• Feierten die frühen Christen Jesu Geburtstag und wenn ja, wann?
Die Anbetung der Hirten, Gerard v. Honthorst, 17.Jh

Alle Jahre wieder hört und liest man in sozialen und anderen Medien, Gesprächen und sogar Predigten, dass der Termin am 24. bzw. 25. Dezember, an dem Weihnachten weltweit gefeiert wird, falsch sei und dass Jesus eigentlich zu einer ganz anderen Jahreszeit geboren wurde. Aber stimmt das?

Die Diskussion, wann der Geburtstag des Herrn Jesus wirklich war und wann demnach Weihnachten zu feiern sei, ist uralt. Fast so alt wie die Evangelien, in denen die Geburt Jesu beschrieben wird. Schon in den ersten Jahrhunderten wurde der Geburtstag des Herrn gefeiert, doch nicht überall gleich. Im Osten hatte man eine andere Tradition als im Westen und bald gab es Diskussionen, ja sogar Streit, welche Tradition denn die richtigere sei.

Im Jahr 386 schließlich klärte Johannes Chrysostomus in seiner Weihnachtspredigt am 25. Dezember in Antiochia alle Streitfragen, Irrlehren und Verwirrungen zu diesem Thema auf und bewies den richtigen Termin. Eine Predigt, die die Wahrheit über eine damals schon spaltende Frage verkünden und die Einheit unter den Christen wieder herstellen sollte. Ein hochinteressantes Zeitdokument, das heute nicht minder aktuell ist und Licht ins Dunkel bringt. Wir bringen hier wie folgt die Predigt „Auf Weihnachten“ (In diem natalem) in voller Länge (Übersetzung, Wortlaut und Rechtschreibung aus der BKV):


Auf Weihnachten (In diem natalem)

Auf Jesu Christi, unseres Erlösers, Geburtstag, den man damals noch wenig kannte und erst vor einigen Jahren durch abendländische Christen, welche davon Kunde brachten, kennen gelernt hatte.

Was in alten Zeiten von Patriarchen sehnlich gewünscht, von Propheten vorausverkündigt, von Gerechten zu schauen begehrt ward, Das ist heute geschehen und in Erfüllung gegangen: Gott ist auf Erden im Fleische erschienen und mit den Menschen gewandelt. Deßhalb, Geliebte, wollen wir jubeln und frohlocken. Ist nicht Johannes im Schooße seiner Mutter Elisabeth, als Maria sie besuchte, vor Freude aufgehüpft?

Wir aber schauen heute nicht etwa Maria, sondern unsern neugebornen Erlöser selbst; daher sollten wir noch weit mehr frohlocken und jauchzen, zugleich aber voll Bewunderung anstaunen dieses große Geheimniß, das unser Begreifen weit überragt. Denn wie würde es uns vorkommen, sähen wir die Sonne vom Himmel herabsteigen, auf der Erde umher wandeln und von hier aus allen Menschen ihre Strahlen zusenden? Würde nicht dieses Ereigniß alle Zuschauer mit Staunen erfüllen? Und doch ist die Sonne nichts weiter als eine Spenderin sichtbaren Lichtes; nun siehe zu und erwäge, was es heissen will, daß die Sonne der Gerechtigkeit aus unserer fleischlichen Natur heraus ihre Strahlen entsendet und unsere Seelen erleuchtet!


Schon längst hat es mich verlangt, diesen Tag zu schauen, und zwar zu schauen inmitten einer so zahlreich versammelten Gemeinde; und immer wünschte ich, dieser Schauplatz unserer Andacht möchte so gut besetzt sein, wie er sich jetzt unsern Blicken darstellt.

Das ist also nun wirklich geschehen. Noch sind es nicht zehn Jahre, seitdem dieser Tag zu unserer Kenntniß gelangt ist; und trotzdem ist dieses Fest durch euren frommen Eifer zu einer solchen Blüthe gediehen, als wäre es ein altes Erbstück aus längst vergangenen Zeiten. Deßhalb könnte man diesen Festtag mit Recht einen neuen und auch wieder einen alten nennen; einen neuen, weil er erst jüngst zu unserer Kenntniß gekommen, einen alten und längst gewohnten, weil er dem ältern so schnell ebenbürtig geworden und auf dieselbe Stufe emporgestiegen ist.

Gleichwie Pflanzen von edler Art, schon bald nachdem sie in das Erdreich eingesetzt sind, bis zu einer bedeutenden Höhe herangewachsen und binnen kurzer Frist mit Früchten reich beladen sind: so hat auch dieser Festtag, der den Abendländern längst bekannt, bei uns aber erst jetzt vor wenigen Jahren in Übung gekommen ist, in ähnlicher Weise schnell an Bedeutung gewonnen und jetzt schon reiche Früchte getragen; denn dieser unser Versammlungsort ist ja vollständig gefüllt und unsere Kirche zu klein geworden für die Menge Derer, die sich hier eingefunden haben. Den Lohn, welchen ihr für einen solchen Eifer verdient, erwartet von Christus, der heute dem Fleische nach geboren ist. Er wird euch diese fromme Gesinnung sicherlich vergelten. Ist doch das liebevolle Interesse, das ihr für dieses Fest an den Tag legt, ein vielsagendes Zeugniß eurer Liebe zu Demjenigen, dessen Geburt wir feiern.

Wenn es aber zugleich an mir, eurem Mitknecht, ist, euch einigermaßen zu belohnen: ich werde thun, was in meinen Kräften steht; oder besser gesagt: ich werde um eures Heiles willen reden, wie es die Liebe Gottes mir verleiht. Was wollt ihr also heute von mir hören?


