Auf den sechsten Blick erkennen wir, dass die Schüler der Apostel die Lehre bewahrten
Chrysostomus, ein Lehrer aus dem späten vierten Jahrhundert, schreibt folgenden Kommentar zu dem besagten Gebot Christi in Matthäus Kapitel 5:
Hätte darum der Herr die Glieder des Leibes gemeint, so hätte er nicht bloß von einem einzigen Auge geredet, und nicht nur vom rechten, sondern von beiden. Wer nämlich vom rechten Auge geärgert wird, dem widerfährt dasselbe offenbar auch durch das linke. Warum nimmt er also gerade das rechte und redet nur von der Hand? Damit du sehest, dass er nicht von den Gliedern des Leibes spricht, sondern von unseren Freunden. Wenn du jemand so sehr liebst, will Christus sagen, dass er dir so viel wert ist, wie dein rechtes Auge, oder glaubst, er sei dir so nützlich, dass du ihn wie deine rechte Hand betrachtest, so trenne dich trotzdem auch von solchen Freunden, wenn einer deiner Seele schadet. Beachte auch, mit welchem Nachdruck der Herr redet. Er sagte nicht: Stehe ab; nein, er will vielmehr die Größe der Trennung recht hervorheben und sagt darum: „Reiße es aus und wirf es von dir.“
Nachdem er aber etwas so Hartes verlangt hatte, zeigt er auch, welches in beiden Fällen der Lohn ist für das Gute sowohl wie für das Böse. Dann fährt er unter Beibehaltung des Vergleiches fort: „Es ist nämlich besser für dich, dass nur eines deiner Glieder zugrunde gehe, als dass dein ganzer Leib in die Hölle geworfen werde.“ Wenn dein Freund sich selbst nicht rettet, sondern auch dich noch ins Verderben führt, was wäre das wohl für eine Nächstenliebe, wenn man beide zugrunde gehen ließe, während wenigsten einer gerettet werden kann, wenn sie getrennt werden?
Chrysostomus († 407) (Kommentar zum Evangelium des hl. Matthäus (In Matthaeum homiliae I-XC) Siebzehnte Homilie. Kap. V, V.27-37.
Und zu der Wiederholung des Gebotes in Matthäus 18 schreibt eben der selbe Chrysostomus:
Mit diesen Worten meint Jesus nicht etwa die eigentlichen Gliedmaßen, sondern die Freunde, die Angehörigen, welche uns ebenso teuer sind wie notwendige Glieder. Dasselbe hatte er schon früher einmal gesagt und wiederholt es jetzt. Es gibt eben nichts so Verderbliches wie bösen Umgang. Denn was oft der Zwang nicht vermag, das bringt die Freundschaft zuwege, sei es zum Schaden, sei es zum Nutzen. Daher sein strenges Gebot, alle zu entfernen, die uns zum Schaden gereichen; er versteht darunter jene, die uns Ärgernis gaben. Siehst du da, wie er den Schaden, der aus den Ärgernissen entspringt, abwehrt? Er sagt voraus, dass auf jeden Fall Ärgernisse kommen werden, damit niemand unvorbereitet davon Betroffen werde, sondern in Behutsamkeit dieselbe gewärtige; er weist darauf hin, dass Ärgernisse ein großes Übel seien ; endlich nennt er solche Leute, die Ärgernis geben, mit Nachdruck „unselig“. Denn durch die Worte: Wehe aber jenem Menschen“ kündigt er deutlich an, dass die Strafe eine schwere sein werde.
Zu diesen Worten fügt er auch noch ein Gleichnis, um das Fürchterliche der Sache noch mehr hervorzuheben. Auch das ist ihm noch nicht genug; er gibt auch die Art und Weise an, wie man das Ärgernis meiden kann. Und auf welche Weise soll das sein? Mit den Bösen, sagt er, mußt du jede Beziehung abbrechen, auch wenn sie deine größten Freunde wären. Der Grund, den er hierfür vorbringt, ist unwiderleglich. Wenn sie deine Freunde bleiben, sagt er, wirst du sie nicht gewinnen und obendrein noch selbst ins Verderben stürzen; wenn du hingegen mit ihnen brichst, wirst du wenigstens dein eigenes Heil sichern. Sobald dir also die Freundschaft mit irgendeinem Menschen zum Schaden gereicht, dann mache der Sache gründlich ein Ende. Wir lassen uns ja häufig ein oder das andere Glied wegschneiden, wenn es unheilbar krank ist und den übrigen verderblich geworden ist; wieviel mehr gilt das bei der Freundschaft. Wäre aber das Böse naturnotwendig, dann wäre unsere Mahnung und unser Rat ganz überflüssig; überflüssig wäre es auch, sich vor der erwähnten Gefahr in acht zu nehmen. Ist es aber nicht überflüssig und das ist es wirklich nicht , so erhellt deutlich, dass das Böse seine Quelle im Willen hat.
