• Eine aufschlussreiche Gegenüberstellung

Allein Gottes Werk für passive Menschen?

Gnade ist ...
eine Kooperation zwischen Gott und Mensch, beide sind aktiv

Die linke Seite glaubt, dass der Mensch nichts gutes von sich aus tun kann, sondern im Gegenteil alles, was der Mensch macht, böse ist. Nur Gott könne das Gute im Menschen vollbringen. Jeder menschliche Versuch, etwas Gutes zu tun, scheitert daher kläglich und steht sogar Gottes Wirken im Wege. Das beste sei es also, wenn der Mensch gar nichts mache sondern allein Gott an sich wirken lasse. Das Aufeinandertreffen vom inaktiven Mensch und dem alles wirkenden Gott, das sei Gnade. Martin Luther, der heute bekannteste und kompromissloseste Vertreter dieser Lehre, formulierte das so:

Hier verhält sich der Mensch rein passiv (wie man es bezeichnet), und tut auf keine Weise etwas, sondern „wird“ völlig, d. h, lässt ganz an sich geschehen. (Dr. Martin Luther, Vom unfreien Willen, Dezember 1525. Den Text kann man zum Beispiel hier online lesen.)

Im selben Schreiben spricht Luther sogar von einer passiven Notwendigkeit:

Denn man scheint sich einzubilden, dass der an sich gute oder wenigstens nicht böse Mensch von Gott die böse Handlung duldet, wenn man hört, dass wir sagen, Gott wirke in uns Gutes und Böses und wir seien in reiner passiver Notwendigkeit dem wirkenden Gott unterworfen. Sie bedenken nicht genügend, wie unaufhörlich bewegend Gott in allen seinen Geschöpfen wirkt und keines untätig sein lässt. Sondern so muss der es betrachten, wer überhaupt irgendwie derartiges verstehen will, dass Gott in uns, das heißt durch uns, das Böse wirkt nicht durch Verschulden Gottes, sondern infolge unseres Mangels, die wir von Natur böse sind. Gott ist aber wahrlich gut, der uns mit seinem Wirken entsprechend der Natur seiner Allmacht fortreißt, und nicht anders handeln kann, als dass er, der selbst gut ist, mit den schlechten Werkzeugen Böses tut, wenngleich er auch dies Böse seiner Weisheit entsprechend zu seiner Ehre und unserem Heil wohl anwendet. (Ebd.)

Martin Luther geht so weit, dass er behauptet, alles gute und böse, was der Mensch macht, macht der Mensch gar nichts selber, sondern Gott durch ihn. Wenn der Mensch ein schlechtes Werkzeug ist, dann kann Gott durch ihn nur schlechtes machen, obwohl Gott nur gut ist. Das führt automatisch zu einer Lehre, die den freien Willen abstreitet und als Lüge bezeichnet. Und es wirft die Frage auf, woher kommt die böse Natur des Menschen, wenn Gott doch nur gut ist und alles schuf? Dazu kommen wir noch.

Zuvor betrachten wir die Gegenseite. Sie lehrt, dass der Mensch von Gott so geschaffen wurde, dass er zu beidem fähig ist, zu gutem und zu bösem, es läge am Mensch, sich zu entscheiden was er tut, und Gott würde die Menschen dafür am Ende ewig belohnen oder bestrafen, je nach ihren Werken. Der Mensch darf also nicht passiv sein, sondern muss aktiv werden. Der Mensch muss sich seiner Verantwortung und Rechenschaft bewusst sein. Die rechte Seite verweist hier auf das Gesamtzeugnis der Heiligen Schrift. Überall wird der Mensch aufgefordert aktiv zu werden und das Gute zu tun und das Böse zu lassen. Es ist eigentlich egal, in welches Buch der Heiligen Schrift man sieht, überall steht diese Botschaft, überall ermahnt Gott die Menschen das Richtige zu tun. Ganz besonders aber macht das Jesus Christus:

„Geht ein durch die enge Pforte! Denn die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der ins Verderben führt; und viele sind es, die da hineingehen. Denn die Pforte ist eng und der Weg ist schmal, der zum Leben führt; und wenige sind es, die ihn finden.“ (Mt 7,13-14).