Ganz gewiß wünscht ihr, daß ich mich eben über dieses Fest verbreite; denn ich weiß recht wohl, daß Manche auch jetzt noch darüber streiten, und der Eine dafür, der Andere dagegen spricht. Es werden allenthalben über dieses Fest viele Worte gewechselt: die Tadler weisen darauf hin, daß es noch ganz jungen Datums und erst jetzt eingeführt ist; die Vertheidiger sagen, es sei alt, sogar uralt; da ja die Propheten von der Geburt des Herrn geweissagt, und dieser Tag seit alten Zeiten von Thrazien bis Cadix wohlbekannt und gefeiert sei. Nun wohlan, Das sei der Gegenstand meiner Rede. Denn es ist ja klar: wenn dieses Fest schon jetzt, wo seine Berechtigung noch viel bestritten wird, sich eurer Gunst in so hohem Grade erfreut, so werdet ihr ihm noch weit mehr Eifer zuwenden, wenn ihr einmal besser darüber Bescheid wißt, und wenn die genauere Kenntniß, welche euch diese Belehrung verschaffen soll, euch noch günstiger dafür gestimmt hat.

Drei Beweisgründe habe ich zu erörtern, aus denen durchaus erhellt, daß Dieß der Zeitpunkt ist, wo das göttliche Wort, unser Herr Jesus Christus, als Mensch geboren ward.


Den ersten Grund finde ich darin, daß dieses Fest in so kurzer Zeit überall bekannt geworden, zu einer solchen Bedeutung gelangt ist und so vielen Beifall gefunden hat. Von der Predigt des Evangeliums sagte einst Gamaliel: „Wenn es von Menschen ist, wird es in Zerfall gerathen; wenn es aber aus Gott ist, könnt ihr es nicht zerstören, auf daß ihr nicht etwa als Widersacher Gottes befunden werdet.“ Dasselbe möchte ich im Hinblick auf das heutige Fest zu behaupten wagen: weil es von Gott ist, darum ist dieser Tag, statt in Vergessenheit zu gerathen, vielmehr von Jahr zu Jahr bedeutender und herrlicher geworden. So hat ja auch die Predigt des Evangeliums sich in wenigen Jahren über die ganze bewohnte Erde verbreitet, obgleich es Zeltmacher, Fischer, ungelehrte und ganz gewöhnliche Leute waren, welche dieses Evangelium überall hin trugen. Allein die Unscheinbarkeit seiner Diener brachte ihm keinen Schaden; es war die innere Kraft des von ihnen verkündigten Wortes, die Alles schon gleich Anfangs in Besitz nahm, alle Hindernisse überwand und ihre eigenthümliche Stärke bewährte.


Sollte aber Jemand nach Art rechthaberischer Menschen sich bei dem Gesagten nicht beruhigen wollen, so habe ich noch einen zweiten Grund anzuführen; und was für einen?

Ich nehme ihn von der Volkszählung her, die im Evangelium berichtet wird. „Es geschah“ — so erzählt nämlich der Evangelist — „in jenen Tagen, daß ein Befehl ausging von dem Kaiser Augustus, den ganzen Erdkreis zu beschreiben. Diese Aufschreibung, die erste, geschah unter dem Statthalter von Syrien, Kyrenius. Und Alle gingen hin, um sich aufschreiben zu lassen, ein Jeder in seine Stadt. Es ging denn auch Joseph von Galiläa aus der Stadt Nazareth hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, welche Bethlehem genannt wird, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war, um sich aufschreiben zu lassen sammt Maria, seinem angetrauten Weibe, die gesegneten Leibes war. Es geschah aber, als sie dort waren, daß erfüllt wurden die Tage, da sie gebären sollte; und sie gebar ihren Sohn, den Erstgebornen, und wickelte ihn in Windeln, und legte ihn in eine Krippe, weil für sie in der Herberge kein Platz war.“ Daraus geht hervor, daß der Herr zur Zeit der ersten Volkszählung geboren ward. Wer nun die alten, in Rom aufbewahrten öffentlichen Urkunden lesen will, der kann daraus die Zeit dieser Volkszählung genau erfahren.

Aber was geht Das uns an, sagt ihr, da wir doch nicht in Rom sind und auch nicht dahin kommen? Höre nur und sei nicht ungläubig: Wir haben dieses Fest von Leuten überkommen, die es genau wissen und selbst in jener Stadt wohnen. Denn die Römer sind es, die dieses Fest seit langer Zeit und nach einer alten Überlieferung feiern, und die jetzt auch uns die Kunde davon gebracht haben.

Der Evangelist hat nämlich nicht umsonst diesen Zeitpunkt angedeutet, sondern einmal, um uns über den Tag der Geburt des Herrn zu unterrichten, und dann auch um das Walten der göttlichen Vorsehung zu zeigen. Denn der Kaiser Augustus hat damals jenen Befehl nicht aus eigener Eingebung und aus eigenem Antrieb gegeben, sondern Gott hat seinen Sinn darauf gelenkt, damit er, wenn auch ohne und gegen seinen Willen, der Menschwerdung des Sohnes Gottes dienstbar würde.

Aber was konnte denn diese Schätzung zur Erfüllung des göttlichen Rathschlusses beitragen? Nicht wenig, mein Lieber! nicht ein Geringes, sondern sehr viel, ja sie war nothwendig und von großer Wichtigkeit. Wie so denn? Galiläa ist eine Landschaft in Palästina, und Nazareth eine Stadt in Galiläa. Auch Judäa — so wird es von den Eingebornen genannt — ist eine solche Landschaft, und Bethlehem eine Stadt in Judäa. Nun aber verkündigten alle Propheten, daß der Erlöser nicht von Nazareth, sondern von Bethlehem kommen und hier geboren werden sollte. Denn so steht geschrieben: „Und du, Bethlehem im Lande Juda, bist keineswegs die geringste unter den Fürstenstädten Judas, denn aus dir wird der Herrscher hervorgehen, der mein Volk Israel regieren wird.“ Darum wiesen auch damals die Juden den Herodes, der sie nach dem Geburtsorte des Erlösers fragte, auf dieses Zeugniß hin.

