Historisch betrachtet geht der Name auf die Masoreten zurück, eine Gruppe gelehrter Juden in der Zerstreuung, die im Mittelalter damit begannen sowohl die Hebräische Schrift neu zu erfinden als auch die Hebräischen Heiligen Schriften zu rekonstruieren und bei der Gelegenheit haben sie auch gleich einen neuen Kanon erstellt. Alle drei Vorhaben muss man äußerst kritisch betrachten und fragen, warum überhaupt? Wieso musste die Hebräische Schrift verändert werden? Und wozu wollten die Juden ihre Hebräischen Heiligen Schriften rekonstruieren? Und weshalb soll im 2.Jh n. Chr. plötzlich ein neuer Kanon (eine neue Auswahl und Ordnung der Bücher) her? Wer gab ihnen dazu den Auftrag? Was war der Anlass und die Motivation für die Erstellung des Masoretentextes? Diesen Fragen sollte man penibel auf den Grund gehen, bevor man sich diesem Text anvertraut und ihn fälschlicher Weise als von Gott gegeben betrachtet.
Ursprünglich war die Hebräische Schrift eine Konsonantenschrift. Das heißt, dass nur Konsonanten niedergeschrieben wurden. Vokale fehlten im Althebräischen Alphabet. Diese mussten an den richtigen Stellen beim Lesen mündlich eingefügt werden. Es gab aber keine schriftlichen Hinweise dazu, an welchen Stellen welche Konsonanten einzufügen sind. Das machte es für unkundige Leser nahezu unmöglich die Texte richtig zu lesen, denn es gab ja theoretisch verschiedene Möglichkeiten wo man welche Laute einfügt und jede dieser Möglichkeiten hätte den Sinn der Wörter und damit des ganzen Textes verändert. Es ist notwendig, dass jeder Leser die Schrift auswendig kannte und somit wusste, welchen Laut er wo einfügen musste, oder dass er einen Schriftgelehrten zur Hand hatte, der ihm die richtige Lesart eröffnete. Es brauchte also Gelehrte und deren mündliche Überlieferung. Das funktionierte so über Jahrtausende. Im Mittelalter aber änderten die Masoreten diese Tradition und erfanden ein neues Schriftsystem, das Schriftgelehrte nicht mehr brauchte sondern stattdessen die Vokale für alle lesbar niederschrieb. Damit brachen sie nicht nur die Jahrtausende alte Tradition des Schriftverständnisses, sondern entstellten auch den Charakter der Hebräischen Schrift. Warum ausgerechnet eine künstliche Änderung der Schrift die originalen Hebräischen Heiligen Schriften wieder herstellen sollte, ist in sich nicht schlüssig. Um das Original wieder zu erlangen, bräuchte es doch die Originalmethode in Wahrheit, also auch die Originalschrift, deren originalen Charakter und die lebendige mündliche Überlieferung, die den richtigen Wortlaut und mögliche Lesarten mitliefert. Doch man verließ sich lieber auf eine neue technische Lösung anstatt auf die gute alte Lehrtradition, die höchstwahrscheinlich ohnehin schon lange verloren gegangen war. Denn niemand kann garantieren, dass die im Mittelalter festgelegten Vokale auch exakt jene waren, die von den Hebräern in Zeiten des Alten Testamentes gelesen und gesprochen wurden. Inzwischen war viel Schriftwissen verloren gegangen. Und auch Text.
Das Problem begann eigentlich viel früher. Schon Jahrhunderte vor Christus hatten die Hebräer im assyrischen bzw. babylonischen Exil ihre ursprüngliche Muttersprache Hebräisch verlernt. Dazu kam, dass die Juden im Exil Mischehen mit den fremden Völkern eingingen und die folgenden Generationen langsam aber sicher ihre Muttersprache verloren. Bereits Nehemia berichtet in seinem Buch in der Bibel rund 500 Jahre v.Chr. von diesem Problem:
Auch sah ich zu jener Zeit Juden, die Frauen von Asdod, Ammon und Moab heimgeführt hatten. Darum redeten auch ihre Kinder halb asdoditisch und konnten nicht Jüdisch reden, sondern die Sprache dieses oder jenes Volkes. (Neh 13,23-24)
Die allermeisten Juden kehrten nie aus dem Exil nach Jerusalem zurück sondern wurden in der Ferne unter fremden Völkern und Sprachen sesshaft. Das förderte den Verlust der Hebräischkenntnisse zugunsten der Sprachen der neuen Heimatländer. Das Problem spitzte sich mit dem Aufkommen des Griechischen Weltreiches zu. Alexander der Große und seine Nachfolger betrieben ab dem 4.Jh v.Chr. eine aggressive Eroberung und Hellenisierung der Welt. Griechisch wurde die neue Weltsprache, die jeder lernen und sprechen musste. Vielen Juden gefiel die Hellenisierung sogar und sie kamen ihr in vorauseilendem Gehorsam zuvor, wie die Makkabäerbücher bezeugen. Die Juden wollten griechischer werden als die Griechen! Bis auf einige wenige Gelehrte sprach kaum noch ein Jude Hebräisch sondern Griechisch. Und so wurde der Gedanke geboren, die Hebräischen Heiligen Schriften ins Griechische zu übersetzen, damit die Juden überhaupt noch den Schriftlesungen in ihren Gottesdiensten folgen konnten. Die Arbeit mit der Übersetzung wurde im frühen dritten Jahrhundert vor Christus begonnen. So entstand die Septuaginta, die fast ein halbes Jahrtausend die unangefochtene Heilige Schrift der Juden sein sollte, bis im 2.Jahrhundert nach Christus erneut eine jüdische Krise entstand: Die Juden hatten ihre Hauptstadt Jerusalem verloren, die 70 n.Chr. von den Römern dem Erdboden gleichgemacht wurde, dazu ihren Tempel, und zu allem Überfluss reiste die von den Juden leidenschaftlich gehasste und verfolgte neue „Sekte“, die Christen genannt wurde, durch die ganze Welt und predigte aus der Heiligen Septuaginta der Juden, dass der Christus längst gekommen sei, die Juden ihn aber nicht erkannt sondern getötet hätten, und ihr Erbe auf das Reich Gottes damit verspielt wäre. Das war zuviel auf einmal. Die Juden hatten wieder einmal so gut wie alles verloren: ihre Stadt, ihre Heimat, ihren Tempel und sogar ihre Heiligen Schriften, weil diese von ihren Feinden, den Christen, gelesen und verbreitet und als christliche Heilige Schriften gepredigt wurden.
Die Existenzkrise der neulich verstreuten Diasporajuden Anfang des zweiten Jahrhunderts muss man sich vor Augen führen, um ihren Entschluss, sich ihre eigenen Heiligen Schriften zu konstruieren - und zwar nicht mehr aus der Griechischen Septuaginta - sondern erstmals seit vielen Jahrhunderten wieder - aus Hebräischen Texten auf Hebräisch. Der Hass auf das Christentum ging auch mit einem Hass auf Griechisch einher und so wurden alle Griechischen Schriften aus dem jüdischen Kanon geworfen, von denen man meinte, sie seien nie auf Hebräisch geschrieben worden. Ein Problem bei der Rekonstruktion der Hebräischen Schriften war, dass im 2.Jahrhundert nur noch Fragmente auf Hebräisch vorhanden waren. Es war kein einziges Heiliges Buch aus dem Tanach vollständig auf Hebräisch erhalten. Seit Jahrhunderten war die Heilige Schrift nur noch vollständig auf Griechisch.