Chrysostomus († 407) Kommentar zum Evangelium des hl. Matthäus (In Matthaeum homiliae I-XC) Neunundfünfzigste Homilie. Kap. XVIII, V.7-14.
Theodoret von Cyrus, ein Lehrer aus dem 5.Jh n.Chr, beschreibt in seinem Werk zur Kirchengeschichte wie ein gewisser Irrlehrer namens Arius (die Arianer werden nach ihm benannt) behandelt wurde von einem apostolischen Lehrer:
Arius dagegen nannte in direktem Widerspruch mit der Wahrheit den Sohn ein Geschöpf und ein Gebilde, und fügte hinzu: „Es gab eine Zeit, wo er nicht war“, und so noch anderes, was wir alles noch genauer aus seinen eigenen Schriften kennen lernen werden. Und solches behauptete er fortwährend nicht nur in der Kirche, sondern auch außerhalb derselben in Gesellschaften und Versammlungen. Ja er ging sogar von Haus zu Haus und machte so viele, als er konnte, zu Sklaven seines Irrtums. Alexander nun, der berufene Verteidiger der apostolischen Lehre, versuchte ihn zuerst durch Ermahnung und Zuspruch auf bessere Wege zu bringen; als er aber sah, daß jener ganz wie von Sinnen war und seine gottlose Lehre öffentlich ausposaunte, schloß er ihn vom priesterlichen Amte aus. Er folgte damit nur der göttlichen Vorschrift, die da lautet: „Wenn dich dein rechtes Auge ärgert, so reiß es aus und wirf es von dir!“
Theodoret von Cyrus († 466) – Kirchengeschichte (Historia ecclesiastica), Erstes Buch [323—337], 2. Die Entstehung der arianischen Häresie
Auch hier sehen wir eindeutig, wie dieses Gebot noch im fünften Jahrhundert richtig verstanden, gelehrt und gehalten wurde.
Auch Baslius von Cäserea aus dem 4.Jh zitiert dieses Gebot im selben geistlichen Sinn:
Daher passt auf den, der die Sünder in Schutz nimmt, wenn er nicht würdige Früchte der Buße aufweist, das, was der Herr sagt: „Wenn dich dein rechtes Auge ärgert, so reisse es aus und wirf es von dir; denn es ist besser für dich, daß eines deiner Glieder verloren geht, als dass dein ganzer Leib in die Hölle geworfen werde.“
Basilius von Cäsarea († 379) – 313 kurzgefasste Vorschriften (Regulae brevius tractatae) Die dreihundertzehn kurzgefaßten Regeln in Form von Frage und Antwort.
Hilarius von Poitiers zitiert in seinen Abhandlungen über Psalm 118 auch dieses Gebot Christi im selben geistlichen Sinn:
Der Herr wusste, dass diese Ärgernisse der häuslichen Ränke den schwersten Sturz des Glaubens herbeizuführen pflegen, denn er sagt: „Wenn dich dein rechtes Auge ärgert, und wenn dich dein rechter Fuß oder deine rechte Hand ärgert; so reiß sie heraus und wirf sie von dir.“ Nicht von den Gliedern der Leiber hat er dieses gesagt, da weder Fuß noch Hand Ärgernisse verursachen kann; sondern hinsichtlich der mit uns sehr eng verbundenen und mit uns sehr verwandten Glieder, (denn wir alle sind ein Leib in Christo) befiehlt er dieses, damit nicht durch häusliche Ränke und Ägernisse, welche unter uns herrschen, uns irgend ein Sündenmakel anklebe.
Hilarius von Poitiers († 367) – Abhandlungen über die Psalmen, Ps 118
Das waren nur ein paar Beispiele aus der frühen christlichen Kirchengeschichte, die deutlich zeigen, dass auch noch ein paar Jahrhunderte nach Christus dieses sein Gebot richtig geistlich gelehrt und gehalten wurde.