Damit hängt auch zusammen, daß Christus von Nathanael sagte: „Siehe, ein wahrer Israelit, in dem kein Falsch ist!“ Als nämlich Philippus sich gegen Nathanael geäussert hatte: „Wir haben Jesum von Nazareth [den Erlöser] gefunden,“ da hatte Nathanael zur Antwort gegeben: „Kann denn aus Nazareth etwas Gutes kommen“? Weßhalb hat nun Jesus den Nathanael gelobt? Weil dieser sich durch die Mittheilung des Philippus nicht gleich einnehmen ließ, vielmehr genau wußte und festhielt, daß nicht in Nazareth und nicht in Galiläa der Erlöser sollte geboren werden, sondern in Judäa - wie es denn auch geschehen ist. Während Philippus Das nicht wußte, war es dem schriftkundigen Nathanael wohl bekannt, daß der Messias nicht von Nazareth kommen sollte, und so stimmte denn seine Antwort mit jener alten Weissagung überein; darum sagte der Herr: „Siehe, ein wahrer Israelit, in dem kein Falsch ist!“

Ein anderes Zeugniß: Einige Juden sagten zu Nikodemus: „Forsche nach, und siehe, daß aus Galiläa nimmer ein Prophet erstehet!“ Und an einer andern Stelle: „Kommt Christus nicht aus der Stadt Bethlehem, wo David war?“ Es war das allgemeine Urtheil, daß der Erlöser unzweifelhaft von Bethlehem kommen müsse, und nicht aus Galiläa.

Wie es nun aber häufig und bei vielen Leuten der Fall ist, daß sie aus ihrer Heimath ausgewandert und nun in einer andern Stadt ansäßig sind, wo sie nicht herstammen: so hatten auch Joseph und Maria, obgleich Bürger von Bethlehem, diese Stadt verlassen, waren nach Nazareth übergesiedelt und hatten hier ihren Wohnsitz. Und doch mußte Christus in Bethlehem geboren werden. Da erging denn jenes Gebot, das Maria und Joseph auch gegen ihre Absicht nach Bethlehem zu reisen nöthigte. So lag es im Plane der göttlichen Vorsehung. Der Befehl des Kaisers Augustus, nach welchem Jeder sich in seiner Vaterstadt mußte anschreiben lassen, zwang sie, von Nazareth sich aufzumachen und sich nach Bethlehem zu begeben, um sich dort aufschreiben zu lassen. Das ist es also, was der Evangelist andeutet, wenn er sagt: „Es ging aber auch Joseph von Galiläa aus der Stadt Nazareth hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, welche Bethlehem genannt wird, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war, um sich aufschreiben zu lassen sammt Maria, seinem angetrauten Weibe, die gesegneten Leibes war. Und es geschah, als sie dort waren, da wurden erfüllt die Tage, daß sie gebären sollte, und sie gebar ihren Sohn, den Erstgebornen.“

Ihr habt also gesehen, Geliebte, das Walten der göttlichen Vorsehung, die sowohl durch die Ungläubigen als durch die Gläubigen ihre Absichten in’s Werk setzt, damit auch die Verächter der Frömmigkeit die Macht und die Gewalt Gottes kennen lernen. Der Stern war es, der die Weisen aus dem Morgenlande herbeiführte, und der Befehl des Kaisers war es, der Maria in ihre Vaterstadt zog, die von den Propheten im Voraus bezeichnet war.

Auch ist uns diese Reise ein Beweis, daß die Jungfrau ebenfalls aus dem Geschlechte Davids war. Denn wenn sie aus Bethlehem stammte, so ist klar, daß sie auch aus dem Hause und Geschlechte Davids war. Darüber hatte uns auch schon im Vorhergehenden der Evangelist belehrt, ehe er sagte: „Es ging auch Joseph aus Galiläa hinauf sammt Maria, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war.“ Die Herkunft Josephs ist uns zwar mitgetheilt, aber die Vorfahren Marias hat uns Niemand in gleicher Weise angegeben. Damit du nun nicht zweifelst und nicht fragest, woraus denn ihre Abstammung von David erhelle — so höre, was vorhergegangen ist: „Im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt in Galiläa geschickt, mit Namen Nazareth, zu einer Jungfrau, die vermählt war mit einem Manne, der Joseph hieß, aus dem Hause Davids.“ Es ist anzunehmen, daß der Zusatz: „aus dem Hause Davids“ sich auf die Jungfrau bezieht. So ist also auch hier die Abstammung Marias angegeben.

Nun ist klar, warum damals jene Verordnung, jenes Gebot ergangen ist, das Joseph und Maria nach Bethlehem führte; denn kaum waren sie in der Stadt angekommen, als Jesus geboren wurde. Nun ist auch klar, warum er in der Krippe liegen mußte: es eilten nämlich damals wegen der Volkszählung von allen Seiten viele Leute nach Bethlehem, und sie hatten schon alle Wohnungen besetzt, so daß man wegen eines Unterkommens in großer Verlegenheit sein konnte. Dort war es auch, wo die Weisen ihn angebetet haben.


Doch ich will euch einen Beweis beibringen, der noch deutlicher und überzeugender ist. Jetzt merkt auf, ich bitte euch, denn ich muß euch eine weitläufige Untersuchung vortragen und alte Gesetze anführen, damit euch meine Rede in jeder Beziehung verständlicher werde.

Bei den Juden bestand ein altes Gesetz - doch ich will weiter ausholen. Als Gott das Volk der Hebräer von dem Elend in Ägypten, und von der Tyrannei des fremden Königs befreit hatte, waren sie noch von einem Reste heidnischer Vorstellungen beherrscht; sie ließen sich nämlich von der Pracht der sichtbaren Dinge noch gleichsam bezaubern, und bewunderten namentlich große und schöne Tempel über die Maßen. Im Hinblick auf diese ihre Schwäche ließ ihnen Gott einen Tempel bauen, der nicht bloß durch Kostbarkeit des Materials und kunstvolle Ausstattung, sondern auch in Rücksicht auf Plan und Bauart alle Tempel der Welt in Schatten stellen mußte. Gott machte es hier ähnlich wie ein zärtlich liebender Vater mit seinem Sohne, wenn dieser sich nach langer Zeit dem Vater wieder zuwendet, nachdem er sich inzwischen mit lasterhaften Menschen, mit Verführern und Wüstlingen umhergetrieben und ein üppiges, schwelgerisches Leben geführt hat. Wie nämlich ein solcher liebevoller Vater dem Sohne noch größern Überfluß an Gütern zuweis’t, die er mit Ehren und ohne Sorgen besitzen und genießen soll, damit nicht der Sohn, etwas kurz gehalten, wieder seiner frühern Verhältnisse gedenkt und sie zurückwünscht: so wollte auch Gott den Juden, weil er ihre leidenschaftliche Vorliebe für äussere Schönheit kannte, das Herrlichste und Prachtvollste zur Verfügung stellen, damit sie sich nie nach Ägypten und nach Dem, was sie dort gesehen hatten, zurücksehnen möchten. Deßhalb ließ er den Tempel bauen nach dem Bilde der ganzen, der sinnlichen und übersinnlichen Welt.

