• Oder etwa doch nicht?

Vorbilder in der Bibel

Lasst uns also loslegen und Vorbilder suchen. Fangen wir gleich am Anfang der Schrift an, damit uns nichts entgeht.

Adam & Eva

Wir lesen von Adam und seiner Frau im Paradies. Berühmte Geschichte. Die beiden werden sehr oft zitiert, in der Bibel selbst, wie auch in der Weltliteratur und in unzählbaren Predigten. Sie müssen für alle möglichen Lehren und Irrlehren herhalten. Aber was für ein Vorbild geben sie ab? Sie übertreten das einzige Verbot, das Gott ihnen gab, und werden dafür sofort von Gott rigoros bestraft:

Und zur Frau sprach er: Ich will die Mühen deiner Schwangerschaft sehr groß machen; mit Schmerzen sollst du Kinder gebären; und dein Verlangen wird auf deinen Mann gerichtet sein, er aber soll über dich herrschen! Und zu Adam sprach er: Weil du der Stimme deiner Frau gehorcht und von dem Baum gegessen hast, von dem ich dir gebot und sprach: »Du sollst nicht davon essen!«, so sei der Erdboden verflucht um deinetwillen! Mit Mühe sollst du dich davon nähren dein Leben lang; Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst das Gewächs des Feldes essen. Im Schweiße deines Angesichts sollst du [dein] Brot essen, bis du wieder zurückkehrst zum Erdboden; denn von ihm bist du genommen. Denn du bist Staub, und zum Staub wirst du wieder zurückkehren! (1.Mo 3,16ff)

Hat Gott zuerst auf das Positive bei den beiden gesehen? Hat Er überhaupt etwas Positives erwähnt oder in seiner Verurteilung berücksichtigt? Zweimal nein.

Herr Optimist und Frau Gutemiene hätten sicherlich anders gehandelt. Sie hätten vielleicht gesagt, dass es schließlich jedem einmal passieren könne, dass er ein Verbot übertritt oder einmal einen Fehler macht. Immerhin war es das erste Mal überhaupt! Wer schimpft denn schon beim ersten Fehler so heftig und straft so hart? Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie Herr Optimist und Frau Gutemiene empört neben Gott stehen und Ihn zurechtweisen, weil Er viel zu hart und unbarmherzig mit Adam und Eva umgeht. Gott hat nämlich tatsächlich nichts Positives in seiner Zurechtweisung erwähnt.

Dabei gäbe es aber viel Positives zu berichten: Adam hatte immerhin bisher alles treu und ordentlich und nie auch nur irgendetwas falsch gemacht! Er hatte keine Vorstrafen. Sowas ist bei jedem weltlichen Gericht ein mildernder Umstand. Nicht bei Gott.

Adam war vorbildlich und eifrig in allen guten Werken: er hat allen Tieren Namen gegeben wie Gott es ihm befohlen hatte. Das war sicherlich eine große Aufgabe. Dann hat Adam den Garten Eden bebaut und bewahrt, er war sozusagen der erste Gärtner. Das alles machte Adam im Gehorsam und zur Zufriedenheit Gottes. Und noch dazu ganz allein. Eva war da noch gar nicht erschaffen! Gott hatte nie mit Adam schimpfen müssen. Und nun, beim ersten Mal, hat Gott das alles scheinbar völlig vergessen und sieht nur noch diesen einzigen kleinen Fehler und macht daraus quasi einen Elefanten? Seither lastet ein Fluch über der gesamten Schöpfung und erst Recht auf der Menschheit! Gott sieht hier nur die Sünde, aber nicht das positive Leben davor von Adam und Eva.

Kain & Abel

Schauen wir weiter zur nächsten Generation: die Söhne von Adam und Eva. Kain erschlägt seinen Bruder Abel. Der erste Mord in der Geschichte der Menschheit. Und was macht Gott? Sieht Er, was Kain bis dahin alles Gutes und Positives gesagt und getan hatte? Kain war Bauer und bestellte im Schweiße seines Angesichts den von Gott verfluchten Ackerboden, ganz genau so wie Gott es gesagt hatte. Ist da nicht auch Lob angebracht? Vielleicht wusste Kain gar nicht, dass Mord verboten ist? Immerhin war noch kein einziges der zehn Gebote veröffentlicht worden, auch nicht jenes, das Mord verbietet. Oder vielleicht hatte Kain einen schlechten Tag? Immerhin geschah der Mord im Zorn. Das gibt normalerweise auch mildernde Umstände und jedenfalls viel Verständnis bei modernen, humanistischen Richtern. Gott ist aber kein Humanist.

Auch hier finden wir keinen Hinweis, dass Gott irgendetwas Positives sieht oder erwähnt in Bezug auf Kain. Stattdessen verurteilt Er ihn sehr hart:

Was hast du getan? Horch! Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von dem Erdboden! Und nun sollst du verflucht sein von dem Erdboden hinweg, der seinen Mund aufgetan hat, um das Blut deines Bruders von deiner Hand zu empfangen! Wenn du den Erdboden bebaust, soll er dir künftig seinen Ertrag nicht mehr geben; ruhelos und flüchtig sollst du sein auf der Erde! (1.Mo 4,10ff)

Auch hier sieht Gott nur die Sünde von Kain und nicht sein vielleicht positives Leben davor. Er belegt Kain mit einem lebenslangen Fluch.

Noah

Noah war zu seiner Zeit der einzige Mensch auf der ganzen Erde, der gottesfürchtig und untadelig war und mit Gott ging. Dafür wurde er und seine Familie als einzige von Gott errettet in der Arche, während der Rest der Menschheit in der Sintflut ertrank, gemeinsam mit allen Tieren, die nicht in der Arche waren. Noah steigt nach langer Fahrt aus der Arche und feiert mit seiner Familie den Neubeginn allen Lebens auf der Erde. Er wird Landwirt und Winzer.

Einmal trinkt Noah etwas zu viel Wein und schläft im Rausch nackt auf seinem Bett ein. Sein jüngster Sohn Ham sieht das und berichtet es seinen beiden älteren Brüdern, die darauf hin rückwärts in das Zelt ihres Vaters gehen, damit sie nicht seine Blöße sehen, und decken ihn schamhaft zu. Als Noah aufwacht und von der Geschichte erfährt, segnet er seine beiden älteren Söhne, aber verflucht den jüngsten mitsamt dessen Sohn Kanaan:

»Verflucht sei Kanaan! Ein Knecht der Knechte sei er seinen Brüdern!« Und weiter sprach er: »Gepriesen sei der HERR, der Gott Sems, und Kanaan sei sein Knecht! Gott breite Japhet aus und lasse ihn wohnen in den Zelten Sems, und Kanaan sei sein Knecht!« (1.Mo 9,25-27)

Es ist der erste Fluch aus dem Mund eines Menschen in der Bibel. Und er hat gravierende Auswirkungen auf den Verlauf der Menschheitsgeschichte bis heute.

Wären Herr Optimist und Frau Gutemiene bei dieser Szene anwesend gewesen, hätten sie richtig große Probleme. Erstens würden sie gar nicht verstehen, warum Noah überhaupt über seinen jüngsten Sohn Ham so zürnt. Was hat Ham denn schon Böses getan? Seinen Vater nackt gesehen und das seinen Brüdern erzählt? Ist das schlimm? Aber nicht nur, dass sie hier gar nichts Negatives sehen könnten und wollten, sie wüssten sofort ganz viel Positives dem entgegen zu halten: Ham hatte bestimmt jahrelang seinem Vater treu zur Seite gestanden, etwa beim Bau der Arche! Immerhin war Ham einer von vier Männern, die gerettet wurden in der Arche. Vier Männer von der ganzen Menschheit! Da kann er nicht so schlecht sein. Da muss er sehr viel Gutes und Richtiges gesagt und getan haben! Wie kann das Noah so komplett ignorieren? Und dann ist das Strafausmaß viel zu überzogen: ein Fluch über Generationen, der bis heute wirkt! Das soll dieser Noah sein, der als einziger Gott gefiel und Gnade vor Gott fand?!

Herr Optimist und Frau Gutemiene hätten bestimmt gewaltige Zweifel an Noahs Gerechtigkeit und würden ihn nicht als Vorbild sehen wollen. Sie würden wohl auch darauf hinweisen, dass es ja zuerst Noah war, der sich falsch verhielt indem er sich einen Rausch antrank. Das ist tragisch: denn er gilt als eines der herausragendsten Vorbilder aller Zeiten für einen gerechten Mann, der Gott gefällt. Es wird von ihm sogar gesagt, dass er untadelig war. Herr Optimist und Frau Gutemiene würden Noah aber ganz gewiss nicht untadelig sehen, ganz entgegen ihrer sonst so positiven und beschönigenden Sicht.

Was sagte aber Gott dazu? Hat Er jemals Noah zurechtgewiesen für dieses Urteil und den Fluch? In der Bibel steht nichts davon.

Im Gegenteil. Erstens wird sofort im Anschluss an Noahs Segen und Fluch über seine Söhne geschrieben, dass Noah nach der Sintflut noch 350 Jahre lebte und insgesamt also 950 Jahre alt wurde. Das ist ein klares Signal, wie sehr Noah Gott gefiel, auch noch nach dieser seltsamen Geschichte. Denn ein langes Leben gilt in der Schrift als ein Segen und Zeichen von Gottes Wohlgefallen. Zweitens verurteilt Gott selbst immer wieder Kanaan und seine Völker, ja Er befiehlt sogar einen gnadenlosen Ausrottungsfeldzug gegen sie:

Ihr sollt euch durch all diese Dinge nicht verunreinigen. Denn durch das alles haben sich die Heiden verunreinigt, die ich vor euch her austreibe, und dadurch ist das Land verunreinigt worden, und ich suchte ihre Schuld an ihm heim, sodass das Land seine Einwohner ausspeit. Ihr aber sollt meine Satzungen und Rechtsbestimmungen halten und keinen dieser Gräuel verüben, weder der Einheimische noch der Fremdling, der in eurer Mitte wohnt — denn alle diese Gräuel haben die Leute dieses Landes getan, die vor euch waren, sodass das Land verunreinigt worden ist —, damit euch nun das Land nicht ausspeie, wenn ihr es verunreinigt, wie es die Heiden ausgespien hat, die vor euch gewesen sind. Denn jeder, der einen dieser Gräuel tut — die Seelen, die dergleichen verüben, sollen ausgerottet werden aus der Mitte ihres Volkes. So haltet denn meine Verordnungen, dass ihr keinen von den gräulichen Gebräuchen übt, die man vor euch geübt hat, und euch nicht durch sie verunreinigt. Ich, der HERR, bin euer Gott! (3.Mo 18,24-30) 

Wenn der HERR, dein Gott, dich in das Land bringt, in das du kommen wirst, um es in Besitz zu nehmen, und wenn er vor dir her viele Völker vertilgt, die Hetiter, die Girgasiter, die Amoriter, die Kanaaniter, die Pheresiter, die Hewiter und die Jebusiter, sieben Völker, die größer und stärker sind als du; und wenn sie der HERR, dein Gott, vor dir dahingibt, dass du sie schlägst, so sollst du unbedingt an ihnen den Bann vollstrecken; du sollst keinen Bund mit ihnen machen und ihnen keine Gnade erweisen. Und du sollst dich mit ihnen nicht verschwägern; du sollst deine Töchter nicht ihren Söhnen [zur Frau] geben, noch ihre Töchter für deine Söhne nehmen; denn sie würden deine Söhne von mir abwendig machen, dass sie anderen Göttern dienen; und dann wird der Zorn des HERRN über euch entbrennen und euch bald vertilgen. Vielmehr sollt ihr so mit ihnen verfahren: Ihre Altäre sollt ihr niederreißen, ihre Gedenksteine zerbrechen, ihre Aschera-Standbilder zerschlagen und ihre Götzenbildnisse mit Feuer verbrennen. (5.Mo 7,1-5)

Nur schon an diesen beiden Gerichtsworten Gottes erkennt man: es reicht, wenn jemand (oder ein Volk als Ganzes) Gräuel tut. Doch es gibt noch viel mehr solche Gerichtsworte und Flüche aus Gottes Mund in der Bibel. Gott sieht nur noch darauf und spricht ein vernichtendes Urteil. Etwas Gutes erwähnt Gott nicht als mildernden Ausgleich. Dabei hatten diese Völker bestimmt auch ihre guten Seiten.