo der Held, der einen bösen Feind tötet, als Dank dafür die Prinzessin und das halbe Königreich geschenkt bekommt? Es muss jedem klar sein, dass ein halbes Königreich und obendrein die Prinzessin vielmehr wert sind als die geforderte Arbeitsleistung. Denn der Lohn dafür wäre der normale Sold eines extra zu dem Zwecke angeheuerten Söldners. Oder das Kopfgeld, das auf den Bösewicht ausgeschrieben ist. Der Unterschied zwischen einem Kopfgeld und diesem Geschenk ist gigantisch. Es ist also ein Geschenk, was dem Held in Aussicht gestellt wird, aber er muss es sich verdienen.

Ein Beispiel aus unserer heutigen Zeit: Es gibt in einigen christlichen Ländern den Brauch, dass zu Weihnachten Häftlinge aus dem Gefängnis entlassen werden. Weihnachtsamnestie heißt das. Oft handelt es sich dabei um Gewaltverbrecher, die zu lebenslanger Haft verurteilt wurden, und nun aber begnadigt werden. Geschieht das nach dem Prinzip „unverdient“, etwa per Zufall? Wird gewürfelt oder eine Lotterie veranstaltet? Keinesfalls! Es wird in der Regel dem König, Präsident oder Gouverneur des jeweiligen Landes eine Liste von Sträflingen vorgelegt, die über längere Zeit positiv aufgefallen sind, weil sie im Gefängnis vorbildliche Insassen waren und somit durch ihre gute Führung glaubhaft zeigten, dass sie sich ernsthaft bessern wollten und daher eine zweite Chance verdienen. Sie haben keinen Anspruch darauf begnadigt zu werden, aber sie verdienen es. Das ist ein feiner Unterschied.

Die linke Seite behauptet, dass jeder Mensch es verdient hätte, eine zweite Chance zu bekommen. Darauf entgegnet wiederum die rechte Seite, dass auch das in der Praxis widerlegt ist. Denn niemand will die Verantwortung tragen, was zu Weihnachten auf der ganzen Welt los wäre, wenn alle Verbrecher aller Gefängnisse begnadigt würden. Es mag zwar ein romantischer Gedanke sein, wenn alle Gefängnisse dieser Welt leer stünden, aber es bräche Chaos, Gewalt und Verbrechen in ungeahntem Maße überall aus und keine Polizei würde das in den Griff bekommen. Es hatte ja schließlich einen Grund, warum man diese Menschen wegsperrte. Sie sind schlecht für die Gesellschaft und richten irreparable Schäden an, wenn sie sich frei bewegen können. Andererseits aber gibt es in manchen Fällen gute Gründe, Menschen zu begnadigen. Aber nicht wahllos nach dem Zufallsprinzip, sondern nur jene, die es verdient haben. Das harmoniert mit dem Rechtsverständnis und Gerechtigkeitsgefühl der freien Menschen und so ist es nachvollziehbar, dass auch Gnade verdient sein muss, denn Gnade ist kein theologischer Fachbegriff des Christentums (auch wenn manche Theologen das gerne so hätten), sondern ein alltäglicher Begriff aus dem Leben in einem guten Rechtsstaat.

Dazu hat übrigens die Heilige Schrift einiges aufschlussreiches zu sagen. Wie bereits in dem anderen Beitrag über Gnade erklärt, ist das Griechische Wort hierfür charis. Wir haben dort viele Stellen behandelt, wo dieses Wort unterschiedlich übersetzt wird. Aber das waren bei weitem nicht alle. Eine weitere - sehr brisante – finden wir im Lukasevangelium. Dort sagt Jesus:

Und wenn ihr liebt, die euch lieben, welchen Dank habt ihr davon? Denn auch die Sünder lieben, die ihnen Liebe erweisen. (Lk 6,32)

Keine Übersetzung schreibt hier Gnade, obwohl im Griechischen Grundtext charis steht! Stattdessen schreiben die meisten Dank oder Anerkennung. Damit verschleiern sie aber, dass Lukas hier eigentlich von Gnade spricht, Gnade so wie die Apostel sie von ihrem Meister, dem Herrn Jesus, lernten. Aber das ist noch nicht alles. Der Heilige Geist wusste im Voraus, was gewisse Menschen mit dem Wort Gnade anstellen würden und hat Vorkehrungen getroffen, um aufmerksamen Menschen trotzdem zu zeigen, was Gott wirklich meint. Und so hat Matthäus, der, wie wir bereits ebenfalls schon erwähnten, das Wort Gnade (charis), überhaupt nicht braucht, dieselbe Aussage von Jesus anders formuliert. Und zwar so:

Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner? (Mt 5,46).

Matthäus schreibt hier nicht charis, sondern misthos, und das bedeutet Lohn, Verdienst oder Belohnung und übersetzen alle Bibeln richtig an der Stelle.

Was soll uns das sagen? Es beweist, dass die Apostel das Wort charis (Gnade) selbstverständlich als gleichbedeutend mit misthos (Lohn) verstanden und gebrauchten. In ihrer Sprachwelt war Gnade also keineswegs unverdient, im Gegenteil, es war ein anderes Wort für Verdienst oder Belohnung. So verstanden sie es, und das gibt auch der Bedeutungsumfang des Griechischen Wortes charis her. Und das kommt – wenn man das weiß – an vielen Stellen der Schrift zum Ausdruck. Das Problem ist heute aber, das seit ein paar Jahrhunderten die meisten Menschen ein verzerrtes Bild von Gnade haben und somit die Heilige Schrift anders lesen als die Autoren, die es schrieben, und als deren Leser damals, die noch wussten, was charis wirklich bedeutet. Wir kommen darauf noch am Ende zu sprechen mit einem Vorschlag zur besseren Übersetzung in heutigem Deutsch. Hier sei nur erwähnt, dass Jesus Christus auch von Lohn oder Verdienst sprach, wenn Er über Gnade und Errettung redete. Das muss man wissen und sich merken.