• Wie ein biblischer Begriff die Spreu vom Weizen trennt

Der achte und der erste Tag der Woche

Diese letztgenannte Doppelbedeutung ging leider durch moderne, heidnische Kalender verloren, wo der Sonntag auf den siebenten Tag der Woche verschoben wurde. Das war aber nicht immer so und ist noch am Mittwoch sichtbar. Mittwoch ist nämlich nur dann genau in der Mitte der Woche, wenn der Sonntag der erste Tag ist. Im Neuen Testament wird deswegen auch öfters vom ersten Tag der Woche gesprochen, wenn der Sonntag gemeint ist:

  • Am ersten Tag der Woche kamen die Frauen zu Jesu Grab und sahen, dass der Stein weggenommen war. (Mk 16,2; Lk 24,1; Joh 20,1).
  • Am ersten Tag der Woche versammelten sich die Jünger um das Brot zu brechen und hielt Paulus eine lange Predigt (Apg  20,7). Diese Stelle zeigt übrigens schön, wie die Lehre der Apostel in der Bibel synchron läuft mit jener der frühen Kirchengeschichte und den Zeugnissen der frühen Christen. Denn wir lasen bereits sowohl in der Didache als auch in den Kirchenordnungen (siehe oben), dass am Tag des Herrn sich alle versammeln und das Brot brechen sollen. Und das war am Tag nach dem Sabbat, also am achten bzw. ersten Tag der Woche: dem Sonntag.
  • Und am ersten Tag der Woche sollte jeder nach der Verordnung von Paulus Geld zur Seite legen zur großen Spendensammlung für die Muttergemeinde in Jerusalem (1.Kor 16,2).

Der erste Tag der Woche ist der Sonntag. Dass die Christen nicht den Sabbat sondern den Sonntag feierten, bemerkten auch ihre Feinde. Die Juden ärgerten sich über die Christen genauso wie sie sich schon seinerzeit über Jesus ärgerten, weil Er nicht den Sabbat hielt. Die Römer und die Griechen hingegen spekulierten über die seltsame Religion der Christen, und hielten sie wegen deren Feier des Sonntags für Sonnenanbeter. Tertullian schrieb eine entsprechende Entgegnung:

Andere haben wenigstens eine menschlichere und wahrscheinlichere Ansicht von uns, sie glauben, die Sonne sei unser Gott. So werden wir am Ende wohl gar noch zu den Persern gerechnet werden, obwohl wir keine auf Leinwand abgebildete Sonne anbeten, da wir sie selbst ja überall gegenwärtig haben an ihrem Himmelsrund. Um es kurz zu sagen, der Verdacht rührt daher, weil es bekannt geworden, dass wir nach Osten gewendet beten. Allein auch sehr viele von euch bewegen nach Sonnenaufgang hingewendet die Lippen, indem sie manchmal das Verlangen haben, auch himmlische Dinge anzubeten. Ebenso kommen wir, wenn wir den Sonntag der Freude widmen, und zwar aus einem ganz anderen Grunde als wegen Verehrung der Sonne, ja gleich nach denen, welche den Samstag dem Müßiggange und den Mahlzeiten widmen, wobei übrigens auch sie von der jüdischen Sitte, die sie nicht recht kennen, abweichen. (Tertullian (160-220) Apologeticum Apologetikum (BKV), 16. Kap. Die Vulgärvorstellungen der Heiden über den Gott der Christen. Was der Christengott nicht ist.)