Die Welt besteht aus Himmel und Erde, und dazwischen ist dieses Firmament, das wir sehen, als Scheidewand aufgerichtet: ähnlich ließ er auch den Tempel einrichten. Auch diesen Tempel theilte er in zwei Abtheilungen, und ließ dazwischen einen Vorhang anbringen; der Raum ausserhalb des Vorhanges sollte für Jedermann zugänglich, dagegen der innere Raum für Alle - den Hohenpriester allein ausgenommen - unnahbar und unsichtbar sein. Das ist nicht lediglich meine Ansicht; nein der Tempel war in der That als ein Abbild der ganzen Welt eingerichtet. Zum Beweise höret nur, was Paulus sagt, indem er von der Himmelfahrt Christi redet: „Denn nicht in ein mit Händen gemachtes Heiligthum, ein Abbild des wahren, ist Christus eingegangen.“ Damit zeigt er, daß dieses Heiligthum ein Abbild des wahren Heiligthums ist. Und daß auch der Vorhang das Allerheiligste von dem äussern Heiligthum trennte, so wie dieser Himmel Das, was darüber ist, trennt von Allem, was hier auf Erden ist, auch Das gibt er zu verstehen, indem er den Himmel einen Vorhang nennt. An einer andern Stelle nämlich, wo er über die Hoffnung spricht, daß wir an ihr einen sichern und starken Anker für unsere Seele besitzen, fügt er hinzu: „und der hineindringt in das Inwendige des Vorhanges, wohin als Vorläufer für uns eingegangen ist Jesus, über den Himmel in die Höhe.“ Siehst du, wie er den Himmel einen Vorhang nennt?

Ausserhalb des Vorhanges befanden sich nun der Leuchter, der Tisch und ein eherner Altar für die Schlacht und Brandopfer. Im Innern aber, hinter dem Vorhange, war die Bundeslade, ganz mit Gold überzogen, mit den Gesetzestafeln, dem goldenen Mannabecher, dem grünenden Stab Aarons und mit dem goldenen Altar, der nicht für Schlacht und Brandopfer, sondern nur für Rauchopfer bestimmt war. Jenen äussern Theil durften Alle betreten, den innern nur der Hohepriester. Auch dafür will ich euch wieder ein Zeugniß beibringen. Paulus sagt wie folgt: „Es hatte also allerdings das erste Zelt Gerechtsame des Gottesdienstes und das weltliche Heiligthum, (weltliches Heiligthum nennt er das äussere Zelt, weil alle Welt dort eintreten durfte), in welchem die Leuchter waren und der Tisch und die Vorlage der Brote. Hinter dem zweiten Vorhange aber war ein Zelt, genannt das Allerheiligste, enthaltend ein goldenes Rauchfaß und die Lade des Bundes, ganz mit Gold überzogen, in welcher ein goldener Becher mit dem Manna, und der Stab Aaron’s, der geknospet hatte, und die Tafeln des Bundes, und über derselben waren Cherubim der Herrlichkeit, überschattend die Sühnstätte. Indem nun Dieß also eingerichtet war, gingen in das vordere Gezelt allezeit die Priester, wenn sie die Opferhandlungen vollzogen, in das zweite aber einmal im Jahre einzig der Hohepriester, nicht ohne Blut, welches er darbringt für seine und des Volkes Vergehungen.“

Siehst du, daß nur der Hohepriester hineingeht, und nur einmal im ganzen Jahre?

Was hat Das nun, sagt ihr, mit dem heutigen Tage zu thun?

Geduldet euch ein wenig, und werdet nicht unruhig. Denn wir sind bis auf den letzten Grund der Sache zurückgegangen; und nun kommen wir bald zum Ziele, wo ihr Alles ganz leicht begreifen werdet.

Allein damit meine Rede nicht zu lange dunkel bleibt, und euch nicht durch ihren Mangel an Klarheit bei dieser Ausführlichkeit überdrüssig macht, will ich euch schon sagen, warum ich Das alles vorgebracht habe. Was ist also der Grund?

Als Maria empfing, waren es sechs Monate, daß Elisabeth den Johannes empfangen hatte. Wenn wir nun wissen, was für ein Monat dieser sechste Monat war, dann wissen wir auch, wann Maria empfangen hat. Wenn wir Das wissen, können wir auch leicht berechnen, wann sie geboren hat, indem wir nämlich von der Zeit der Empfängniß an um neun Monate weiter zählen. Woher werden wir nun wissen, welches der sechste Monat der Schwangerschaft der Elisabeth war? Zuerst müssen wir wissen, wann sie empfangen hat. Und woher werden wir erfahren, in welchem Monat sie empfangen hat? Wenn wir wissen, wann Zacharias, ihr Mann, jene frohe Botschaft erhalten hat. Und wie wird uns Das wieder bekannt? Aus der heiligen Schrift.

