• Macht Gott die Menschen gottlos?

Ein Spruch in der Bibel wirkt ganz so, als hätte Gott absichtlich die Gottlosen erschaffen, um sie anschließend für ihre Gottlosigkeit bestrafen zu können. Das klingt nicht nur ungerecht, sondern widerspricht auch dem Rest der Bibel.

Es handelt sich um einen Satz in den Sprichworten des weisesten Mannes, den die Bibel kennt, nämlich Salomo. In Sprüche 16,4 steht:

Alles hat der HERR zu seinem Zweck gemacht, so auch den Gottlosen für den Tag des Unglücks.

So übersetzte es Martin Luther. Aber auch andere Übersetzungen singen einstimmig mit im Chor:

Alles hat der HERR für seinen Zweck erschaffen, so auch den Frevler für den Tag des Unheils.
ELB Alles hat der HERR zu seinem Zweck gemacht, so auch den Gottlosen für den Tag des Unglücks.
SCH2000 Alles hat der HERR zu seinem bestimmten Zweck gemacht, sogar den Gottlosen für den Tag des Unheils.
GN Der Herr hat alles auf ein Ziel hin geschaffen, so auch die Bösen für den Tag ihrer Bestrafung.
Neues Leben  Alles hat der Herr zu einem bestimmten Zweck geschaffen, sogar den Gottlosen für den Tag des Gerichts.
MENGE Alles hat der HERR für einen bestimmten Zweck geschaffen, so auch den Gottlosen für den Tag des Unglücks.
Hfa Der HERR sorgt dafür, dass jeden das Los trifft, das er verdient – auch für den Gottlosen kommt der Tag des Verderbens.

Das liest sich tatsächlich so als hätte Gott die gottlosen, bösen Menschen genau zu dem Zweck, gottlos und böse zu sein, geschaffen. Gott wollte es offenbar so, dass sie gottlos sind. Schon die Gnostiker zur Zeit von Paulus und den anderen Aposteln behaupteten, dass es keinen freien Willen und daher keine Verantwortung des Menschen gäbe, sondern alles genauso verläuft, wie Gott es vor Erschaffung der Welt festgelegt hätte. Jeder Mensch sei von Gott vorherbestimmt, ob er gut oder böse, gläubig oder gottlos ist. Diese Lehre wird Prädestination genannt und war die Hauptlehre der Gnosis, einer weit verbreiteten christlichen Irrlehre ab dem 1.Jahrhundert n.Chr. gegen die Paulus, Johannes und die anderen Aposteln mit viel Eifer kämpften, lehrten und schrieben.

Aber gibt der oben zitierte Vers aus den Sprüchen nicht am Ende den Gnostikern recht? Ist dieser Vers denn nicht ein Beweis für die Vorherbestimmung des Menschen und dass er nichts dafür kann, ob er gottesfürchtig oder gottlos ist?

Interessant ist, dass die Gnostiker eigentlich gar nicht das Alte Testament lasen und die Sprüche Salomos keine anerkannte Quelle für sie war. Jesus und Seine Apostel hingegen lasen und zitierten eifrig das Alte Testament und auch die Sprüche Salomos. Aber sie verwendeten nicht - wie die heutigen Bibeln - den Masoretentext, sondern die Septuaginta. Und dort steht besagter Vers so:

 Alle Taten des Herrn geschehen mit Gerechtigkeit, und der Gottlose wird bewahrt für einen bösen Tag. (Septuaginta Deutsch, Sprüche 16,9 [16,4])

Und plötzlich ist der Sinn ein ganz anderer. Nämlich einer, der nicht Gott zum Schöpfer der Gottlosen macht, sondern zu deren gerechten Richter, der sie nur für den bösen Tag aufbewahrt. Das ist ein großer Unterschied. Gott hat nicht die Gottlosen erschaffen, sondern er bewahrt sie auf für den bösen Tag! Mit dem „bösen Tag“ oder „Tag des Verderbens“ oder „Tag des Gerichts“ oder „Tag der Bestrafung“ ist der Tag gemeint, an dem die Gottlosen bestraft werden. Gott ist gerecht, er bestraft alle Gottlosen. Aber Gott ist auch barmherzig, er gibt allen Gottlosen Raum zur Buße und bewahrt sie daher auf, ob sie nicht doch noch umkehren. Das bezeugt das Wort Gottes:

Denn dem Menschen, der gut ist vor seinem Angesicht, hat er Weisheit gegeben und Erkenntnis und Freude. Aber dem, der sündigt, hat er die Beschäftigung gegeben, hinzuzufügen und zu sammeln, um es demjenigen zu geben, der gut ist vor dem Angesicht Gottes, denn auch dies ist Nichtigkeit und ein Streben nach Wind. (Kohelet 2,25)

Habe keinen Gefallen am Erfolg von Gottlosen, bedenke, dass sie bis zum Hades nicht gerichtet werden. (Jesus Sirach 9,12)

Denn auch der Höchste hasst die Sünder und den Gottlosen wird er Strafe vergelten, er bewahrt sie aber bis zum Tag ihrer Bestrafung. (Jesus Sirach 12,6)