An dieser Glaubensverteidigung Tertullians kann man zwei bemerkenswerte Aspekte erkennen zum Thema Tag des Herrn. Erstens feierten die Christen den Sonntag und dachten deswegen die Heiden, dass der Gott der Christen die Sonne sei. Es ist zwar absurd, bestätigt aber den Sonntag. Zweitens sehen wir, warum die Christen den Sabbat nicht feierten, denn der war nur dem Müßiggang gewidmet. Deswegen galten die Juden bei den Heiden als ein faules Volk, das jede Woche einen ganzen Tag den Müßiggang zelebrierte. Die frühen Christen wussten, was Gott über faule Menschen sagt. Alle Apostel waren vorbildlich emsig und lehrten, dass jeder Christ fleißig sein soll (2.Thess 3,10-12). Der Fleiß der Christen war sprichwörtlich, unordentliche Geschwister wurden zurechtgewiesen. Der Sonntag war im Judentum ein normaler Arbeitstag, genauso wie im ganzen Römischen Reich bis zur Konstantinischen Wende. Die frühen Christen arbeiteten also selbstverständlich fleißig am Sonntag. Deswegen versammelten sie sich abends nach der Arbeit, hielten das Abendmahl (was auch dem Namen gerechter wird als wenn es vormittags gehalten wird, wie in vielen Kirchen heute), und konnten deswegen auch Geld zur Seite legen, denn Tagelöhner wurden jeden Tag nach der Arbeit bezahlt, was ja auch nur an einem Arbeitstag möglich war. Paulus predigte am Sonntagabend bis spät nach Mitternacht, wie uns in Apostelgeschichte 20 (siehe oben) berichtet wird.

Die christliche Tradition, dass der Sonntag ein Ruhetag ist und damit sowas wie ein falscher Sabbat, kam erst Jahrhunderte später auf, als nämlich im Jahr 321 Kaiser Konstantin den Dies solis (also den Sonntag) zum verpflichtenden Feiertag erklärte im Römischen Reich. Das galt auch für die Christen. Seither ist der Sonntag im Christentum ein arbeitsfreier Tag. Mit der Lehre der Apostel und der Tradition der frühen Christen hat das aber nichts zu tun. Für sie war der Sonntag ein normaler Arbeitstag, aber eben der Tag des Herrn. Das ist bis heute in romanischen Sprachen sichtbar, die sich aus Latein bildeten. Sie leiten ihr Wort für Sonntag aus dem Lateinischen Dominica dies („Tag des Herrn“) ab, wie etwa Italienisch Domenica, Französisch Dimanche, Spanisch Domingo oder Rumänisch Duminică.

Zurück zur Bedeutung des achten Tages. Denn da ist noch lange nicht alles gesagt.

Gregor von Nyssa hielt im 4.Jahrhundert eine Predigtserie über die acht Seligkeiten. In der achten Predigt geht er auf die Symbolik der Acht ein:

Die Ordnung, welche der Herr in seiner Unterweisung voll Weisheit und Erhabenheit eingehalten hat, führt uns zur achten Stufe und damit zu dem vorgesetzten Ausspruch; es dürfte aber am Platze sein, zuerst zu untersuchen, welches Geheimnis in der Oktave enthalten ist, die der Prophet in der Überschrift zweier Psalmen erwähnt (Psalm 6 und 11 [Septuaginta und Vulgata] bzw. 12 [MT]), und welche Bedeutung dem Gebote der Reinigung und Beschneidung zukommt, welche das Gesetz auf den achten Tag verlegte. Vielleicht hat diese Zahl eine Beziehung zur achten Seligpreisung, welche gleichsam wie der Höhepunkt aller Seligpreisungen die letzte Sprosse der herrlichen geistigen Leiter einnimmt. Dort nämlich meint der Prophet mit dem Symbol der Oktave den Tag der Auferstehung; die Reinigung weist hin auf die Läuterung des befleckten Menschen und auf seine Rückkehr zum naturgemäßen Zustand, und die Beschneidung zeigt die Ablegung der Tierfelle an, welche der Mensch (im Paradiese) nach dem Sündenfall und nach Verwirkung des Lebens angezogen hatte. Unter diesem Gesichtspunkte verkündet die achte Seligpreisung, daß den Menschen wieder der Eintritt in den Himmel offen steht, nachdem sie zwar in Knechtschaft verfallen waren, nunmehr aber in Freiheit versetzt wurden. Es heißt also: „Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen Verfolgung leiden; denn ihrer ist das Himmelreich.“ Siehe, dies ist das Ende der Kämpfe für Gott, der Ehrenpreis für die Mühen, der Siegeslohn für den Schweiß, daß du für würdig erachtet wirst des Himmelreiches! (Gregor von Nyssa (335-394) Orationes VIII de beatitudinibus Acht Homilien über die acht Seligkeiten (BKV), Achte Rede: "Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen Verfolgung leiden; denn ihrer ist das Himmelreich.“, I)