Denn das heilige Evangelium sagt, daß der Engel dem Zacharias die frohe Botschaft in das Allerheiligste brachte, und dort über die Geburt des Johannes zu ihm redete. Wenn wir nun aus der heiligen Schrift mit Bestimmtheit nachweisen, daß der Hohepriester einmal im Jahre und zwar allein in das Allerheiligste hineinging, und ferner, wann, in welchem Monat er dieses eine Mal hineinging, dann haben wir offenbar die Zeit gefunden, in welcher Zacharias jene frohe Botschaft erhielt. Dann wird auch der Zeitpunkt, wo Elisabeth empfing, Allen ersichtlich sein. Daß nun der Hohepriester nur einmal im Jahre in das Allerheiligste hineinging, Das hat uns Paulus schon gesagt, und Dasselbe verkündigt uns Moses, indem er erzählt wie folgt: „Und der Herr redete zu Moses und sprach: „Sage Aaron, deinem Bruder, daß er die ganze Zeit nicht betrete das Heiligthum, welches innerhalb des Vorhanges vor der Sühnstätte ist, die über der Lade des Zeugnisses ist, auf daß er nicht sterbe.“ Und wiederum: „Und kein Mensch sei in dem Zelte des Zeugnisses, wenn er hineingeht in das Heiligthum, um zu flehen, bis er herauskommt, und er wird flehen für sich selbst und für sein Haus, und für die ganze Gemeinde der Kinder Israels. Und er wird flehen über der Sühnstätte vor dem Angesichte des Herrn.““

Daraus geht also hervor, daß er nicht zu jeder beliebigen Zeit in das Allerheiligste einging, und daß, während er drinnen war, Niemand mit ihm in Berührung kommen durfte, sondern Alle draussen, ausserhalb des Vorhanges stehen mußten. Das behaltet nur ganz genau im Gedächtnisse. Es erübrigt nämlich noch zu zeigen, zu welcher Zeit er in das Heiligthum einging, und daß er Das ganz allein, einmal des Jahres that.

Woraus läßt sich Das nachweisen? Aus dem selben Buche; denn so heißt es dort: „Im siebenten Monat, am zehnten des Monats, sollt ihr strenge sein gegen euch selbst, und keine Arbeit verrichten an demselben, sowohl der Eingeborne als der Fremdling, der bei euch weilt. Denn an diesem Tage wird eure Versöhnung statt haben, euch zu reinigen von allen euren Sünden; vor dem Herrn sollt ihr gereinigt werden. Das soll der große Sabbath, Ruhe für euch sein; und strenge sollt ihr sein gegen euch selbst. Das soll immerdar Verpflichtung für euch sein. Und die Sühnung soll der Priester vollziehen, der da gesalbt ist, und dessen Hände geweiht sind, um das Priesterthum zu verwalten nach seinem Vater. Er soll das heilige Gewand anziehen, und sühnen das Allerheiligste und das Zelt des Zeugnisses und den Altar sühnen, und sühnen die Sünden der Priester und die ganze Gemeinde sühnen. Und Das soll euch immerdar Gesetz sein, die Sühnung zu vollziehen für die Kinder Israels wegen aller ihrer Sünden. Einmal im Jahre soll es geschehen, wie der Herr dem Moses befohlen hat.“

Von dem Laubhüttenfest ist hier die Rede. Dann nämlich, und nur dann im ganzen Jahre ging der Hohepriester in das Allerheiligste hinein; Das wurde auch deutlich erklärt in den Worten: „einmal im Jahre soll Das geschehen.“

Wenn also zur Zeit des Laubhüttenfestes der Hohepriester, und zwar er allein in das Allerheiligste eingeht, nun, so habe ich noch zu zeigen, daß damals der Engel dem Zacharias erschien, als dieser in dem Allerheiligsten war. Er war allein und brachte eben das Rauchopfer dar, als ihm der Engel erschien. Nun geschieht es aber nur dieses eine Mal, daß der Hohepriester, und zwar er allein hineingeht. Doch es steht Nichts im Wege, daß wir die Worte  der heiligen Schrift selbst vernehmen. „Es war in den Tagen des Herodes, des Königs von Judäa, ein Priester mit Namen Zacharias, und sein Weib, aus den Töchtern Aarons, und ihr Name war Elisabeth. Es begab sich aber, während er Priesterdienst that in der Ordnung seiner Reihe vor Gott, da kam er nach der Sitte des Priesterthums durch das Loos daran, daß er, eingetreten in den Tempel des Herrn, zu räuchern hatte. Und die ganze Menge des Volkes war betend draussen zur Stunde des Rauchopfers. (Hier erinnert euch, Geliebte, jenes Zeugnisses, das da besagt: Und kein Mensch soll in dem Zelte des Zeugnisses sein, wenn er in das Allerheiligste hineingegangen ist, um zu sühnen, bis er wieder herauskommt.) Und es erschien ihm ein Engel des Herrn, stehend zur Rechten des Rauchopferaltars.“

Es heißt nicht: des Schlacht oder Brandopferaltars, sondern des Rauchopferaltars; denn der Altar welcher draussen stand, Das war der Altar für Schlacht und Brandopfer; aber der Altar im Innern, Das war der Rauchopferaltar. Hieraus, und aus dem Umstande, daß der Engel ihm allein erschien, und auch aus der Bemerkung, daß draussen das Volk stand und auf ihn wartete, aus alledem folgt mit Gewißheit, daß er in das Allerheiligste eingetreten war. „Und Zacharias erschrack bei dem Anblick, und Furcht überfiel ihn. Es sprach aber zu ihm der Engel: Fürchte dich nicht, Zacharias, denn dein Gebet ist erhört worden, und dein Weib Elisabeth wird dir einen Sohn gebären, und seinen Namen sollst du Johannes nennen. Und das Volk wartete auf Zacharias, und sie wunderten sich bei seinem langen Verweilen. Als er aber hinausging, winkte er ihnen und konnte nicht reden.“ Siehst du, daß er im Innern, hinter dem Vorhang war? Da also erhielt er die frohe Botschaft.

Die Zeit dieser Verkündigung war aber die Zeit des Laubhüttenfestes und der Fasten; denn auf das Fasten beziehen sich die Worte: Seid strenge gegen euch selbst. Dieses Fest wird von den Juden aber gefeiert gegen Ende des Septembers. Das werdet ihr mir auch bezeugen können; denn ich habe damals viele ausführliche Reden gegen die Juden gehalten, in denen ich ihr Fasten als ein verkehrtes und unzeitiges bekämpfte. Das war also auch die Zeit, wo Elisabeth, des Zacharias Weib empfing; „und sie verbarg sich fünf Monate hindurch, denn sie sagte: Also hat mir der Herr gethan in Tagen, da er darauf sah, meine Schmach unter den Menschen hinwegzunehmen.“ Nun ist es an der Zeit, zu zeigen, daß Elisabeth den Johannes im sechsten Monat in ihrem Schooße trug, als Maria die frohe Botschaft von ihrer Empfängniß erhielt. Hier der Beweis: Gabriel erschien ihr und sprach: „Fürchte dich nicht, Maria, denn du hast Gnade gefunden bei Gott; und siehe, du wirst empfangen und gebären einen Sohn, und seinen Namen sollst du Jesus nennen.“ Da sie aber erschrack und über das Wie Auskunft begehrte, da antwortete der Engel und sprach zu ihr: „Der heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten; deßhalb wird auch das Heilige, das aus dir geboren wird, Sohn Gottes genannt werden. Und sieh, Elisabeth, deine Verwandte, auch sie hat in ihrem Alter einen Sohn empfangen, und Dieß ist der sechste Monat für sie, die unfruchtbar heißt; denn bei Gott ist kein Ding unmöglich.“

Wenn also gegen Ende des Monats September, wie gezeigt worden, Elisabeth empfangen hat, dann müssen wir von diesem Monate an die sechs folgenden Monate hinzurechnen. Das sind die Monate: Oktober, November, Dezember, Januar, Februar, März. Im sechsten Monate war es, daß Maria empfing; zählen wir wieder um neun Monate weiter, so kommen wir auf den gegenwärtigen Monat. Der erste Monat nach der Empfängniß Mariä war also der April, dann folgt der Mai, Juni, Juli, August, September, Oktober, November, Dezember, und Das ist der gegenwärtige Monat, in welchem wir dieses Fest feiern.


Damit euch aber meine Beweisführung wieder deutlicher wird, will ich sie euch kurz zusammengefaßt noch einmal vortragen.

Einmal im Jahre ging der Hohepriester und zwar er allein, in das Allerheiligste. Wann geschah Das? Im Monat September. Zu dieser Zeit also ging Zacharias in das Allerheiligste, und da wurde ihm auch die frohe Botschaft in Betreff des Johannes gebracht. Nachdem er er nun von dort zurückgekehrt war, begann die Zeit der Schwangerschaft Elisabeths. Im sechsten Monat ihrer Schwangerschaft, also im sechsten Monat nach dem September, d. i. im März, hat dann Maria empfangen. Zählen wir nun vom April an bis zum neunten Monat nachher, so kommen wir auf den gegenwärtigen Monat, in dem unser Herr Jesus Christus geboren ist.

Nun habe ich euch Alles, was den heutigen Tag betrifft, d. h. warum an diesem Tage die Geburt des Herrn gefeiert wird, klar gemacht. Noch eins will ich sagen, und dann meine Rede schließen und unserm gemeinsamen Lehrer die wichtigern Gegenstände überlassen.


Es pflegen nämlich viele Heiden, wenn sie von der Geburt Gottes im Fleische hören, darüber zu spotten und zu schmähen, und so bringen sie denn manche von den weniger unterrichteten Christen in Verlegenheit und Verwirrung. Deßhalb muß ich einige Worte gegen diese Heiden, und an die durch solches Gerede verwirrten Christen richten, damit diese sich nicht mehr von dummen Menschen bethören, und nicht durch den Hohn der Ungläubigen ausser Fassung bringen lassen. Auch kleine Kinder pflegen oft darüber zu lachen, wenn wir von ernsten Sachen reden und uns um nothwendige Dinge eifrig bemühen, allein ihr Lachen beweis’t nicht, daß die belachten Dinge geringfügig und bedeutungslos, sondern beweis’t nur, daß die Lacher ohne Verstand sind.

Das ist auch von diesen Heiden zu sagen, daß sie nämlich fast mit mehr als kindischem Unverstand die heiligsten und ehrwürdigsten Dinge bespötteln, dagegen das wahrhaft Lächerliche ehren und verherrlichen. Allein durch ihren Spott können unsere heiligen Geheimnisse Nichts von ihrer Ehrwürdigkeit verlieren, kann ihre Herrlichkeit nicht im Geringsten geschädigt werden, wie auch andererseits Das, was sie ihr eigen nennen, nothwendig seine Häßlichkeit und Abscheulichkeit verräth, mag es auch von ihnen auf jede Weise verherrlicht werden. Denn es ist ein Wahnsinn ohne Gleichen! wenn sie ihre Götter in Steine, in Holzstämme und in Standbilder von ganz gewöhnlicher Sorte einziehen lassen, und darin einsperren wie in einem Gefängniß, dann gleiten sie leicht darüber hinweg und meinen nichts Ungehöriges zu thun oder zu behaupten; wenn wir aber sagen, daß sich Gott durch den heiligen Geist einen lebendigen Tempel zubereitet hat, um durch ihn der Welt das Heil zu bringen: dann treffen uns ihre Schmähungen! Und wie könnte denn diese Lehre einen Tadel verdienen? Wenn es unziemlich wäre, daß Gott in einem menschlichen Leibe wohnt, so ist doch jedenfalls seine Einwohnung in Holz und Stein noch weit mehr unziemlich, und zwar in demselben Grade, als Holz und Stein der menschlichen Natur nachstehen; oder sie müßten denn dafür halten, daß unser Geschlecht sogar tiefer stehe als diese vernunftlosen Geschöpfe. Sie lassen die göttliche Wesenheit sogar in Katzen und Hunden wohnen! Viele Häretiker weisen ihr noch schimpflichere Wohnungen an. Vor solchen Lehren schreckt man nicht zurück. Wir aber behaupten solche Ungeheuerlichkeiten keineswegs, wir mögen es nicht einmal anhören.