Sag nicht: »Durch den Herrn bin ich abgefallen«; denn was er hasst, wird er nicht tun.
Sag nicht: »Er selbst hat mich getäuscht«; denn er hat kein Verlangen nach einem sündigen Mann. 
Jedes Gräuel hasst der Herr, und es ist nicht liebenswert für die, die ihn fürchten.
Er selbst machte am Anfang den Menschen und ließ ihn in der Hand seines eigenen Willens.
Wenn du willst, wirst du die Gebote bewahren und die Treue, Wohlgefälligkeiten zu tun. 
Er stellte dir Feuer und Wasser zur Verfügung; wonach du willst, wirst du deine Hand ausstrecken.
Vor den Menschen stehen das Leben und der Tod, und das, woran er Gefallen findet, wird ihm gegeben werden. 
Denn groß ist die Weisheit des Herrn; stark ist er in seiner Herrschaft, und er sieht alles, und seine Augen schauen auf die, die ihn fürchten, und er wird auf jedes Werk des Menschen genau achten. Jesus Sirach 15,11-20)

Denn wenn Gott die Engel nicht verschonte, die gesündigt hatten, sondern sie in Fesseln der Finsternis in den Abgrund warf, um sie zum Gericht aufzubewahren,
und wenn er die alte Welt nicht verschonte, sondern nur Noah, den Verkündiger der Gerechtigkeit, als Achten bewahrte, als er die Sintflut über die Welt der Gottlosen brachte, und auch die Städte Sodom und Gomorra einäscherte und so zum Untergang verurteilte, womit er sie künftigen Gottlosen zum warnenden Beispiel setzte, während er den gerechten Lot herausrettete, der durch den zügellosen Lebenswandel der Frevler geplagt worden war (denn dadurch, dass er es mit ansehen und mit anhören musste, quälte der Gerechte, der unter ihnen wohnte, Tag für Tag seine gerechte Seele mit ihren gesetzlosen Werken), so weiß der Herr die Gottesfürchtigen aus der Versuchung zu erretten, die Ungerechten aber zur Bestrafung aufzubewahren für den Tag des Gerichts. (2.Petrus 2,4-9)

Seht Ihr, wie Petrus exakt das Selbe schrieb wie Salomo? Gott bewahrt die Gottlosen auf für das Gericht. Und damit meint Petrus nicht nur Menschen, sondern auch Engel, die Gott ebenfalls zum Gericht aufbewahrt (an einem Ort übrigens, den Petrus aus dem Buch Henoch kennt, aber das ist eine andere Geschichte).

All diese Stellen (und noch viele andere) betonen den freien Willen des Menschen und die Gerechtigkeit Gottes, die niemand zu einer Sünde bringt oder erschaffen hat, sondern jeden dafür verurteilt, der sie tut (egal ob Engel oder Mensch), und ihn aufbewahrt bis zum Tage des Gerichts. Es ist und bleibt die Entscheidung jedes Einzelnen, was er tut und wie er lebt. Jeder hat die freie Wahl ob er Gott gottgefällig oder gottlos sein will, ob er rein ist oder sündig, ob er Gerechtigkeit übt oder Unrecht tut. Die ganze Bibel und speziell die Evangelien sind geprägt von dieser Wahrheit, denn der Sohn Gottes ist die Wahrheit und wird am Ende als Richter wiederkommen um jedem so zu vergelten, wie sein Werk sein wird:

Wer Unrecht tut, der tue weiter Unrecht, und wer unrein ist, der verunreinige sich weiter, und der Gerechte übe weiter Gerechtigkeit, und der Heilige heilige sich weiter! Und siehe, ich komme bald und mein Lohn mit mir, um einem jeden so zu vergelten, wie sein Werk sein wird. (Offb 22,11+12)

Während der Masoretentext wieder einmal einen Widerspruch zum Gesamtzeugnis der Heiligen Schrift herstellt, erweist sich die Septuaginta als verlässliches Zeugnis der wahren Gerechtigkeit Gottes und harmoniert mit dem Rest von Gottes Wort völlig. Der Widerspruch kommt also weder von Gott noch von Salomo, sondern von dem falschen, menschlichen, verdorbenen Masoretentext, dem heute leider alle Bibeln folgen.

Alle? Nein, denn eine kleine Gruppe von Übersetzern leistet dem enormen Druck der Mehrheit Widerstand. Aufmerksamen Lesern ist vielleicht schon aufgefallen, dass die Hoffnung für alle (Hfa) in der Tabelle oben aus der Reihe tanzt. Sie stimmt in dem Fall nicht mit den anderen überein. Sie folgt an der Stelle - obwohl sie sonst weitgehend dem Masoretentext folgt - der LXX! Und sie ist nicht allein. Immer mehr Bibelübersetzungen kommen allmählich drauf, dass es keine von Gott geführte Idee war, den Masoretentext als Grundtext für das AT zu verwenden, und steigen geläutert um auf die LXX, die auch schon das Alte Testament von Jesus Christus und Seinen Apostel und allen frühen Christen war. Zum Beispiel die FBÜ:

Alle Werke des Herrn sind mit Gerechtigkeit, aber der Frevler wird für den üblen Tag bewahrt. (Benjamin Fotteler)