• geschrieben von: Barnabas
  • Erscheinungsjahr: 70 oder früher

Es gibt über kaum einen frühchristlichen Autor heutzutage solch Rätselraten und kontroverse Diskussionen wie über jenen Barnabas, der diesen Brief geschrieben hat.

Während die frühen Christen keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, dass der Autor jener in der frühen Kirche hochgeschätzte (Apg 11,24) Levit aus Zypern (Apg 4,36) ist, den die Apostel liebevoll Barnabas nannten, der Paulus auf seiner ersten Missionsreise begleitete, und den die Griechen für Zeus hielten (Apg 14,12), bestreitet das die Mehrheit der späteren Gelehrten und wollen ihn nur Pseudo-Barnabas nennen. Denn dass er Barnabas hieß, darüber lässt sich nicht streiten, das ist fix. Die Frage ist heute nur, welcher? Aber gibt es denn einen anderen aus der Zeit, der in Frage kommt?

Auch in Sachen Anerkennung läuft eine ähnlich gelagerte Diskussion, die bereits im 4.Jahrhundert los getreten wurde von Leuten wie Eusebius von Cäseräa:

Es dürfte am Platze sein, hier die erwähnten Schriften des Neuen Testamentes zusammenzufassen. An die erste Stelle ist die heilige Vierzahl der Evangelien zu setzen, an welche sich die Apostelgeschichte anschließt. Nach dieser sind die Briefe des Paulus einzureihen. Sodann ist der sog. erste Brief des Johannes und in gleicher Weise der des Petrus für echt zu erklären. Zu diesen Schriften kann noch, wenn man es für gut hält, die Offenbarung des Johannes gezählt werden, über welche verschiedene Meinungen bestehen, die wir bei Gelegenheit angeben werden. Die erwähnten Schriften gehören zu den anerkannten. Zu den bestrittenen aber, welche indes gleichwohl bei den meisten in Ansehen stehen, werden gerechnet der sog. Jakobusbrief, der Brief des Judas, der zweite Brief des Petrus und der sog. zweite und dritte Johannesbrief, welche entweder dem Evangelisten oder einem anderen Johannes zuzuschreiben sind. Zu den unechten Schriften sind zu zählen die Paulusakten, der sog. Hirt, die Offenbarung des Petrus, ferner der sog. Barnabasbrief, die sog. Apostellehre und, wie ich schon sagte, auch noch, wenn man will, die Offenbarung des Johannes, welche, wie erwähnt, von den einen verworfen, von anderen aber zu den echten Schriften gerechnet wird. (Eusebius von Caesarea (260-339) Historia Ecclesiastica Kirchengeschichte (BKV) Drittes Buch, 25. Kap. Die allgemein und nicht allgemein anerkannten Schriften der Bibel.)

Ziemliche viele „sog.“, oder? Der Barnabasbrief wurde von Eusebius zu den „unechten“ Schriften gezählt, die „indes gleichwohl bei den meisten in Ansehen stehen“. Als wäre das nicht schon ein Widerspruch, liest sich die Fortsetzung der Liste noch entlarvender. Der Barnabasbrief wird in einer Linie mit der Offenbarung und zwei Briefen des Johannes, mit dem Jakobusbrief, dem Judasbrief und dem zweiten Petrusbrief genannt. Das sind sechs Bücher, die wir heute im Neuen Testament haben, und sie wurden damals genauso angezweifelt wie der Barnabasbrief. Na, wenn das nicht aufschlussreich ist! Es ist eigentlich traurig, wie wenig Erkenntnis und wie viel Zweifel hinsichtlich der Echtheit und Anerkanntheit der Heiligen Schriften im vierten Jahrhundert vorhanden war. Noch alarmierender, wenn man weiß, dass genau in diesem Jahrhundert der Bibelkanon festgelegt wurde. Aber das ist ein anderes, spannendes Thema. Hier gilt nur festzuhalten, dass Eusebius - aus welchen Gründen auch immer - viele der Heiligen Schriften nicht mehr anerkennen will, und aber gleichzeitig zugibt, dass sie in den Gemeinden durchwegs hohes Ansehen genießen.