Das lehren wir vielmehr, daß Christus aus einem jungfräulichen Mutterschooße einen reinen, heiligen, makellosen, jeder Sünde unzugänglichen Leib angenommen, und dadurch seine eigene Schöpfung zu neuer Würde emporgehoben hat. Behaupten nicht jene Heiden und die Manichäer, die ja zu denselben gottlosen Lehren bekennen, daß die göttliche Wesenheit sich mit Affen, Hunden und Thieren aller Art verbinde? Das ist ihre Lehre; denn sie stellen bekanntlich den Satz auf, daß alle diese Thiere aus dem göttlichen Wesen ihre Seele erhalten. Vor dieser Lehre schrecken sie nicht zurück; dieser Lehre schämen sie sich nicht. Und uns die wir selbst von dem Gedanken an solche Lehren weit entfernt sind, uns zeihen sie unwürdiger Vorstellungen über Gott den Herrn! Und weßhalb? Weil wir uns zu einer Wahrheit bekennen, die durchaus Gottes würdig ist: daß er nämlich, in die Welt eintretend, durch seine Geburt und die Art und Weise seiner Geburt seine eigene Schöpfung wieder hergestellt und gehoben hat.

Was sind das doch für Behauptungen, du Mensch, zu denen du dich versteigst? Göttlichen Wesens sind für dich die Seelen der Mörder und Teufelskünstler; wie kannst du es wagen, gegen unsere Lehre Klage zu erheben, da wir doch dergleichen schnöde Behauptungen entfernt nicht zulassen, nicht einmal anhören mögen? — ja wir betrachten sogar die Bekenner solcher Lehren als Theilnehmer an der Gottlosigkeit. Wie kannst du es also wagen, uns zu schmähen wegen der Lehre, daß sich Gott [bei der Menschwerdung] einen heiligen Tempel zubereitet und dadurch die Lebensweise der Himmelsbewohner in unser irdisches Leben verpflanzt hat?

Ihr habt unzweifelhaft tausendmal den Tod verdient, sowohl wegen der Schmähungen, mit denen ihr uns überhäuft, als auch wegen der Frevel, die ihr unablässig begeht. Denn wenn es in der That, wie ihr behauptet, Gottes unwürdig ist, einen reinen, makellosen Leib zu seiner Wohnung zu erwählen, dann ziemt es sich noch weit weniger, daß er statt des heiligen, unbefleckten und jetzt zur Rechten des Vaters thronenden Leibes den Leib des Teufelskünstlers, des Räubers, des Grabschänders, des Affen, des Hundes bewohne. Wie könnte denn aus dieser Mensch werdung für Gott den Herrn ein Nachtheil erwachsen oder eine Befleckung entstehen? Betrachtet doch diese unsere Sonne, eine sichtbare, zerstörbare, vergängliche Creatur, — denn das ist sie, wenn auch die Heiden und Manichäer bei dieser Behauptung tausendmal vor Ärger bersten wollen. Aber nicht bloß die Sonne, sondern auch die Erde, das Meer und überhaupt die ganze sichtbare Schöpfung ist der Nichtigkeit unterworfen.

Höre, wie Paulus uns diese Wahrheit verkündigt: „Denn der Nichtigkeit ist die Schöpfung unterworfen worden, nicht freiwillig, sondern um dessen willen, welcher sie unterworfen hat auf Hoffnung hin.“ Dann lehrt er auch, was die Worte: „der Nichtigkeit unterworfen“ bedeuten. Er fügt nämlich hinzu: „weil auch sie selber, die Schöpfung, befreit werden wird aus der Knechtschaft der Verderbtheit in die Freiheit der Glorie der Kinder Gottes.“ Sie ist also jetzt vergänglich und verderbt. Denn in der Knechtschaft der Verderbtheit sein, Das heißt nichts Anderes, als zerstörbar sein. Ich wollte also sagen: Diese unsere Sonne, ein materielles, verderbtes Ding, sendet überall ihre Strahlen hin; auch mit Schmutz und Unrath u. s. w. tritt sie in Gemeinschaft; wird aber durch diese Gemeinschaft ihre Reinheit geschädigt? Zieht diese Sonne nicht vielmehr die Strahlen in ihrer ganzen Reinheit wieder zurück, nachdem sie die Vorzüge ihrer Natur einer großen Menge von Dingen, die ihre Strahlen auffangen, mitgetheilt, aber von dem Gestank und Schmutz auch nicht das Geringste angenommen hat? Wenn dem so ist, dann ist die Wahrheit noch viel glaubhafter, daß die Sonne der Gerechtigkeit, der höchste Herr der Geisterwelt, durch seine Einkehr in einen reinen Leib nicht bloß keine Befleckung erlitten. sondern sogar eben diese menschliche Natur zu einer größern Reinheit und Heiligkeit erhoben hat. Das alles wollen wir recht erwägen und zugleich des Wortes gedenken: „Wohnen will ich in euch und unter euch wandeln;“ und des andern Ausspruches: seid ein Tempel Gottes, und der Geist Gottes wohnt in euch.“ Das wollen wir auch auf ihre Angriffe antworten und so den unverschämten Mund der Gottlosen verstummen machen. Zugleich aber laßt uns frohlocken über die Gnaden und Vorzüge, die uns zu Theil geworden sind, und preisen den menschgewordenen Gott für eine so große Herablassung und ihm nach Maßgabe unserer Kräfte eine Ehre beweisen und eine Gegenleistung anbieten, wie sie ihm zukommt. Es gibt aber Nichts, womit wir ihm vergelten könnten, als die Sorge für unser Heil und die Rettung unserer Seelen und die fleissige Übung der Tugend.


Seien wir also nicht undankbar gegen unsern Wohlthäter! Laßt uns alle vielmehr ihm Alles darbringen, was wir nur aufbringen können: Glaube, Hoffnung, Liebe, Mäßigkeit, Almosen, Gastfreiheit.