Das ist ein Aufruf Christi zur Aktivität. Noch deutlicher schreibt es Lukas:

Es sprach aber einer zu ihm: Herr, sind es wenige, die errettet werden?
Er aber sprach zu ihnen:
Ringt danach, durch die enge Pforte hineinzugehen! Denn viele, sage ich euch, werden hineinzugehen suchen und es nicht können. (Lk 13,23-24)

Auf die Frage, ob wenige errettet werden, antwortete Jesus also nicht: „Macht am besten gar nichts, bleibt passiv, und lasst die Gnade Gottes alles machen“ sondern „Ringt danach, durch die enge Pforte hineinzugehen!“ „Danach ringen“ ist das absolute Gegenteil von einer „passiven Notwendigkeit“. Wer erkennt den himmelhohen Unterschied zwischen den beiden Botschaften von Jesus Christus und Dr. Martin Luther?

Übrigens ist es schon sehr aufschlussreich, dass die Menschen, die jahrelang täglich mit Jesus zusammen waren und Ihn predigen hörten und Seinen Lebenswandel rund um die Uhr live sahen, überhaupt so eine Frage stellen, oder? Wer Jesus wirklich kennt, der fragt sich, ob wenige errettet werden. Der kommt gar nicht auf die Idee, dass es viele sein werden. So eindeutig war Jesu Lehre und Leben. Ebenso ist Jesu berühmter Ausspruch „Wer suchet der findet“ ein deutlicher Aufruf an die Menschen aktiv zu werden. Nur Suchende werden finden. Suchen ist ein aktiver Vorgang. Hingegen verurteilt und beklagt Gott alle Menschen, die sich passiv treiben lassen im Leben anstatt nach Gott zu fragen:

Der HERR schaut vom Himmel auf die Menschenkinder, um zu sehen, ob es einen Verständigen gibt, einen, der nach Gott fragt. Sie sind alle abgewichen, allesamt verdorben; es gibt keinen, der Gutes tut, auch nicht einen Einzigen! (Ps 14,2-3. 53,3-4)

Auch Martin Luther kannte diesen Psalm und lehrte ihn. Allerdings zog er eine andere Lehre daraus. Er verstand diesen Psalm so, als wäre er eine Art Bankrotterklärung Gottes, als würde Gott einsehen, dass die Menschen nichts gutes können, und dabei resignieren. Daher müsse Gott ab sofort alles Gute selbst machen und die Menschen gegen ihren Willen buchstäblich fernsteuern. Das werden wir noch näher beleuchten.

Vorerst noch weitere Einwände der rechten Seite:

Abgesehen davon, dass Jesus nie lehrte, dass die Menschen passiv sein sollen, sondern immer nur aktive Appelle an die Menschen richtete, wie oben gezeigt, gab Er auch seinen Jüngern ein Vorbild, das sie nachahmen sollten und gab ihnen einen Lehrauftrag: „lehrt sie alles halten, was ich euch befohlen habe.“ (Mt 28,20)

