Prediger, die über die Macht der Zunge reden wollen, greifen immer auf Jakobus zurück. Aber sie wissen meist nicht, auf wen Jakobus zurück griff.

Der Jakobusbrief gehört nicht gerade zu den meistgelesenen Briefen des Neuen Testaments heutzutage, aber sein Kapitel über die Macht der Zunge ist doch wohl bekannt, wird gerne gepredigt, und gilt als Alleinstellungsmerkmal von Jakobus. So gut wie unbekannt ist aber, dass Jakobus der Gerechte eine Vorlage dazu in den Apokryphen hatte und daraus seine Weisheit schöpfte.

Sir 28,21.23 Jak 3,6
Bitteren Tod bringt die Zunge, selbst die Unterwelt ist besser als sie. Die den Herrn verlassen, werden ihr verfallen; ihr Feuer werden sie noch anfachen, und keiner kann es löschen. Auch die Zunge ist ein Feuer. Eine Welt voll Ungerechtigkeit ist die Zunge unter unsern Gliedern: Sie befleckt den ganzen Leib und setzt das ganze Leben in Brand und ist selbst von der Hölle entzündet.
Lutherbibel 2017 Lutherbibel 2017

Schon diese kurze Gegenüberstellung der Worte von Jesus Sirach und Jakobus zeigt deren Geistesverwandtschaft. Aber es wird noch besser, wenn man den Kontext vergleicht.

Die Hintergrundgeschichte

Wenn man nicht nur einzelne Sätze sondern die kompletten Abschnitte liest, entdeckt man noch viel mehr Gemeinsamkeiten der Gedanken und Lehren. Beide Lehrer, sowohl Jesus Sirach als auch Jakobus, begnügen sich nicht mit ein oder zwei Sätzen, um ihre Leser vor der todbringenden und zerstörenden Macht der Zunge zu warnen, sondern machen daraus ein großes Thema, dem sie einen eigenen Abschnitt widmen, mit sehr ähnlichen Wortbildern, Vergleichen und Aussagen. Ein Thema, das auf die Art nur zweimal in der Heiligen Schrift behandelt wird, einmal im Alten Testament von Jesus Sirach und einmal im Neuen Testament von Jakobus. Menschen, die Jesus Sirach nicht kennen, glauben deshalb, dass nur Jakobus darüber spricht.

Jakobus:

Denn wir verfehlen uns alle mannigfaltig. Wer sich aber im Wort nicht verfehlt, der ist ein vollkommener Mensch und kann auch den ganzen Leib im Zaum halten.
Wenn wir den Pferden den Zaum ins Maul legen, damit sie uns gehorchen, so lenken wir ihren ganzen Leib.
Siehe, auch die Schiffe, obwohl sie so groß sind und von starken Winden getrieben werden, werden sie doch gelenkt mit einem kleinen Ruder, wohin der will, der es führt.
So ist auch die Zunge ein kleines Glied und rechnet sich große Dinge zu. Siehe, ein kleines Feuer, welch einen Wald zündet’s an!
Auch die Zunge ist ein Feuer. Eine Welt voll Ungerechtigkeit ist die Zunge unter unsern Gliedern: Sie befleckt den ganzen Leib und setzt das ganze Leben in Brand und ist selbst von der Hölle entzündet.
Denn jede Art von Tieren und Vögeln und Schlangen und Seetieren wird gezähmt und ist gezähmt vom Menschen, aber die Zunge kann kein Mensch zähmen, das aufrührerische Übel, voll tödlichen Gifts.
Mit ihr loben wir den Herrn und Vater, und mit ihr fluchen wir den Menschen, die nach dem Bilde Gottes gemacht sind.
Aus einem Munde kommt Loben und Fluchen. Das soll nicht so sein, meine Brüder und Schwestern.
Lässt auch die Quelle aus einem Loch Süßes und Bitteres fließen? Kann auch ein Feigenbaum Oliven oder ein Weinstock Feigen tragen? So kann auch eine salzige Quelle nicht süßes Wasser geben. (Jakobus 3,2-12 LUT2017)

Jesus Sirach:

Bläst du in die Funken, wird ein Feuer daraus; doch spuckst du auf sie, verlöschen die Funken; und beides kann aus deinem Munde kommen.
Den Verleumder und Doppelzüngigen soll man verfluchen; denn er richtet viele zugrunde, die in Frieden leben.
Wer Gerüchte verbreitet, bringt viele Leute zu Fall und vertreibt sie aus einem Land ins andre. Er reißt feste Städte ein und zerstört die Paläste der Fürsten.
Wer Gerüchte verbreitet, verstößt tüchtige Frauen und beraubt sie der Früchte ihrer Arbeit.
Wer auf Gerüchte hört, hat keine Ruhe mehr und kann nicht in Frieden leben.
Der Hieb der Geißel macht Striemen; aber der Hieb der Zunge zerschmettert Knochen.
Viele sind gefallen durch die Schärfe des Schwerts, aber nicht so viele wie durch die Zunge.
Wohl dem, der vor ihr bewahrt bleibt und von ihrem Zorn verschont wird, der ihr Joch nicht tragen muss und nicht mit ihren Fesseln gebunden ist!
Denn ihr Joch ist eisern, und ehern sind ihre Fesseln.
Bitteren Tod bringt die Zunge, selbst die Unterwelt ist besser als sie.
Die Frommen aber wird sie nicht unterdrücken, und sie werden in ihrem Feuer nicht verbrennen.
Die den Herrn verlassen, werden ihr verfallen; ihr Feuer werden sie noch anfachen, und keiner kann es löschen. Wie ein Löwe setzt sie ihnen nach und zerfleischt sie wie ein Panther.
Umzäune deinen Besitz mit Dornen, und lege Schloss und Riegel vor deinen Mund!
Wäge und verwahre dein Silber und Gold, und lege deine Worte auf die Goldwaage!
Hüte dich, dass du nicht ausgleitest und deine Zunge dich nicht zu Fall bringt vor dem, der auf dich lauert! (Jesus Sirach 28,12-26 LUT2017)