Unvereinbar mit dem freien Willen?
Gnade ist ... | |
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absolut unvereinbar mit dem freien Willen | in absoluter Harmonie mit dem freien Willen |
Martin Luther schrieb dazu:
Es ist nicht unfromm, neugierig oder überflüssig, sondern ganz besonders heilsam und notwendig für den Christen zu wissen, ob der eigene Wille etwas oder nichts tun kann in den Dingen, die zum Heil gehören. Ja das ist, damit Du im Bilde bist, sogar der Angelpunkt unserer Disputation, hier liegt der Kern dieser Sache. Denn darauf sind wir aus, dass wir untersuchen, was der freie Wille vermag, was er zulässt, wie er sich zur Gnade Gottes verhält. Wenn wir das nicht wissen, wissen wir rein gar nichts von den Angelegenheiten der Christen und werden schlimmer sein als alle Heiden. Wer das nicht empfindet, gesteht damit ein, dass er kein Christ sei, wer aber das tadelt und verachtet, möge wissen, dass er der größte Feind der Christen ist. (Dr. Martin Luther, Vom unfreien Willen, Dezember 1525)
Für Luther ist die Frage, ob es einen freien Willen des Menschen gibt oder nicht, also heilsnotwendig und er geht sogar soweit, dass er sagt, dass alle, die das nicht so empfinden, keine Christen sind, und jene, die das tadeln, sogar die größten Feinde der Christen sind. Was hat das aber mit unserem Thema Gnade zu tun? „Hier liegt der Kern dieser Sache“, sagte Luther oben. Im selben Brief verrät er seine Strategie:
… so dass wir zunächst die Argumente widerlegen, welche für den freien Willen beigebracht werden, alsdann verteidigen, was von den unseren bestritten wird und schließlich gegen den freien Willen für die Gnade Gottes kämpfen. (Ebd.)
Gnade und freier Willen schließen einander aus, lehrt Martin Luther. Wer das eine predige, kämpfe gegen das andere und bestreite es. Genau zu diesem Zwecke schrieb Martin Luther den langen Brief „Vom unfreien Willen“ an Erasmus von Rotterdam. Dieses Werk, das ein ganzes Buch füllt, gilt bis heute als Standardwerk für Lutheraner, weil Luther darin seine Lehre ausführlich darlegt und kompromisslos alle anderen Ansichten mit aller Gewalt in den Boden stampft. Wir haben hier nicht den Platz, Luthers Argumente gegen den freien Willen ausführlich auszubreiten (er brauchte im genannten Brief selbst dafür mehr als 36.000 (sechsunddreißigtausend) Wörter!). Hier sei nur so viel festgehalten: das linke Gnadenverständnis steht und fällt mit der Behauptung, dass der Mensch keinen freien Willen hat. Das ist der Kern der Sache, wie Luther selbst sagt. Das muss man verstanden haben. Die Gnade auf der linken Seite braucht zwingend den unfreien Willen des Menschen (und übrigens auch der Engel, wie Luther ausführt), denn es kann entweder nur der freie Wille oder die Gnade Gottes in den Menschen wirken.
Abgesehen davon ist der freie Wille an sich bei allen Menschen das Reich des Satans. (Ebd.)
Umgekehrt, wenn Gott in uns wirkt, will und handelt andererseits der durch den Geist Gottes gewandelte und freundlich eingeblasene Wille wiederum aus reiner Lust und Neigung, so dass er durch nichts Entgegengesetztes in etwas anderes verwandelt werden, ja nicht einmal durch die Pforten der Hölle besiegt oder gezwungen werden kann. Sondern er fährt fort das Gute zu wollen, gern zu haben und zu lieben, so wie er vorher das Böse wollte, gern hatte und liebte. Das beweist wiederum die Erfahrung, Denn wie unüberwindlich und standhaft sind die heiligen Männer, während sie mit Gewalt zu anderem gezwungen werden sollen. Ja, sie werden dadurch noch mehr zum Wollen angespornt, so wie das Feuer vom Wind mehr angefacht als ausgelöscht wird. So dass auch hier nicht irgendeine Freiheit oder ein freier Wille, sich anders wohin zu wenden oder anders zu wollen existiert, solange der Geist und die Gnade Gottes im Menschen andauert. (Ebd.)
Luther lehrt also, dass der Mensch unfrei ist. Er wird entweder vom Teufel geritten oder von Gott. Wenn die Gnade Gottes im Mensch andauert, hat er keinen freien Willen. Der Mensch selbst kann das nicht bestimmen, er ist fremdbestimmt:
So ist der menschliche Wille in die Mitte gestellt (zwischen Gott und Satan) wie ein Zugtier. Wenn Gott sich darauf gesetzt hat, will er und geht, wohin Gott will, wie der Psalm (73, 22 f) sagt: „Ich bin wie ein Tier geworden und ich bin immer bei dir“. Wenn Satan sich darauf gesetzt hat, will und geht er, wohin Satan will. Und es steht nicht in seiner freien Entscheidung, zu einem von beiden Reitern zu laufen oder ihn sich zu verschaffen zu suchen, sondern die Reiter selbst kämpfen miteinander, ihn zu erlangen und zu besitzen. (Ebd.)