Solche Befehle gibt man nicht, wenn man will, dass die Leute passiv werden. Solche Befehle gibt man, wenn man die Menschen zur Aktivität ermutigen will. „Lehren“ und „halten“ ist nicht passiv, sondern erfordert aktive Anstrengung. Und genauso verstanden es auch die Apostel. Wir müssen uns nur das Leben der Apostel ansehen: ist es ein Zeugnis der Passivität oder der Anstrengung und des Eifers? Alle Apostel lehrten unermüdlich praktisch Tag und Nacht ihre Schüler und unterwiesen sie in den Geboten Christi. Wenn Gott wollte, dass die Menschen passiv werden, dann hätte Er jedem Mensch einen Fernseher geschenkt und ihn den ganzen Tag davor gesetzt. Das wäre effektiver gewesen. Aber Er hätte nicht Propheten, Apostel und Lehrer in die Welt geschickt, die die Menschen durch ihr tadelloses Vorbild ermahnen und unterweisen und sie zu guten Werken anstacheln sollten. Wozu braucht es überhaupt eine Lehre, wenn ohnehin alles Gott macht? Wozu Ermahnung? Wozu Predigt? Wozu Bücher? Passivität muss man nicht lernen, dazu braucht es keine Meister und keine Vorbilder. Und schon gar nicht Märtyrer. Einer dieser Märtyrer ist Justin der Märtyrer. Er schrieb im 2. Jahrhundert:

Dagegen sind wir gelehrt worden und glauben fest, daß Er nur jene in Gnaden annimmt, die das Ihm innewohnende Gute nachahmen: Enthaltsamkeit, Gerechtigkeit, Nächstenliebe und was sonst Gott eigentümlich ist, Ihm, der mit keinem Ihm erst beigelegten Namen benannt wird. (Justin, 1.Apologie X)

Nachahmen ist ein aktives Wort, kein passives. Paulus wiederholt immer wieder den Befehl, sein Nachahmer zu sein, zum Beispiel hier:

Seid meine Nachahmer, gleichwie auch ich [Nachahmer] des Christus bin! (1Kor 11,1 )

„Nachahmer von Paulus zu sein, ist das eine“, mögen jetzt manche einwenden, „aber ein Nachahmer Gottes zu sein, ist das nicht zu viel verlangt? Schießt da Justin nicht weit über das Ziel hinaus? Ist das nicht bereits eine Irrlehre?“ Nun, Justin hat sich das nicht ausgedacht. Achtet genau darauf, woher Justin diese Lehre hat. Er sagt: „wir sind gelehrt worden …“. Er spricht von sich und seinen Brüdern, die ebenfalls Lehrer und Leiter in den Gemeinden des zweiten Jahrhunderts waren. Gemeinden, die ein paar Jahrzehnte davor von den Aposteln gegründet wurden und dann an die nächste Generation von Leitern übergeben wurden. Von wem kommt die Lehre also? Von den Aposteln! Und so schrieb Apostel Paulus selbst an die Epheser:

Werdet nun Gottes Nachahmer als geliebte Kinder und wandelt in der Liebe, gleichwie auch Christus uns geliebt und sich selbst für uns gegeben hat als Darbringung und Schlachtopfer, zu einem lieblichen Geruch für Gott.
Unzucht aber und alle Unreinheit oder Habsucht soll nicht einmal bei euch erwähnt werden, wie es Heiligen geziemt; auch nicht Schändlichkeit und albernes Geschwätz oder Witzeleien, die sich nicht gehören, sondern vielmehr Danksagung.
Denn das sollt ihr wissen, dass kein Unzüchtiger oder Unreiner oder Habsüchtiger (der ein Götzendiener ist), ein Erbteil hat im Reich des Christus und Gottes.
Lasst euch von niemand mit leeren Worten verführen! Denn um dieser Dinge willen kommt der Zorn Gottes über die Söhne des Ungehorsams.
So werdet nun nicht ihre Mitteilhaber!
Denn ihr wart einst Finsternis; jetzt aber seid ihr Licht in dem Herrn. Wandelt als Kinder des Lichts!
Die Frucht des Geistes besteht nämlich in lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.
Prüft also, was dem Herrn wohlgefällig ist, und habt keine Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis, deckt sie vielmehr auf; denn was heimlich von ihnen getan wird, ist schändlich auch nur zu sagen.
Das alles aber wird offenbar, wenn es vom Licht aufgedeckt wird; denn alles, was offenbar wird, das ist Licht.
Darum heißt es: Wache auf, der du schläfst, und stehe auf aus den Toten, so wird Christus dich erleuchten!
Seht nun darauf, wie ihr mit Sorgfalt wandelt, nicht als Unweise, sondern als Weise; und kauft die Zeit aus, denn die Tage sind böse.
Darum seid nicht unverständig, sondern seid verständig, was der Wille des Herrn ist!
Und berauscht euch nicht mit Wein, was Ausschweifung ist, sondern werdet voll Geistes; redet zueinander mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern; singt und spielt dem Herrn in eurem Herzen; sagt allezeit Gott, dem Vater, Dank für alles, in dem Namen unseres Herrn Jesus Christus; ordnet euch einander unter in der Furcht Gottes! (Eph 5,1-21)

Daher hat das Justin! Wir haben in der Schrift also nicht nur den eindeutigen Befehl, Nachahmer Gottes zu werden, sondern auch eine lange Liste, wie Christen das praktisch tun sollen. Es ist eine Liste für aktive Menschen, nicht für passive. Nachahmen findet in einer Kooperation statt: der eine macht vor, der andere ahmt nach. Beide Seiten tun etwas. Gott zeigt dem Mensch die guten Dinge und wie sie zu tun sind, und der Mensch ahmt Gott nach. Das ist für die rechte Seite der Weg zur Gnade Gottes.

Und Paulus warnt „Lasst euch von niemand mit leeren Worten verführen!“ Damit meint er genau jene Worte der damals schon umherziehenden Irrlehrer, die behaupteten, der Mensch könne nichts gutes tun und solle daher auch nichts gutes tun, sondern sich passiv verhalten und Gott alles machen lassen. Diese Leute waren Gnostiker, die damals schon den apostolischen Gemeinden hart zusetzten und viele verführten. Genau dagegen schrieb Paulus das Gegenprogramm. Hier und in vielen anderen Kapiteln, auch in anderen Briefen. Wer das nicht tut, sei kein Christ. Und das lehrte auch im nächsten Jahrhundert noch Justin:

Die nun, deren Lebenswandel nicht so befunden wird, wie Er gelehrt hat, sollen nicht als Christen angesehen werden, auch wenn sie mit der Zunge die Lehre Christi bekennen; denn Er hat gesagt, daß nicht die, welche bloß sprechen, sondern die, welche auch die Werke vollbringen, zur Seligkeit gelangen werden, Er sprach nämlich also: „Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr, Herr, wird in das Himmelreich eingehen, sondern wer den Willen meines Vaters tut, der im Himmel ist. Denn wer mich hört und tut, was ich sage, hört auf den, der mich gesandt hat. Viele werden zu mir sagen: Haben wir nicht in deinem Namen gegessen und getrunken und Wunder gewirkt? Und dann werde ich zu ihnen sprechen: Weichet von mir, ihr Übeltäter. Dann wird Heulen und Zähneknirschen sein, wenn die Gerechten leuchten wie die Sonne, die Ungerechten aber ins ewige Feuer geworfen werden. Denn viele werden kommen in meinem Namen, die äußerlich in Schafspelze gekleidet, innerlich aber reißende Wölfe sind; an ihren Werken werdet ihr sie erkennen. Jeder Baum aber, der nicht gute Früchte bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen“.
Daß aber solche, die nicht Seinen Lehren entsprechend leben und nur Christen heißen, gestraft werden, das verlangen wir auch von euch. (Justin, 1.Apologie XVI)

Die rechte Seite hat also eine klare Vorstellung gelehrt bekommen, was alles aktiv zu tun ist, und spricht der linken Seite, die ein passives Christentum lehrt, eigentlich ab, Christen zu sein. Umgekehrt genauso. Auch Luther sprach allen, die nicht seiner Lehre zustimmten, das Christsein ab. Das führt uns direkt zum nächsten Punkt.