Er spricht von einer Ordnung, welche Gott in Weisheit geplant und eingehalten hat. Die Acht gehört dazu. Neben den bisher bekannten Zusammenhängen wie die Beschneidung und die Auferstehung findet Gregor noch drei weitere in der Heiligen Schrift:

  • zwei Psalmen deuten in ihren Überschriften prophetisch auf den achten Tag.
  • auch die Oktave an sich ist ein Symbol von Gottes Weisheit und Ordnung
  • die achte Seligpreisung aus Jesu Bergpredigt

Aber Augustinus kennt noch weitere prophetische Zeichen auf den achten Tag in der Heiligen Schrift:

Doch der Sonntag ist nicht für die Juden, sondern durch die Auferstehung des Herrn für die Christen bestimmt und hat daher seine festliche Feier. Die Seelen aller Heiligen sind zwar schon vor der Auferstehung des Leibes in der Ruhe, aber es mangelt ihnen jene Tätigkeit, kraft deren sie den ihnen gegebenen Leib beseelen. Diese Tätigkeit versinnbildet der achte Tag, der derselbe ist wie der erste, weil er die Ruhe nicht aufhebt, sondern verklärt. Denn wenn man auch den Leib wieder bekommt, so bleiben doch die leiblichen Beschwerden ferne, weil es keine Verwesung mehr gibt. „Denn es muß dieses Verwesliche die Unverweslichkeit anziehen und dieses Sterbliche die Unsterblichkeit“. Deshalb war vor der Auferstehung des Herrn die geistige Beziehung des achten Tages auf die Auferstehung noch nicht geoffenbart, sondern verhüllt, obwohl sie den heiligen, vom Geiste der Weissagung erfüllten Vätern keineswegs unbekannt war. Deshalb lautet eine Psalmenüberschrift: „Für den achten Tag“ findet, bezieht sich entweder auf die Melodie, nach der der Psalm zu singen ist, oder bedeutet die Oktave. Am achten Tage empfingen die Kinder die Beschneidung, und im Buche des Predigers heißt es zur Unterscheidung des Alten und Neuen Bundes: „Gib diesen sieben und jenen acht“. Denn früher war zwar Ruhe für die Toten, aber auferstanden war noch niemand, „bis Christus von den Toten auferstand, der nicht mehr stirbt und über den der Tod keine Gewalt mehr hat“. Nachdem nun an dem Leibe des Herrn diese Auferstehung geschehen war — denn an dem Haupte der Kirche mußte zuerst geschehen, was der Leib der Kirche für die endgültige Vollendung hoffen sollte —, da erst sollte die Feier des Sonntags, der sowohl der erste als der achte Tag ist, beginnen. Hieraus ist auch ersichtlich, warum den Juden die Feier des Osterfestes, bei dem sie als offenbares Vorbild des Leidens unseres Herrn ein Schaf schlachten und genießen mußten, nicht in solcher Weise geboten war, daß sie den Sabbat und sein Zusammentreffen mit der dritten Mondwoche im ersten Frühlingsmonate zu beobachten brauchten. Es sollte vielmehr der Herr diesen Tag durch sein Leiden bezeichnen, wie er auch gekommen war, dem Sonntag, das heißt dem achten und ersten Tag, seine Weihe zu geben. (Augustinus von Hippo (354-430) Ausgewählte Briefe (Erster Teil) (BKV) Zweites Buch., XXXIII. (Nr. 55.) Antwort auf die Fragen des Januarius. Zweites Buch., XIII. 23.)

