• Oder etwa doch nicht?

Ja, aber es steht doch geschrieben:

Prüft alles, das Gute behaltet!

Herr Optimist und Frau Gutemiene wissen zwar nicht, wo dieser Spruch genau steht und schon gar nicht in welchem Zusammenhang, aber er markiert ihr Lebensmotto und scheint es felsenfest zu bestätigen.

Ich will ihnen helfen.

Erstens kann das Zeugnis von all den bisher genannten biblischen Beispielen niemals durch einen einzigen Vers zunichte gemacht werden. Niemand in der Bibel hat diesen Vers so gelebt und so verstanden wie Herr Optimist und Frau Gutemiene: nämlich als absolut. Und das beweisen alle bisher genannten Beispiele eindrücklich. Es ist also etwas faul bei der Bibelauslegung, wenn Menschen Sätze isolieren und absolut verstehen, die so nie geschrieben und schon gar nicht gelebt wurden in der Bibel. Denn in erster Linie soll uns die Heilige Schrift Vorbild sein. Darum enthält sie so viele Vorbilder, allen voran der Herr Jesus selbst. Leider wird aber genau das Gegenteil heutzutage meistens gemacht: man ignoriert die Vorbilder und lebendigen Beispiele in der Bibel und löst dafür einzelne Verse heraus, setzt sie absolut und bildet darauf Lehren. Das ist genau der Stoff aus dem Irrlehren sind.

Zweitens steht dieser Vers tatsächlich in der Bibel, sogar im Neuen Testament, und zwar am Ende des 1.Thessalonicherbriefes bei den abschließenden Ermahnungen. Er ist aber – wie alle anderen Verse der Bibel ebenfalls – eingebettet in einen Zusammenhang. Er hat einen Hintergrund und Sinn, warum er geschrieben wurde und wie er gemeint wurde und wie er dann in Folge verstanden und gelebt wurde. All das muss zu einer richtigen christlichen Lehre gehören: Sinn erfassen, Vorbild ansehen, verstehen wie es gemeint war und wie der Lehrer und seine Schüler es verstanden und selbst anwandten und dann genau so nachmachen, sprich nachahmen. Die apostolische Lehre funktionierte ausschließlich so.

Lasst uns also den Kontext betrachten. Der Kontext eines Briefes ist in Wahrheit zumindest der ganze Brief. Den erspare ich uns jetzt in voller Länge. Es ist in dem Fall schon aufschlussreich den Satz vor und nach diesem Vers mitzunehmen (das soll jetzt aber nicht als absolute Regel für Kontexterfassung gelten):

Die Weissagung verachtet nicht!
Prüft alles, das Gute behaltet!
Haltet euch fern von dem Bösen in jeglicher Gestalt!
(1.Thess 5,20-22)

Es gibt viele Menschen, die diese drei Sätze so verstehen, als dürfe man nur jene Propheten reden lassen, die Gutes sagen. Als dürfe niemand irgendetwas Böses sagen in der Gemeinschaft. Gemeinden, die das genau so praktizieren schießen derzeit wie Schwammerl aus dem Boden. Sie weisen alle ihre „Propheten“ an, nur dann den Mund aufzumachen, wenn was Positives rauskommt. Haben sie den Sinn richtig verstanden?

Hätten sie das, dann würden in der Bibel es alle Gemeinden so praktizieren, insbesondere die Urgemeinde. Erneut sollten wir uns Beispiele ansehen. Um es abzukürzen: keine Gemeindeleitung handhabte das so in der Bibel und schon gar nicht der Herr Jesus selbst und seine Apostel. Selbstverständlich sprachen Jesus und seine Apostel auch jede Menge negative prophetische Worte aus. Wir hatten auch schon solche in unserer bisherigen Wortbetrachtung gesehen:

Petrus weissagte Saphira ihre Todesstrafe ins Gesicht, wenige Augenblicke bevor diese eintrat:

Petrus aber sprach zu ihr: Warum seid ihr übereingekommen, den Geist des Herrn zu versuchen? Siehe, die Füße derer, die deinen Mann begraben haben, sind vor der Tür, und sie werden auch dich hinaustragen! Da fiel sie sogleich zu seinen Füßen nieder und verschied; (Apg 5,9+10)

War das eine gute Weissagung? Eher nein. Auch Jesu unzählige Endzeitreden sind Beispiele von negativen Weissagungen. Da wird viel Böses vorhergesagt. Jeder kennt auch die Geschichte, wo Jesus dem Petrus ankündigt, dass dieser ihn verraten würde:

Und Jesus spricht zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute, in dieser Nacht, ehe der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen! (Mk 14,30)

Petrus will das gar nicht glauben und bestreitet heftig, dass es so kommen wird. Es kam aber genau so. Es war eine negative Weissagung, niemand wollte sie hören, niemand wollte sie glauben, aber Jesus hat sie dennoch gesagt und sie trat ein.