Und Dasselbe, was ich euch noch vor Kurzem an’s Herz gelegt, Das will ich euch heute wieder und Das werde ich euch unaufhörlich an’s Herz legen. Was ist Das denn? Wenn ihr zu diesem wahrhaft furchtbaren und göttlichen Gastmahle, zu dem heiligen Geheimniß hinzutreten wollet, dann kommt mit Furcht und Zagen, mit reinem Gewissen, unter Gebet und Fasten, und hütet euch wohl zu lärmen, mit den Füßen zu stampfen und den Nachbar zu stoßen! Das wäre ja heller Wahnsinn und würde nicht geringe Verachtung bekunden. Daher läßt Gott über Diejenigen, welche sich so benehmen, große Strafen und Züchtigungen kommen. Bedenke doch, o Mensch, was Das für ein Opfer ist, dessen du dich theilhaftig machen, was für ein Gastmahl, dem du dich nahen willst. Erwäge, daß du — Staub und Asche — den Leib und das Blut Christi empfängst.

Wenn euch der Kaiser zu einem Gastmahl ladet, seid ihr bei Tisch von ehrerbietiger Furcht erfüllt und nehmet von den aufgetragenen Speisen nur schüchtern und schweigend; hier aber ruft euch Gott der Herr an seinen Tisch und bringt auf diesen Tisch seinen eingebornen Sohn! Engel des Himmels stehen dabei, voll Furcht und Zagen; die Cherubim verhüllen ihr Angesicht; zitternd rufen die Seraphim: Heilig, heilig, heilig ist der Herr; — und du — verantworte dich doch — du schreist und lärmst bei diesem hochheiligen Gastmahl! Weißt du nicht, daß in diesen Augenblicken die Seele voll heiliger Ruhe sein soll? Da ist die Fülle stillen Friedens vonnöthen, da ist Lärm, Zorn und Verwirrung nicht an der Stelle; denn dadurch wird die Seele des Gastes verunreinigt. Wie können wir von Gott Nachsicht erwarten, wenn wir nach so vielen und so großen Sünden auch nicht einmal in dem Augenblicke, wo wir zu diesem heiligen Mahle hinzutreten, von jenen unsinnigen Leidenschaften frei sind?

Was ist denn überhaupt nothwendiger als die Theilnahme an diesen heiligen Geheimnissen? Oder was regt uns auf, daß wir so eilig sind, daß wir unsere Seele und ihre Anliegen vergessen und zu den Sorgen für das Fleisch und die Welt hinstürmen? Laßt uns doch nicht, ich bitte und beschwöre euch, den Zorn Gottes gegen uns erregen! Das, was uns hier geboten wird, ist eine heilsame Arznei für unsere Wunden, ein unerschöpflicher Reichthum, ein Mittel, das Himmelreich zu gewinnen. Darum wollen wir nur mit großer Ehrfurcht hinzutreten, wollen zugleich auch Dank sagen, uns niederwerfen, unsere Sünden bekennen, trauernd unser Elend beweinen und andauernd inständige Gebete zu Gott emporsenden.

So laßt uns zuerst unser Inneres reinigen und dann ruhig und gemessen, in geziemender Ordnung hinzutreten; es ist ja der König des Himmels, dem wir uns nahen. Wenn wir dann die heilige und makellose Opferspeise empfangen haben, dann wollen wir sie ehrerbietig küssen, voll Liebe betrachten und unser Herz entzünden, damit wir nicht zum Gerichte und zur Verdammung zusammenkommen, damit sie uns vielmehr gereiche zur Heiligung der Seele, zur Liebe und Tugend, zur Versöhnung mit Gott, zum dauerhaften Frieden, zur Theilnahme an zahllos vielen Gütern und Gnaden, auf daß wir uns selbst heiligen und den Nächsten erbauen.

Das sage ich unablässig, und Das werde ich zu sagen niemals aufhören. Was könnte es euch auch nützen, gleichgültig und gedankenlos hieher zu laufen, ohne etwas Heilsames zu vernehmen? Oder was brächte es für einen Gewinn, wenn ich immer nach euern Wünschen und Gelüsten predigen würde? Die Zeit dieses Lebens ist kurz, meine Theuern! Wir wollen fasten, wachen, uns versöhnen, gegen Jedermann eine eifrige und aufrichtige Liebe an den Tag legen und in allen Dingen uns der Gottseligkeit befleissen. Und wenn wir das Wort Gottes anhören müssen, wenn wir beten, wenn wir kommuniziren oder irgend ein anderes Werk dieser Art vornehmen müssen, dann soll es immer mit banger Ehrfurcht geschehen, damit wir uns nicht durch unsere Nachläßigkeit den Fluch zuziehen. „Denn verflucht ist Jeder,“ so sagt die Schrift, „der das Werk Gottes nachläßig verrichtet.“

Lärm und zorniges Benehmen ist ein Frevel gegen dieses heilige Opfer. Es zeugt von einer Verachtung ohne Gleichen, wenn man mit beflecktem Herzen sich Gott dem Herrn naht. Höre, was von solchen Menschen der Apostel sagt: „Wenn Jemand den Tempel Gottes verdirbt, wird ihn der Herr verderben.“ Laßt uns also wohl zusehen, daß wir nicht den Herrn erzürnen, statt ihn zu versöhnen. Laßt uns deßhalb zu diesem Mahle hintreten mit großer Vorsicht, in vollkommener Ordnung, frei von leidenschaftlicher Aufregung, unter Gebet und mit zerknirschtem Herzen, auf daß wir auch dadurch unsern Herrn Jesus Christus versöhnen und theilhaft werden können seiner Verheissungen, durch die Gnade und Liebe dieses unseres Herrn Jesu Christi. Ihm und zugleich dem Vater und dem heiligen Geiste sei Ehre, Macht, Herrlichkeit, jetzt und immer und in Ewigkeit. Amen.

Chrysostomus Orationes Ausgewählte Reden (BKV), Auf Weihnachten (In diem natalem)