Augustinus bestätigt hier alle bisher gelesenen Bedeutungen des achten Tages,  er kennt zum Beispiel auch die Symbolik der Beschneidung, der Oktave und der Psalmenüberschriften, und führt noch weitere an. Interessant ist, dass Augustinus die Ankündigung des achten Tages auch im Buch Prediger erkennt. Hier der Vers, den er meint:

Gib Anteil sieben anderen, ja, sogar acht, denn du weißt nicht, was für Unglück sich auf der Erde ereignen wird!  (Prediger 11,2 ELB)

Er sagt, dass den alten Vätern im Alten Testament natürlich schon der achte Tag bekannt war, aber etliche Zusammenhänge (oder Beziehungen, wie er es nennt) noch verhüllt waren. Er vergleicht die beiden Bünde mit Leib und Geist. Der eine ist leiblich, der andere geistlich. Der eine verwest, der andere nicht. Und doch war auch der unverwesliche, geistliche schon von Beginn an von Gott vorgesehen, angekündigt und gemeint. Die Juden seien aber im siebenten Tag stecken geblieben und haben den achten nicht ergriffen. 

Ins selbe Horn stößt auch Cyprian von Karthago ein Jahrhundert vor Augustinus:

Daß man nämlich bei der fleischlichen Beschneidung der Juden den achten Tag abwartete, ist ein Geheimnis, das nur als schattenhaftes Sinnbild vorausgeschickt wurde, das aber mit der Ankunft Christi wirklich in Erfüllung ging. Denn weil am achten Tag, das heißt: am ersten Tage nach dem Sabbat, der Herr auferstehen und uns zum Leben erwecken und die geistliche Beschneidung uns zuteil werden lassen sollte, so ist dieser achte Tag, das heißt: der erste nach dem Sabbat, auch als der Tag des Herrn im bildlichen Sinn vorausgegangen. (Cyprian von Karthago (200-258) Epistulae Briefe (BKV), 64. Brief, 4. Kapitel)

Die Beschneidung der Juden am achten Tag ist also nur ein Schatten auf die wahre Beschneidung, auf den wahren achten Tag, den Tag des Herrn. Und so wie die fleischliche Beschneidung der geistlichen vorausging, geht der Sabbat, der siebente Tag, dem achten Tag voraus, dem Tag des Herrn.

Wir machen nochmal einen Sprung von hundert Jahren in der Zeit zurück zu Clemens von Alexandria. Der schrieb im zweiten Jahrhundert Lehrbücher für Anfänger und Fortgeschrittene im Glauben. Letzteren erklärte er:

Von dem Tage des Herrn aber weissagt Platon im zehnten Buche des Staats mit folgenden Worten: „Nachdem aber für jeden, der auf der Wiese war, sieben Tage vergangen sind, müssen sie sich von dort erheben und am achten Tage die Wanderung antreten und vier Tage später ans Ziel kommen.“ (Clemens von Alexandrien (150-215) Stromata Teppiche (BKV), Fünftes Buch, XIV. Kapitel, 2.)

Aber auch dann ist für den Priester eine siebentägige Reinigung nötig, entsprechend der Zeit, in der die Schöpfung vollendet wurde. Denn am siebenten Tag wird die Zeit der Ruhe feierlich begangen, und am achten Tag bringt der Priester ein Sühnopfer dar, wie im Ezechiel geschrieben steht, und entsprechend diesem Sühnopfer können sie die Verheißung empfangen. (Stromata Teppiche (BKV), Viertes Buch, XXV. Kapitel, 158.)

Er bestätigt einerseits, dass der achte Tag der Tag des Herrn ist und andererseits, dass schon im Alten Testament und sogar in der heidnischen Literatur Sinnbilder dafür zu sehen sind. Und auch er bringt die Symbolik der Schöpfungsordnung hinein. Das führt uns zum letzten Punkt: