Hinzu kommt, dass das Wort Evangelium (εὐαγγέλιον, euaggelion) zur Zeit Jesu kein religiöser Begriff war, sondern ein alltäglicher, weltlicher, ja sogar politischer!

In der profan-griechischen Sprache ist εὐαγγέλιον zunächst die „Siegesbotschaft“, d.h. die Kunde vom Siege. Solche Botschaft brachte dem Überbringer Lohn ein. Von hier aus kann der Begriff gleichzeitig die Bedeutung von „Lohn“ für die Überbringer der Botschaft haben („Botenlohn“). (Georg Strecker, Theologie des Neuen Testaments, S 355)

Betrachtet man die oben genannten Beispiele aus dem Alten Testament, dann trifft genau das zu! Es war eine Siegesbotschaft über die Feinde. So wurde Evangelium bereits Jahrhunderte vor Jesu Geburt verstanden.

In der hellenistischen Herrscher- und (daran anschließenden) Kaiserverehrung hat εὐαγγέλιον darüber hinaus eine kultische Bedeutung. [...] Das, was er (der Kaiser) tut und sagt, kann Inhalt des εὐαγγέλιον sein; so die Mündigkeitserklärung oder die Thronbesteigung, vor allem die Geburt des Thronfolgers. Hierauf bezieht sich die berühmte Inschrift von Priene 105,40f (Kleinasien). (Georg Strecker, Theologie des Neuen Testaments, S 355)

Der auf Deutsch übersetzte Wortlaut der Inschrift von Priene anlässlich der Geburt des Kaisers lautet so:

Da die Vorsehung, die unser Leben ordnet, alle Mühe und allen Eifer aufgewandt, das für unser Leben vollendete Gute geschaffen und den Augustus hervorbrachte, den sie zum Wohl der Menschheit mit jeder guten Fähigkeit erfüllt hat, für uns und unsere Nachkommen wie einen Gott an ihrer Stelle hervorgebracht hat, und einen geschenkt hat, der dem Krieg ein Ende setzen und den Frieden in schöner Ordnung gestalten sollte, und da der Kaiser, mit diesen Fähigkeiten geboren, die Erwartungen der Empfänger mit seinen Wohltaten übertroffen hat, wobei er nicht nur seine Vorgänger mit der Fülle seiner Leistungen überholt, sondern auch seinen Nachfolgern keinerlei Hoffnung gelassen hat, sich ihm vergleichen zu dürfen; und da mit dem Geburtstag dieses Gottes für die Welt die Evangelien, die von ihm ausgehen, ihren Anfang nahmen ... [aus all diesen Gründen wird der Vorschlag des Prokonsuls, ihn zu ehren, angenommen und folgender Beschluss gefasst ...]“ (OGIS 458; Schreiber, Prof.Dr.Ute Poplutz, uni-wuppertal).

Das ist ein Beschluss, der anlässlich der Geburt des römischen Kaisers Augustus gefasst wurde. Er liest sich wie die Geburt eines Gottes (und nennt es auch wörtlich so), der dem Krieg ein Ende setzt, der den Frieden in schöner Ordnung gestaltet, und von dem für die Welt Evangelien ausgehen! Wer erkennt, wie sehr das nicht nur Jesus Christus und seinem Anspruch ähnelt, sondern wie jeder Evangelist (Autor der vier Evangelien), allen voran Lukas, mit seinem Evangelium von Jesu Geburt und Königsanspruch bewusst eine Entgegnung auf die Evangelien des Kaisers, schrieb und wie politisch alle Verkünder dieses neuen Evangeliums verstanden werden mussten? Es war eine Provokation. Ein Machtkampf, den Jesus mit der Verkündigung seines Evangeliums eröffnete. Allein schon, weil er es Evangelium nannte. Das weckte Erwartungen und Entrüstung.

Wenn der Kaiser von Rom seinem Volk eine Mitteilung zu machen hatte, ließ er ein Evangelium verkünden! Das Wort Evangelium wurde damals also von den Menschen gut verstanden, es war ihnen vertraut, es war ein normales, alltägliches Wort, ganz anders als heute, wo es vielen Menschen ein Fremdwort ist oder wie ein abgehobener, geschützter Markenname der Kirche vorkommt. Es mag sein, dass auch deswegen viele moderne Übersetzungen dieses Wort vermeiden, und stattdessen „unbelastete“ Begriffe dafür suchen. Aber entspricht das dem Willen Gottes und dem Sinn des Evangeliums? Soll es unbelastet, leicht und fröhlich daher kommen? Wie schon bereits betont, provozierten Christus und seine Apostel und Evangelisten ganz bewusst indem sie den politischen Begriff Evangelium verwendeten. Die meisten Menschen, die das Evangelium in den ersten Jahrhunderten verkündeten, mussten sogar ihr Leben dafür lassen, insbesondere die Apostel! Wer erfasst heute noch die Schärfe, Tragweite und Brisanz dieses Evangeliums, für das Gemeinden verfolgt und zerstört, Frauen und Männer ins Gefängnis geworfen, gefoltert und hingerichtet wurden, wenn es in Worte wie „gute Nachricht“, „rettende Botschaft“ oder „frohe Botschaft“ umbenannt wird?

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      Evangelium kommt 80 mal in der Bibel vor, davon 77 mal im Neuen Testament. Das Verb dazu („evangelisieren“) kommt weitere 77 mal in der Bibel vor. Somit ist es eindeutig ein...