Wir sehen also, dass Jesus und seine Apostel das nicht so handhabten, als dürfe man nur gute prophetische Worte zulassen. Im Gegenteil.

Wie ist dann dieser Vers gemeint: „prüft alles, das Gute behaltet!“?

Zunächst befiehlt er, alles zu prüfen. Was denn alles? Im unmittelbaren Zusammenhang geht es um den Geist und die Weissagungen. In die Gemeinde wollen viele Geister eindringen, davor warnt Paulus an vielen Stellen seiner Briefe. Die müssen geprüft werden. Das geht gar nicht, wenn man immer nur auf das Gute sieht! Wir sollen prüfen, besonders die Propheten, die weissagen. Das ordnete Paulus in jeder Gemeinde an und auch schon in anderen Briefen, etwa im 1.Korintherbrief, wo er folgendes schrieb:

Propheten aber sollen zwei oder drei reden, und die anderen sollen es beurteilen. Wenn aber einem anderen, der dasitzt, eine Offenbarung zuteilwird, so soll der erste schweigen. Denn ihr könnt alle einer nach dem anderen weissagen, damit alle lernen und alle ermahnt werden. (1.Kor 14,29-31)

Hier sehen wir das Grundprinzip: es soll in Ordnung gehen und nichts soll ungeprüft bleiben. Die Propheten sollen einander beurteilen. Und dafür müssen sie einander reden lassen und zuhören. Und noch etwas ist hier deutlich zu sehen: die Weissagung ist dafür vorgesehen, dass alle lernen und ermahnt werden. Ermahnungen sind nicht immer positive Worte. In den wenigsten Fällen sogar sind Ermahnungen angenehme, schöne Worte. In den meisten Fällen sind es harte Worte, die zur Buße führen. Aber Weissagungen müssen erst geprüft werden, von welcher Seite sie kommen. Denn das Böse will eindringen in die Gemeinden. Es gibt viele falsche Lehrer und Propheten, die mit falschen Weissagungen und falschen Evangelien kommen:

Der Geist aber sagt ausdrücklich, dass in späteren Zeiten etliche vom Glauben abfallen und sich irreführenden Geistern und Lehren der Dämonen zuwenden werden durch die Heuchelei von Lügenrednern, die in ihrem eigenen Gewissen gebrandmarkt sind. (1.Tim 4,1)

Deswegen müssen wir auf die schlechten Früchte achten, wie wir schon mehrmals gelesen haben. Denn an den Früchten erkennen wir erst ob es gute Lehrer oder Irrlehrer, ob es die gesunde Lehre oder eine Irrlehre ist, die wir vorgesetzt bekommen. Da muss man also sehr genau hinsehen, und das Böse dann aber meiden. Davon ist es dann aber nicht mehr angebracht das Gute zu behalten. Denn das Böse hat nichts Gutes und darum ist das Böse komplett zu meiden, in jeglicher Gestalt.

Und das ist am Ende dann die große Gefahr von Herrn Optimist und Frau Gutemiene: ihre Ablehnung gegenüber der Sicht auf das Negative führt am Ende dazu, dass sie gar keine schlechten Früchte erkennen und alle Lehrer und alle Geister und alle Lehren irgendwie für gut befinden. So nehmen sie alle falschen Lehren und Philosophien ungehindert auf. Sie suchen sich Lehrer und Botschaften, die ihnen gefallen

Denn es wird eine Zeit kommen, da werden sie die gesunde Lehre nicht ertragen, sondern sich selbst nach ihren eigenen Lüsten Lehrer beschaffen, weil sie empfindliche Ohren haben; und sie werden ihre Ohren von der Wahrheit abwenden und sich den Legenden zuwenden. (2.Tim 4,3+4)

Der Abfall vom Glauben ist dann nur noch eine Frage der Zeit.