Sieht man sich zum Vergleich in den früheren Jahrhunderten davor um, so stößt man unter den alten Lehrern nur auf Bestätigung und Anerkennung hinsichtlich dieser Schriften und ganz besonders in Bezug auf den Barnabasbrief. Er wird gerne und häufig zitiert von Justin dem Märtyrer, Clemens von Alexandria und Irenäus. Origenes nennt den Brief sogar „katholisch“:

Nun steht in dem katholischen Briefe des Barnabas, woher vermutlich Celsus seine Behauptung entnommen hat, die Apostel seien „verrufene und ganz nichtswürdige“ Menschen gewesen, folgendes geschrieben: „Jesus erwählte zu seinen Aposteln Leute, die an Sünde alle anderen übertrafen“ (Origenes († 253/54) Contra Celsum Gegen Celsus (BKV), Erstes Buch, 63.)

„Katholisch“ kommt von Griechisch katholikós, was aber damals nicht römisch-katholisch bedeutete, sondern „allgemein“ oder „allumfassend“ und ein Ehrentitel war, den die frühen Christen auch den Briefen von Paulus, Petrus und Johannes gaben. Somit stand der Barnabasbrief in den Augen der frühen Christen auf der selben Stufe wie die eben genannten Briefe des Neuen Testaments und galt als genauso inspiriert. Indirekt hat das Eusebius ja bestätigt in seiner Aufzählung. Und noch etwas ist äußerst bemerkenswert: Der Barnabasbrief war anscheinend so anerkannt im frühen Christentum, dass er sogar von Irrlehrern wie Celsus gelesen und zitiert wurde, nur um die Christen in seinen Schriften anzugreifen.

Die Tatsache, dass der Brief schon so früh zitiert wurde und noch selbst viele Zitate aus dem Neuen Testament enthält, die aber derart frei zitiert sind, so als hätte der Autor diese Bücher nie gelesen, sondern nur die mündliche Überlieferung gekannt, passt sehr gut wirklich auf den Barnabas in der Bibel, denn der lebte und lehrte zu einer Zeit der mündlichen Lehre der Apostel, wo das Neue Testament noch nicht fertig geschrieben war. Ein typisches Merkmal der Autoren des ersten Jahrhunderts. Wie schon gesagt, widerspricht keiner der frühen Christen dieser Zuordnung, sondern stützt sie, indem sie alle nur von „Barnabas“ reden, so als könnte das kein anderer sein als der Barnabas, der so prägend und prominent war in der frühen Kirche. Lukas nannte ihn sogar Apostel (Apg 14,14)! Wäre es ein anderer gewesen, hätten sie das gewiß durch einen Zusatz gekennzeichnet, damit er nicht mit dem Begleiter des Paulus verwechselt würde. Dazu passt auch perfekt, wie oft und gerne er bereits im frühen zweiten Jahrhundert zitiert wurde, gerade auch in Schriften für frisch Bekehrte und Katechumen.

Heute wird als Gegenargument vorwiegend sein Schreibstil ins Treffen geführt. Angeblich passen der Stil und die Lehre nicht zu einem Paulusschüler. Dagegen muss man aber wenigstens zwei Argumente einwerfen:

  1. Barnabas war kein Paulusschüler, sondern schon viele Jahre vor Paulus gläubig und bereits eine Stütze der Urgemeinde als Paulus diese noch wutschnaubend verfolgte. Barnabas war er es auch, der Paulus nach dessen Bekehrung in die Urgemeinde einführte, die sich vor Paulus fürchtete. Barnabas war einer der 70 Jünger (s. unsere Biographie von Barnabas) und somit ein Schüler Jesu, nicht ein Schüler von Paulus. Man muss also im Gegenteil sagen, dass Barnabas eher Lehrer und Mentor von Paulus war als umgekehrt. Das entspricht auch dem Eindruck, den die beiden Männer offenbar in Lystra machten, als das Volk den Barnabas für Zeus (den Göttervater) hielten und Paulus für Hermes (einem Sohn des Zeus, der für Zeus arbeitete) (Apg 14,11-15). 
  2. Auch Paulus war den Juden gegenüber stets kritisch und sparte nicht mit harten Worten. Er schrieb in seinen Briefen von „vielen widerspenstigen und leeren Schwätzern und Verführern, besonders die aus der Beschneidung, denen man den Mund stopfen müsse.“ (Titus 1,10) und davon, dass „nur der ein Jude ist, der am Herzen beschnitten ist“ (Röm 2,28). Außerdem sagte er, dass die Juden gar nicht die verheißenen Nachkommen Abrahams seien, sondern eigentlich die Nachkommen von Saras Sklavin Hagar, die auf Gottes Befehl von Abraham mit ihrem Sohn in die Wüste geschickt wurde, damit er nichts erben werde. Die Verheißung Abrahams beziehe sich in Wahrheit auf die Christen. Der zweitgeborene Sohn Abrahams ist der Alleinerbe mit Verheißung und wird vom erstgeborenen verfolgt, der nichts erben soll, das deutete Paulus geistlich auf die Juden (erstgeborene) und Christen (zweitgeborene) (Galater 4,21-31). Schließlich verfluchte er jeden, „der den Herrn Jesus Christus nicht liebt“ (1.Kor 16,22), was jedenfalls auf die Juden zutrifft.

Ob Barnabas wirklich so weit weg ist von Paulus hinsichtlich der Juden, darüber kann sich jeder Leser des Briefes selbst ein Bild machen. Es fällt aber wieder mal eines auf: das Zeugnis der frühen Christen ist einstimmig, sie wussten wer den Brief schrieb, dass er vom Heiligen Geist inspiriert ist und wertvoll für die gesunde Lehre der Apostel. Die ersten Kritiker innerhalb des Christentums tauchten nach der Konstantinischen Wende auf. Aber sogar im vierten Jahrhundert wurde der Barnabasbrief noch wertschätzend zitiert, zum Beispiel von Hieronymus (347-420) in seinem Dialog gegen die Pelagianer, wenn auch unabsichtlich, weil er ihn mit Ignatius verwechselt. Die Zitate waren schon zu jener Zeit offenbar bekannter als deren Autoren.

So bleibt als stärkstes Gegenargument nur noch der Zeitpunkt der Abfassung des Briefes. Die wird heute so spät angesetzt, dass der Brief Jahre oder Jahrzehnte nach dem Tod von Barnabas geschrieben wurde und somit Barnabas nicht der Autor sein kann. Es liegen keine hieb- und stichfesten Argumente für das publizierte Datum vor, auch keine nachvollziehbaren Begründungen. Aber mit der Datierung antiker Schriften ist das so eine Sache. Nicht selten gewinnt man bei näherer Betrachtung den Eindruck, dass hier mehr spekuliert und ideologisch vorgegangen wird, als es echte wissenschaftliche Erkenntnisse gäbe. Das trifft leider auf sehr viele Datierungen in biblischen Zeiten zu, die heute als allgemein anerkannt oder sogar unumstritten gelten. Sie sind es aber nicht. Verweisen möchte ich an der Stelle auf die sehr, sehr erleuchtende Recherchearbeit von Timothy Mahoney, die er in seiner Serie Patterns of Evidence“ verfilmte und wo er einige Daten, die die Wissenschaft bisher als bewiesen erachtete, wie ein Kartenhaus zusammenbrechen ließ. Ich empfehle seinen Film über den Exodus, es gibt ihn auch auf Deutsch. Als zweites Beispiel nenne ich das Alter von unserem Herrn, das wir in einem eigenen Beitrag erläutern: Wie alt war Jesus bei Seiner Kreuzigung?

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