Die rechte Seite lehrt und verteidigt dagegen vehement den freien Willen des Menschen und hat daher ein völlig konträres Verständnis von Gnade. Gnade ist dort nicht der Zwang, das zu tun was Gott diktiert, sondern eine Kooperation mit Gott. Gnade ist, wenn der freie Wille und das Bemühen des Menschen mit der Kraft und Erkenntnis Gottes zusammenarbeiten. Ein Mensch fragt freiwillig nach Gottes Wille, ordnet sich Ihm unter, und gehorcht Ihm aus freien Stücken und Gott hilft im Gegenzug dann diesem Mensch, das Richtige zu erkennen und zu tun. Der freie Wille ist das Grundprinzip von Gottes Liebe und Gerechtigkeit schlechthin. Und so hat der Mensch auch die Freiheit, Gott zu ignorieren und sich Gottes Geboten zu widersetzen. So wie das schon Eva tat, die lieber auf die Schlange hörte, und wie es Adam tat, der lieber auf Eva hörte anstatt auf Gott. Weder Gott noch der Satan standen mit gezücktem Messer hinter Adam und Eva und zwangen sie zu irgendetwas. Auch wurden sie von niemand geritten. Eva war nicht das Reittier der Schlange. Die ersten Menschen sündigten völlig freiwillig aus eigener Entscheidung. Und genauso geschieht es bei allen anderen Menschen (und übrigens auch Engeln) bis heute: sie haben die freie Wahl – und damit aber auch die alleinige Verantwortung für ihre Entscheidungen und Taten. Alle frühen Christen lehrten das, alle Propheten, und die Apostel sowieso. Alle Stellen hier anzuführen, würde den Rahmen noch mehr sprengen, als Luther ausführlich zu zitieren. Hier wiederum Justin der Märtyrer als Sprecher der rechten Seite:
Es hat uns aber dieses der heilige prophetische Geist gelehrt, der durch Moses bezeugt, Gott habe zu dem ersten Menschen, den er gebildet hatte, also gesprochen: „Siehe, vor deinem Angesichte liegt das Gute und das Böse, wähle das Gute!“ Und wiederum ist durch Isaias, den andern Propheten, in der Person Gottes, des Allvaters und Herrn, in gleichem Sinne folgendes gesagt worden: „Waschet euch, werdet rein, schaffet die Bosheiten fort aus euren Seelen, lernet Gutes tun, schaffet Recht der Waise und laßt Recht widerfahren der Witwe, und dann kommt und wir wollen miteinander verhandeln, spricht der Herr. Und wenn eure Sünden sind wie Purpur, ich werde sie weiß machen wie Wolle, und wenn sie sind wie Scharlach, ich werde sie weiß machen wie Schnee. Und wenn ihr wollt und auf mich hört, so sollt ihr das Beste des Landes essen; hört ihr aber nicht auf mich, so wird das Schwert euch verzehren; denn der Mund des Herrn hat dies gesprochen.“ (1.Apologie XLIV)
Aber weil Gott das Geschlecht der Engel und das der Menschen ursprünglich mit einem freien Willen ausgestattet hat, werden sie mit Recht für ihre Sünden in ewigem Feuer gestraft werden. Und das ist das Wesen alles Geschaffenen, daß es von Natur zu Schlechtigkeit und Tugend fähig ist; es wäre ja auch keines davon des Lobes wert, wenn es nicht auch die Fähigkeit hätte, sich dem einen wie dem anderen zuzuwenden. Das beweisen auch jene Männer, die in den verschiedenen Ländern nach der wahren Vernunft Gesetze gegeben oder Forschungen angestellt haben, indem sie das eine zu tun, das andere zu lassen gebieten. (Justin, 2.Apologie VI)
Und wir sind ferner gelehrt worden, daß Er im Anfange, weil Er gut ist, alles aus formloser Materie der Menschen wegen erschaffen hat; wir haben die Überlieferung, daß diese, wenn sie sich nach seinem Ratschlusse in Werken dessen wert erweisen, des Umganges mit Ihm gewürdigt werden und mit Ihm gemeinsam herrschen, nachdem sie unvergänglich und leidenlos geworden sind. Denn so gewiß Er sie im Anfange, als sie nicht waren, geschaffen hat, ebenso gewiß werden, so glauben wir, die, welche das Ihm Wohlgefällige erwählen, wegen dieser Wahl der Unsterblichkeit und des Zusammenwohnens mit ihm gewürdigt werden.
Denn daß wir im Anfange ins Dasein gerufen wurden, war nicht unser Verdienst; daß wir aber dem nachstreben, was Ihm lieb ist, indem wir es mit Vernunftkräften, die Er selbst uns schenkte, frei wählen, dazu leitet Er uns an und dazu führt Er uns zum Glauben.
Und wir meinen, daß es im Interesse aller Menschen liegt, daß sie von der Erkenntnis dieser Dinge nicht abgehalten, vielmehr zu ihr hingeführt werden. (Justin, 1.Apologie X)
Da Gott den Mensch zu beidem fähig schuf, zu Gutem und Bösem, liegt die freie Wahl tatsächlich allein beim Menschen. Und wenn der Mensch das Gott Wohlgefällige wählt und tut, erweist er sich Gottes Gnade würdig, und dann hilft ihm Gott in allen Dingen und wird am Ende mit ihm zusammenwohnen.
Woher kommt aber die Idee des unfreien Willens? Dazu müssen wir noch einen Schritt in die Tiefe gehen.