Die Juden waren damals aber nicht die einzigen, die den Namen Emmanuel nur oberflächlich dem Klang nach lasen. Auch Gnostiker taten das und übernahmen die Argumente der Juden zu 100 Prozent. Deswegen schrieb Tertullian fast die selbe Belehrung auch an Marcion, einem der bekanntesten gnostischen Sektenführer jener Zeit:
Erstens meinst Du, der Christus des Isaias solle Emmanuel heissen, sodann er werde die Macht von Damaskus und die Beute von Samaria nehmen gegen den König von Assyrien. Nun ist aber der, welcher erschien, weder unter diesem Namen aufgetreten, noch hat er kriegerische Thaten verrichtet.
Hiergegen werde ich Dich daran erinnern, dass man den Zusammenhang jener beiden Capitel nicht vergessen darf. Auch die Übersetzung von Emmanuel: „Gott mit uns“, wurde gegeben, damit man auch den Sinn des Wortes beachte, nicht bloss seinen Klang. Das Wort Emmanuel nämlich ist hebräisch und auf das betreffende Volk beschränkt, seine Bedeutung aber „Gott mit uns“ ist der Deutung entsprechend etwas allgemeines. Prüfe also, ob dieser Ausdruck „Gott mit uns“ oder Emmanuel von der Zeit an, wo Christus erschien, an und bei Christus in Übung kommt. Ich glaube, Du wirst es nicht leugnen, da Du ja selbst auch sagst, er wird „Gott mit uns“ genannt, d.h. aber Emmanuel. Oder solltest Du, weil bei Euch: „Mit uns Gott“ gesagt wird und nicht Emmanuel, so thöricht sein, nicht zugeben zu wollen, dass der, dem der Name Emmanuel eigentlich zukommt, erschienen sei, als ob nicht der „Gott mit uns“ eben dieser sei, so wirst Du finden, dass man bei den Hebräern, bei den Christen, ja sogar bei den Marcioniten den Namen Emmanuel braucht, wenn man sagen will: „Mit uns ist Gott“; wie jedes Volk, mag der Begriff „Gott mit uns“ bei ihm sonst lauten, wie immer er will, doch das Wort Emmanuel ausspricht und durch das Wort den Gedanken wiedergibt. Wenn also Emmanuel heisst „Gott mit uns“, wenn der „Gott mit uns“ aber eben Christus ist, der ja auch in uns ist — „denn ihr alle, die ihr auf Christum getauft seid, habt Christum angezogen“ dann ist er so recht eigentlich Christus sowohl der Bedeutung seines Namens nach, der da bedeutet „Gott mit uns“, als dem Klange des Namens nach, der da lautet: Emmanuel. Somit steht es fest, dass der, welcher als der Emmanuel angekündigt wurde, bereits gekommen sei, weil das gekommen ist, was Emmanuel bedeutet, d.h. der „Gott mit uns“. (Die fünf Bücher gegen Marcion. (BKV) Drittes Buch 12. Cap. Marcion wendet dagegen ein, Christus habe weder den Namen geführt, den er nach der Weissagung haben sollte, noch stimme die Art seines Auftretens zu der bei Isaias gegebenen Schilderung. Ob Christus den Namen Emmanuel verdiene?)
Der kriegerische Christus, den viele Juden und Gnostiker aus den Worten des Propheten Jesaja herauslesen, ist nicht Gegenstand dieses Beitrages. Hier geht es um den Namen Emmanuel. Deswegen klammern wir den Rest aus, auf den aber Tertullian in seinen Ausführungen auch ausführlich eingeht. Das werden wir an einer anderen Stelle aufgreifen.
Über die Irrlehre der Gnosis ärgerten sich schon die Apostel im ersten Jahrhundert. Auch Jesus verheimlichte in Seinen Briefen an die sieben Gemeinden nicht Seinen Hass auf die Gnosis und tadelte jene Gemeinden, die Gnostiker unter sich duldeten, und lobte andererseits alle, die das nicht taten. Ab dem zweiten Jahrhundert galt daher der Kampf und die Abgrenzung gegen die Gnosis der ständigen Pflicht aller frühchristlichen Gemeindeleiter und Apologeten, die viele Bücher gegen alle Sorten von Irrlehrern und speziell Gnostikern schrieben. So eben auch Tertullian. Wir werden zu gegebener Zeit einen eigenen Beitrag über die Irrlehre der Gnosis verfassen. Hier sei nur die auffallende Übereinstimmung der Gnostiker mit den Juden in Bezug auf Emmanuel gezeigt. Und so kann man in den Schriften der frühen Christen sehen, wie sie unermüdlich einerseits die Juden belehrten und andererseits die Gnostiker und sich gegen jede Häresie wortgewandt abgrenzten.